Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
LA CENERENTOLA
(Giacomo Rossini)
Besuch am
9. Oktober 2023
(Premiere)
Rossini ist 25 Jahre alt, als er La Cenerentola komponiert, und kann schon auf mehr als 15 teilweise sehr erfolgreiche Opern zurückblicken, darunter L’Italiana in Algeri und Il Barbiere di Sevilla. Er ist der beliebteste Opernkomponist Italiens und überall gefragt. Nach dem Erfolg des Barbiere hatte das Teatro Valle in Rom bei Rossini eine neue Oper in Auftrag gegeben hat. Doch das Zustandekommen der neuen Oper gestaltet sich schwierig, weil die päpstliche Zensur in Rom immer wieder Einwände hat, die die Fertigstellung des Textbuchs verzögern. So muss das ursprüngliche Projekt einer Ninetta alla Corte schließlich fallengelassen werden, und man wendet sich dem unverfänglicheren Stoff eines Aschenputtels zu. Dadurch erhält Rossini das Textbuch viel später als vorgesehen und steht, wie so oft, unter argem Zeitdruck, um die Partitur halbwegs termingerecht für die Uraufführung am 25. Januar 1817 abzuliefern. Man sagt, er habe sie in 22 Tagen komponiert, hätte dabei aber zumindest die Rezitative Luca Agolini, einem römischen Musiker, überlassen müssen. Es wird eine Oper semi seria, in der dichterische Melancholie und ungezügelte Burleske einander abwechseln. Das Textbuch behält vom Grimm- respektive Perrault-Märchen auf der einen Seite die beiden eitlen, egoistischen, sich ewig streitenden Schwestern Clorinda und Tisbe, den Vater, der hier der selbstherrliche, bösartige Don Magnifico wird, der seine dritte Tochter Angelina, genannt La Cenerentola, verleugnet und misshandelt, auf der anderen Seite den Prinz Don Ramiro, der bei dieser Gelegenheit mit seinem Kammerdiener Dandini die Rolle tauscht. Aber das Textbuch verzichtet nicht nur auf die üblichen Aschenputtel-Requisiten wie den verlorenen gläsernen Schuh oder die Kürbis-Kutsche, sondern auch auf die böse Stiefmutter.
Foto © Vincent Pontet
Diese Nüchternheit macht es dem Regisseur Damiano Michieletto umso leichter, die Handlung recht erfolgreich in die heutige Zeit zu übertragen. In Paolo Fantins Bühnenbild wird dabei das Haus des Don Magnifico zu einer Kantine, in der die Cenerentola Mädchen-für-alles-Unangenehme ist. Das Königsschloss wird zu einer modernen Luxusvilla, der man auf offener Szene geschickt das Bühnenbild der ersten Szene als Obergeschoss aufstockt. Damit aber das Märchenhafte nicht ganz verschwindet, verwandelt der Regisseur, als Zeichen eines „magischen Realismus“, den Hauslehrer des Prinzen Alidoro in eine Art Cupidos-Deus-ex-machina-stage-manager-Schutzengel, alles in einem, der in verschiedenen Gestalten das Schicksal der Protagonisten in einer Weise beeinflusst, dass sich schließlich alles zum Besten wendet. Eine auf die Musik sehr genau abgestimmte, gut ausgeklügelte und einfallsreiche Personenregie sowie Chiara Vecchis dementsprechende, oft fast grotesk-balletthafte Choreografie machen das szenische Geschehen zu einer sich in rascher Folge abspulenden, heiteren Komödie. Auch Agostino Cavalcas Kostüme sind passend bunt und fantasievoll. Don Magnifico tritt im zweiten Akt sogar mit Hermelinmantel, Krone und Zepter auf, nur Alidoro erscheint als Schutzengel ohne Flügel, ganz in weiß, wenn auch mit gelegentlichen Verkleidungen.
Musikalisch beschert uns das Théâtre des Champs-Élysées ein harmonisch festgefügtes, ausgezeichnetes Solisten-Ensemble mit einer soliden Belcanto-Technik.
Foto © Vincent Pontet
Die Rolle der Angelina ist bekannt für ihre halsbrecherische Virtuosität. Doch Marina Viotti meistert sie mit einer Leichtigkeit und Beweglichkeit und oft mit einem Tempo, das verblüfft und begeistert. Aber sie ist auch bewegend in den ruhigeren, lyrischen Szenen. Ihr Rondo am Schluss der Oper ist ein wahres Vergnügen. Den Prinzen Don Ramiro verkörpert Levy Sekgapane. Sein metallisch timbrierter Belcanto-Tenor, im ersten Akt noch etwas verhalten, kommt in zweiten besser zur Entfaltung. Durchaus glaubhaft in Spiel und Gesang stellt Alexandros Stavrakakis mit warmer kräftiger Bass-Stimme, witzig oder ernsthaft, den Schutzengel Alidoro dar. Edward Nelsons Dandini spielt die Verkleidungskomödie mit sichtlich heiterem Vergnügen. Peter Kálmán nimmt man den etwas schmierigen, bösartigen Don Magnifico ohne Bedenken ab. Und last but not least Alice Rossi und Justyna Olow tragen stimmlich, aber vor allem auch schauspielerisch viel zum Gelingen der Komödie bei.
Die Sänger werden aufmerksam vom Balthasar-Neumann-Chor und dem Orchester unter der erprobten Leitung von Thomas Hengelbrock begleitet. In diesem Zusammenhang spricht der Dirigent von Rossini von einem Architekten des Lachens: „Rossini liebt es, mit einem einfachen Motif piano, ja sogar pianissimo anzufangen, das er dann in unglaublichem Maße aufbauscht. Um diesen überwältigenden Effekt zu gewährleisten, ist es wichtig diese crescendi sorgfältig aufzubauen: sie dürfen nicht zu früh zu laut sein und jeder Höhepunkt muss klar zum Ausdruck kommen. Ebenso ist es wichtig das richtige Gleichgewicht zwischen Spannung und Entspannung zu finden. Dann können diese crescendi richtiggehend zu ‚Lachkathedralen‘ werden.“ Man kann es nachvollziehen.
Das Publikum ist sichtlich hoch zufrieden, dass man ihm mal wieder ein unbefangen fröhliches Vergnügen bereitet.
Es ist eine Koproduktion des Théâtre des Champs-Élysées und der Semperoper Dresden der Inszenierung, die zuerst bei den Salzburger Festspielen 2014 auf die Bühne kam.
Alexander Jordis-Lohausen