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Allgemein wird der 1947 geborene, amerikanische Komponist John Adams unter die Minimalisten eingereiht. „Minimalismus ist eine sehr reine und rigorose musikalische Sprache, ganz ähnlich wie minimalistische Plastik und Malerei. Von Anfang an habe ich einen viel stärkeren Impuls zu dramatischer Überraschung empfunden. Ich liebe zwar vieles am Minimalismus, aber ich hatte das Gefühl, dass er emotional ein wenig zu einfarbig war. Mit meiner eigenen Musik wollte ich eine Sprache schaffen, die zu fluiderem emotionalen Leben fähig war … und im Laufe der Jahre habe ich versucht, eine vielfältigere harmonische Sprache zu entwickeln“, sagt er selbst etwas nuancierter darüber. Und zweifellos ist John Adams‘ Musik dabei von den verschiedensten Komponisten von der Klassik bis zur Moderne beeinflusst worden, verlässt jedoch nie die tonale Basis.
Der Komponist und seine Text-Dichterin Alice Goodman nehmen Richard Nixons Besuch in China 1972, dem ersten Staatsbesuch eines amerikanischen Präsidenten in der Volksrepublik, zum Anlass, um sich in dieser Oper satirisch mit den modernen, fast archetypischen Helden-Mythen auseinander zu setzen. Wie die Regisseurin Valentina Currasco es ausdrückt, „obwohl es sich um wirkliche Personen handelt, sind sie doch gewissermaßen schon legendär geworden … sie haben etwas Mythologisches.“
Musikalisch, meint Adams, entspräche für Nixon am ehesten eine Musik der „weißen Bigbands der Swing-Ära“, die Musik der amerikanischen Mittelklasse. Daher auch die starke Bläserbesetzung im Orchester, darunter vier Saxofone und jeweils drei Trompeten und Posaunen. Er bezeichnet es selbst, inspiriert von der schrill-farbigen, politischen Propaganda auf beiden Seiten, als eine „Technicolor-Partitur“.
Foto © E. Bauer
Gustavo Dudamel, der wie übrigens auch Carrasco John Adams gut kennt und viel mit ihm zusammengearbeitet hat, spricht von „einer Musik voller Farben, voller Leben und Rhythmen, eine Virtuosität, die sich jedoch bisweilen auch verinnerlicht“.
Die 1987 entstandene Oper wird in Europa immer noch relativ selten aufgeführt. So ist diese Aufführung auch für die Pariser Oper eine Premiere. In den USA hingegen ist Nixon in China inzwischen zu einem Klassiker geworden.
Carrasco hält sich nicht an die ursprüngliche realistische Inszenierung Peter Sellars. „Da ich weder Chinesin noch Amerikanerin bin, sehe ich es als meine Pflicht an, ein neue Sicht vorzuschlagen … Ich bin, eher intuitiv, von der Idee des Ping-Pong-Tisches ausgegangen, was sich als ein schönes Symbol des politischen Spiels herausgestellt hat. Zwei Welten stehen einander gegenüber und schieben sich die Verantwortung zu. Das Ping-Pong ist auch sehr rhythmisch wie die Musik John Adams‘“, sagt sie. Es mischt sich also ein dichterisch-realistisches Textbuch mit den oft reizvollen Fantasien Carrascos und ihres Teams und lässt einen nie ganz sicher sein, ob man voll in der Satire oder in einer ernstzunehmenden Handlung ist.
Die Oper beginnt mit der Ankunft Richard Nixons, seiner Frau Pat und Henry Kissingers auf dem Flughafen in Peking. Die Präsidentenmaschine ist ein riesengroßer, silberner Adler mit glühenden Augen, der vom Himmel herunterschwebt. Sie werden von Tschu En-Lai empfangen. Aus der Entfernung sehen die Protagonisten, auch in Mimik und Gestik, ihren historischen Vorbildern erstaunlich ähnlich.
Im Obergeschoss einer großen Bibliothek mit Clubsesseln werden die Gäste mit Mao Tse-tung und seiner Frau bekannt gemacht, während im Untergeschoss Regime-Gegner gefoltert werden. Es wird über Philosophie, Ideologie, Politik gesprochen. Jeder erklärt sich bereit zu verstehen, aber niemand hört dem anderen zu. Doch die Stimmung ist harmonisch. John Matthew Myers gibt einen glaubwürdigen gealterten Mao ab und singt in einem Tauben-Dialog mit Nixon vor sich hin: Our armies do not go abroad, immer von seinen drei jungen Sekretärinnen bestätigt und umsorgt. Beim anschließenden Festessen singt Xiaomeng Zhang als Tschu En-lai mit sehr schön timbriertem, warmem Bariton die Festrede Ladies and gentlemen, comrades and friends. Thomas Hampson als Richard Nixon gibt sich selbstsicher, aber muss immer wieder Pillen schlucken, um bei der Sache zu bleiben. Mit imposanter, kraftvoller Baritonstimme singt er seine Antwort Mr. Premier, distinguished guests. Als Mahl beginnt es, wird dann zum öffentlichen Tischtennis-Turnier und endet in einer allgemeinen Rauferei.
