Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
LA PÉRICHOLE
(Jacques Offenbach)
Besuch am
23. November 2022
(Premiere am 13. November 2022)
Keine Musik spiegelt wohl treffender das Zweite Kaiserreich in Frankreich wider als Offenbachs Operetten. Die Kaiserin Eugénie selbst soll begeistert behauptet haben, das Kaiserreich ihres Gemahls sei eine einzige große Offenbach-Operette. Doch sein Operetten-Schaffen geht auch mit dem Kaiserreich zu Ende. La Périchole von 1868 ist das vorletzte einer langen Reihe dieser witzig-satirischen Werke, von denen die bekanntesten vom unermüdlichen Textdichter-Paar Meilhac-Halévy stammen. Wie schon bei Bizets Carmen haben sich die Librettisten auch hier wieder von einem Werk Prosper Mérimées inspirieren lassen. Um der Zensur zu entgehen, ist die Handlung nach Peru verlegt. Sie erzählt die Geschichte des notleidenden Straßensänger-Liebespaars La Périchole und Piquillo, das vor Hunger fast umkommt. Indessen belauscht der Vize-König im Slum-Viertel von Lima inkognito die Stimme des Volkes und sucht nach weiblichen Abenteuern. Er entdeckt dabei die Reize der schönen Périchole und will sie mit sich ins Palais nehmen. In ihrer Not willigt sie ein, aber will sich seiner Gunst durch List entziehen. So endet sie statt in seinem Bett schließlich mit ihrem Liebhaber im Gefängnis. Durch vize-königliche Großmut jedoch löst sich schließlich alles in Wohlgefallen auf. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil im Jahre 1874 überarbeitet Offenbach La Périchole und sichert ihr damit eine bis heute andauernde Popularität. Es ist die zweite Version, die hier zur Aufführung gelangt.
Die burleske Gesellschaftssatire ist heute wie damals hier wie anderswo nachvollziehbar, und es ist deswegen nicht schockierend, dass Regisseur Laurent Pelly sie in unsere Zeit verlegt. Nur findet man dadurch hier weder die extravagante Ästhetik, vor allem die farbliche, noch die Eleganz, die man in Christian Lacroix’ Inszenierung von Offenbachs La Vie Parisienne im selben Theater ein Jahr zuvor hatte bewundern können. Hier ist die Kleidung einfach, ja, eher dürftig in den Straßenszenen des Slumviertels, und silberglänzend stilisiert in den Szenen bei Hof. Marina Viotti als La Périchole tritt im ersten und dritten Akt minimal gekleidet auf, nur mit rotem T-Shirt, ganz kurzen Shorts, metallbesetzter, schwarzer Lederjacke, Netzstrümpfen und tätowierten nackten Armen, als sei sie noch in ihrer heavy-metal-Phase, im zweiten Akt trägt sie dann sehr verführerisch ein enganliegendes, langes, rotes Abendkleid mit Glitzerschmuck. Der Vize-König schleicht im Regenmantel und mit Sonnenbrille auf die Bühne wie der Meisterdetektiv Knatterton. Chantal Thomas‘ Bühnenbilder sind der nüchternen Modernität angepasst. Agathe Mélinand hat die gesprochenen Dialoge witzig und bühnenwirksam überarbeitet und alle Anspielungen auf heute nicht mehr verständliche Begebenheiten gestrichen. Pellys Personenregie ist sehr sorgfältig, um nicht zu sagen, sie ist auf den Millimeter genau dem Text und der Musik angepasst, damit keine Pointe verloren geht, und er schafft damit eine sehr gelungene, etwas burschikose Slapstick-Komik, die der Musik entgegenkommt. Choreografie und Beleuchtung wollen manchmal den Eindruck eines Rockfestivals vermitteln. Man kann nur ahnen, wie viel Probenarbeit in dieser Aufführung steckt und welch enges Einverständnis zwischen Regisseur, Dirigent und den Ausführenden dabei notwendig war. Bald fragt man sich dann auch, sind das nun Sänger, die auch Theater spielen, oder sind es Schauspieler, die auch singen. Ein echter Theatererfolg!
Foto © Vincent Pontet
Der erklärte Star des Abends ist zweifellos Marina Viotti in der Titelrolle. Sie stammt aus einer klassischen Musikerfamilie, der Vater war Dirigent, die Mutter Geigerin, aber sie selbst hat auch, wie sie es nennt, eine „gotische Vergangenheit“, das heißt Jazz, Gospel und heavy metal, bevor sie endgültig im Opernfach landet. So scheint sie für diese Rolle prädestiniert und schöpft sie mit sinnlicher „fruity voice“, die sich aber mit großer Wandlungsfähigkeit nuanciert den verschiedenen Situationen anzupassen vermag, und mit einem spöttischen Punk-Temperament voll aus: provozierend, sexy, reizvoll, aber auch tragisch und dann wieder sehr menschlich, wie im Abschiedsbrief an Piquillo O, mon cher amant, je te jure. Ihr gegenüber ist Stanislas de Barbeyrac offensichtlich in der Rolle des etwas tölpelhaften, aber gutmütigen Piquillo wie zu Hause. Er singt und spielt ihn mit schön timbriertem Tenor, zwischen Aufmüpfigkeit und Zerknirschtheit hin und her schwankend, wie in On me proposait d‘être infâme. Laurent Naouri ist der Schürzen jagende, letztlich etwas lächerliche Vize-König, entweder autoritär befehlend oder verschwörerisch flüsternd wie in Sans en souffler un mot à personne. Alle Nebenrollen sind mit derselben Sorgfalt einstudiert. Chloé Briot, Alix Le Saux und Eléonore Pancrazi als die drei aus ihrem Rollwagen Viktualien verkaufende und reichlich Wein ausschenkende Kusinen. Später in der Rolle der affektierten Hofdamen verbreiten sie Heiterkeit und unerschöpfliche Lebendigkeit auf der Bühne. Rudolphe Briand und Lionel Lhote als Hofschranzen spinnen mit Würde oder Missmut die Intrigen gemäß den Befehlen ihres Herrn. Der fast immer gegenwärtige, ausgezeichnete Chor der Opéra National de Bordeaux ist ein unerlässlicher Bestandteil des Ensembles.
Die meisten kennen Marc Minkowski als Dirigenten klassischer oder barocker Musik. Hier erweist er sich an der Spitze der Musiciens du Louvre als ein gewitzter Kenner und erfahrener Interpret Offenbachs. Es ist auch nicht seine erst Offenbach-Zusammenarbeit mit Laurent Pelly.
Es ist die siebente Aufführung, das Theater immer noch ausverkauft und das Publikum einhellig begeistert.
Alexander Jordis-Lohausen