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Aktuelle Aufführungen

Lächeln hilft

DER BERGISCHE BEETHOVEN
(Johann Wilhelm Wilms, Ludwig van Beethoven)

Besuch am
30. September 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Harmonie Universelle im Altenberger Dom, Odenthal

Egal, woher man kommt, das Tal mit dem Namen Altenberg erreicht man nur über Serpentinen. Die Mühe lohnt. Hier atmest du Vergangenheit, und wer angesichts des Altenberger Doms und seines Umfelds keine innere Ruhe in sich aufkeimen spürt, sollte sich in ärztliche Behandlung begeben. Größter Beliebtheit erfreuen sich eigentlich die Konzerte in der Kirche, einem Wahrzeichen des Bergischen Landes. Deshalb entschied sich auch Harmonie Universelle, den Dom als eine der Spielstätten ihres neuesten Projekts auszuwählen.

Die argentinische Geigerin Mónica Waisman und der deutsche Geiger Florian Deuter gründeten das – bewusst international besetzte – Orchester Harmonie Universelle, dem sie bis heute vorstehen, um sich intensiv ausgefallenen Projekten der alten Musik zu widmen. Dabei verzichten sie im Normalfall auf einen Dirigenten. Deuter übernimmt die Funktion des Konzertmeisters und damit auch das Dirigat. Ihr neuestes Projekt widmen sie in drei Konzerten an verschiedenen Spielstätten dem „Bergischen Beethoven“. Der Titel klingt pointiert, ist aber tatsächlich ein bisschen weit hergeholt. Gefeiert werden soll mit dem Programm der 250. Geburtstag von Johann Wilhelm Wilms, der zwar in Witzhelden, einem heutigen Stadtteil von Leichlingen im Rheinisch-Bergischen Kreis, geboren ist, seinen Ruhm aber tatsächlich in den Niederlanden begründete. Als 19-Jähriger ging er 1791, gerade mal zwei Jahre jünger als Beethoven, nach Amsterdam, arbeitete dort als Pianist und Flötist. Alsbald war er dort in das kulturelle Leben so integriert, dass nur noch nach Feierabend Zeit für Kompositionen blieb. Eine davon immerhin so erfolgreich, dass sie bis 1932 zur Nationalhymne der Niederlande wurde.

Andreas Spering – Foto © O-Ton

Komponist Hubert Schröder hat aus alten Handschriften Partituren rekonstruiert, die dem Ensemble Harmonie Universelle als Unterlage dienen, Erstaufführungen dreier Konzerte zu spielen. Für den Altenberger Dom haben die Musiker drei Konzerte ausgewählt. In ihrer Komplexität ist es dann wohl doch angebracht, einen Dirigenten zu beauftragen. Und so steht Andreas Spering am Pult, vielen als Künstlerischer Leiter der Brühler Schlosskonzerte bekannt.

Zu Beginn steht das dreisätzige Konzert in B-Dur für Klarinette und Orchester Op. 40 von Wilms. Als Solisten hat Harmonie Universelle Ernst Schlader eingeladen. Schlader ist in Gmunden geboren, hat Klarinette, Orgel, Musikwissenschaft und Wissens-Management in Linz, Den Haag, Leiden und Frankfurt am Main studiert. Für seinen Solo-Vortrag hat er eine 13-klappige, historische Klarinette mitgebracht. Das ist deshalb erwähnenswert, weil Wilms sich sehr für den Instrumentenbau interessierte und Neuentwicklungen auch bei seinen Kompositionen berücksichtigte. Beim Schwierigkeitsgrad des Konzertes scheut Schröder nicht den Vergleich mit dem Klarinettenkonzert Mozarts. Wenn Schlader das Instrument im zweiten Satz „singen“ lässt, klingt das schon im besten Sinne ein wenig volksliedhaft.

Unmittelbar auf diese für viele erste Begegnung mit Wilms folgt Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 1 in C-Dur Op. 21. Da ist das Erstaunen über die gehörten Ähnlichkeiten zu Wilms schon groß. Gewiss, beiden entstammen der gleichen Zeit und damit auch ähnlichen Musikströmungen, aber dass sich die Werke so nahekommen, überrascht schon, wenngleich man bei Beethoven eine größere Ernsthaftigkeit herauszuhören meint. Was aber kein Werturteil, sondern eher eine Geschmacksfrage ist. Die Streicher jedenfalls werden an diesem Abend ordentlich gefordert – und das, nachdem sie ja bereits am Vorabend ein ganz ähnliches Programm in der Historischen Stadthalle Wuppertal absolviert haben. Dort hoffentlich vor mehr Publikum. In Altenberg ist die Zahl der Besucher erbärmlich. Das ficht aber die Musiker nicht an, die sich bestens motiviert auf den dritten Teil des Abends vorbereiten. So viel Lächeln hat man, auch während des Spiels, in einem Orchester lange nicht gesehen.

Federico Cuevas, Sophia Arez, Veit Scholz und Markus Deuter – Foto © O-Ton

Für die Concertante in F-Dur hat sich Wilms etwas besonders Schönes einfallen lassen, wenn er die Bläser, die man sonst nur aus dem Pulk heraushört, aber kaum sieht, als Solisten vor das Orchester stellt. Hornist Federico Cuevas bekommt hier ordentlich Arbeit, ebenso wie die Leistung am Fagott für Veit Scholz schweißtreibend ist. Markus Deuter an der Oboe ist dankbar für die Einsatzhilfe Sperings, der die Solisten in seinem Rücken nicht alleine lässt. Und Sophia Arez hat sichtlich Spaß, ihre Virtuosität im Umgang mit der historischen Flöte in vorderster Front zu zeigen. Allen Orchestermitgliedern gelingt an diesem Abend zu zeigen, was der 50-jährige Wilms über die Musik zu sagen hatte. „Musik ist der lebendige Ausdruck innerer Empfindung, der, wie eine Universalsprache, auf der ganzen Welt verstanden wird. Kann eine Melodie schon viel ausdrücken und zum Herzen sprechen, welches Leben wird dem Entwurf durch Harmonie gegeben? Wenn beides durch das richtige Maß und den richtigen Rhythmus verbunden ist, dann kann dieser Strom von Tönen alle empfindsamen Seelen hinwegfegen.“

Ob an diesem Abend „Seelen hinweggefegt“ werden, ist schwer zu beurteilen, aber die Begeisterung des Publikums ist deutlich zu hören. Und so hat sich das Engagement des Orchesters auch für die wenigen Gäste auf jeden Fall gelohnt. Die nächste und letzte Aufführung findet am 2. Oktober im Ventana Köln statt.

Michael S. Zerban