Nach einem kurzen „Ping-Pong-Ballett“ ist der zweite Akt fast ausschließlich den beiden weiblichen Hauptrollen gewidmet. „Die Rollen der beiden weiblichen Protagonisten, Pat und Chiang Ch’ing, erschienen mir besonders bedeutsam. Als Ehefrauen von Politikern stellen sie das Yin und das Yan der beiden Lebensalternativen dar … In der Musik, die ich für diese beiden Frauen komponiert habe, habe ich versucht über die Karikatur ihrer öffentlichen Persönlichkeiten hinauszugehen“, gibt der Komponist zu Protokoll.
In der ersten Szene absolviert Pat Nixon das spouse program des Staatsbesuchs, wird in eine Glasbläserei, in ein Spital und dann in eine Schweinefarm geführt – alles geschickt durch anschauliche Videos untermalt. Schließlich ist sie ganz allein auf der Bühne, Schneeflocken in Form von Hunderten von weißen Tischtennisbällen füllen den Himmel aus. Nur ein freundlicher, anhänglicher chinesischer Drache leistet ihr Gesellschaft. Mit etwas naiver Intuition sinniert sie über die Bedeutung dieser Reise. Es ist entschieden die poesievollste Szene in Carrascos Inszenierung und Renée Fleming füllt sie mit ihrer wundervoll lyrischen Stimme stimmungsvoll aus: This is prophetic!
Foto © E. Bauer
Ein krasser Gegensatz dazu ist dann die Chiang Ch‘ing gewidmete nächste Szene. Sie beginnt mit einem von ihr inszenierten Ballett, in dem rebellische Frauen ausgepeitscht werden. Jushua Bloom als Kissinger stolziert siegessicher umher, zu allen Kompromissen bereit, glaubt auch hier in dem Spektakel mitspielen zu müssen und singt dazu Oh, what a day, I thought I’d die! Es folgen erschreckende Videovisionen von Kämpfen im Dschungel und vom Bombenhagel über Vietnam. Die Nixons, die den Sinn all dessen nicht verstehen oder missverstehen, sind empört und verlassen die Show in Begleitung von Kissinger. Es folgt eine Apotheose der Partei und des Terror verbreitenden Regimes, gesungen vom Chor und vor allem von Kathleen Kim als Chiang Ch‘ing in bewundernswerten Sopran-Spitzentönen und mit furienhafter Besessenheit: I am the wife of Mao Tse-tung … I speak according to the book.
Als Intermezzo zwischen dem zweiten und dritten Akt wird ein zehnminütiges Video gezeigt. Der ehemalige Direktor der Musikhochschule in Shanghai erzählt, wie zur Zeit der kulturellen Revolution die Schule geschlossen wurde und er sowie viele seiner Kollegen als Verbrecher bestraft und misshandelt worden seien, nur weil sie auch westliche Musik gelehrt hätten. Zehn von ihnen hätten diese Demütigungen nicht ertragen und sich umgebracht.
Der letzte Akt ist ebenso wenig bühnenwirksam wie dieser Teil des Textbuchs. Es passiert nichts mehr. In einem Wirrwarr von umgestürzten Ping-Pong-Tischen irren die Protagonisten einzeln oder zu zweit umher und stellen Fragen über den Sinn des Ganzen. Sie reden aneinander vorbei. Die Nixons haben Heimweh und frischen alte Erinnerungen auf, die Maos erinnern sich der Zeit, als sie einander kennenlernten. Tschu En-Lai hat das letzte Wort: I am old and cannot sleep forever … Outside this room the chill of grace lies heavy in the morning grass.
Dann landet der amerikanische Silberadler. Der rote chinesische Drache legt sich freundschaftlich neben ihn. Der Staatsbesuch ist zu Ende.
Nancy T’ang, Yajie Zhang und Emanuela Pascu als die drei Sekretärinnen Maos, sowie der von Ching-Lien Wu gut einstudierte Chor beschließen ein ausgezeichnetes Ensemble.
Gustavo Dudamel dirigiert mit Energie und Begeisterung die Solisten, den Chor und das Orchester der Opéra national de Paris durch die keineswegs immer minimalistische Partitur.
Das Publikum quittiert das eindrucksvolle Bühnenereignis mit anhaltendem, einhelligem Applaus für die Ausführenden, für das Regie-Team, und auch für den greisen Komponisten, der für diesen Abend eigens angereist ist.
Alexander Jordis-Lohausen