O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Elisa Haberer

Aktuelle Aufführungen

Karger Holländer

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)

Besuch am
7. Oktober 2021
(Premiere)

 

Opéra National de Paris, Bastille

Richard Wagner ist 26 Jahre alt, als er auf einem kleinen Segelschiff bei stürmischer See von Riga nach London fährt. Diese Reise verstärkt noch den Eindruck, den die Geschichte des Fliegenden Holländers, wie er sie kurz zuvor bei Heinrich Heine gelesen hatte, auf ihn macht.

Noch in London schreibt er sein eigenes Textbuch dafür und komponiert in nur wenigen Wochen die Musik für eine erste Version. Doch es sollten noch zwei Jahre vergehen, bis die Oper nicht in Paris, wie Wagner gehofft hatte, sondern in Dresden uraufgeführt wird. Der Erfolg ist nur mäßig, aber sie trägt dem Komponisten immerhin eine Kapellmeisterstelle am sächsischen Hof ein.

Der fliegende Holländer ist die Oper, in der Wagner zu seinem ureigenen mythischen Stil findet. In diesem Fall ist es sowohl der Mythos des unergründlichen Zusammengehörens zweier Menschen, als auch der Erlösungsmythos durch die Liebe einer Frau, Sentas Opfertod. Das erste Thema taucht später bei Tristan und Isolde wieder auf, das zweite finden wir in der Gestalt der Elisabeth im Tannhäuser wieder. Im großen Duett zwischen Senta und dem Holländer im zweiten Akt wird ihnen bewusst, was sie nicht aussprechen können, aber immer schon gewusst haben – jenes Einverständnis, das der Worte nicht bedarf. Und „die Erlösung, die der Holländer sucht, besteht nicht darin, durch Senta in die Tageswelt, von welcher der Fluch ihn trennte, wieder aufgenommen zu werden; vielmehr ist es gerade umgekehrt Sentas Entschluss, in die Nachtwelt des Holländers hinabzusteigen, der die Erlösung herbeiführt.“ erklärt Dahlberg.

Die Regie Willy Deckers entstand vor über 20 Jahren, wurde seitdem mehrmals revidiert und wiederaufgenommen und ist auch heute noch wirkungsvoll. Da er Meer und Sturmwind nicht auf der Bühne darstellen kann, wie er selbst bemerkt, entscheidet sich der Regisseur für eine minimalistische, durch eine gezielte Beleuchtung gestützte Inszenierung. Und vor allem versucht er, die inneren Stürme der beiden Protagonisten hervorzuheben. „Senta gibt sich ihrer krankhaften Fantasie hin, bis die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit sich auflösen“, erläutert er.

Er überlässt es den Ausführenden, aber auch den Zuschauern, die düsteren Zwangsvorstellungen Sentas und des Holländers nachzuvollziehen. Das Dekor ist einheitlich in allen drei Akten ein karg geschmückter Raum. In dem sich alles abspielt und in dem auch alles angedeutet wird, was „draußen“ geschieht. Das Meer sieht man nur durch einen Türspalt.  Aber weder das Schiff Dalands noch das düstere Gespensterschiff des Holländers werden gezeigt. Lange Taue, mit denen die Schiffe ans Ufer gezogen werden, deuten sie an. Ein riesiges Gemälde an der Wand zeigt das vom Sturm aufgepeitschte Meer, hin und wieder taucht darin ein stolzer Dreimaster auf, dann wieder wird es leuchtend rot, als stünde die See in Brand. Auch die Erlösung bringende dramatische Schlussszene, in der sich Senta vom Felsen hinunter ins Meer stürzt und damit sich als auch dem Holländer den ersehnten Tod bringt, ist gestrichen. Stattdessen erdolcht sich Senta auf offener Bühne. Der Regisseur vermeidet dadurch zwar, dass das Finale, wie das leicht der Fall ist, ins Kitschige abgleitet, aber ob der Holländer dadurch seine Erlösung findet, bleibt offen. Die durchgehend schwarzen Kostüme sind die der Seeleute und ihrer Frauen im 19. Jahrhundert.

Günther Groissböck ist ein Wagner-Veteran. Und so ist auch seine Darstellung des Daland souverän und ein wahres Vergnügen. Ricarda Merbeth bewältigt die Senta-Rolle mit kraftvoller, dramatischer Sopranstimme, formuliert aber auch klangvoll die lyrischen Stellen. Etwas schwach sind manchmal ihre tieferen Lagen. Auch nimmt man ihr schauspielerisch das vom Opferwahn besessene Dunkle ihres Charakters nicht ganz ab. Tomasz Konieczny hat eine gewaltige Bassstimme und zögert nicht, sie zum Dröhnen zu bringen. Er scheint für die Holländerrolle wie geschaffen, doch fehlen ihm leider die Nuancen, vor allen auch die lyrischen Zwischentöne, um seinem Titelhelden sowohl das Sensible als auch das Unheimliche zu verleihen. Schön sind die beiden Tenorstimmen Thomas Atkins und Michael Weinius, obwohl sich letzterer offensichtlich in der deutschen Sprache nicht wohl fühlt, was störend wirkt. Last but not least sei Agnes Zwierko als Mary erwähnt.

Der Chor spielt in der Oper eine wichtige Rolle, und er spielt sie gut und vor allem auch choreografisch sehr wirkungsvoll.

Hannu Lintu peitscht das Orchester de l‘Opéra national de Paris wie der heulende Sturmwind das aufgewühlte Meer, sodass man gleich in der Ouvertüre in die unheimliche und gefahrvolle Welt der Seeleute versetzt wird. Hin und wieder jedoch geht seine stürmische Begeisterung etwas zu weit und die Orchesterbegleitung überdeckt die Stimmen auf der Bühne.

Als Anti-Covid-Maßnahme wird die Oper ohne Unterbrechung aufgeführt, was dem Werk zugutekommt. Dadurch bleibt die dramatische Spannung während der gesamten Aufführung erhalten, zumal es dem Regisseur und dem Dirigenten gelungen ist, die Übergänge von Akt zu Akt auf offener Bühne reibungslos zu bewerkstelligen. Auch Wagner wäre damit einverstanden gewesen, hatte er doch die Oper ursprünglich als Ein-Akter konzipiert, musste sich dann aber der Gepflogenheit der Mehr-Aktigkeit der damaligen Zeit beugen. Für die Sänger und vor allem für die Senta-Darstellerin ist es allerdings ein Marathon.

Trotz einiger Mängel eine eindrucksvolle Aufführung. So denkt auch das Publikum.

Alexander Jordis-Lohausen