O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Im Hass verfangen

IL TROVATORE
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
13. November 2021
(Premiere)

 

Staatstheater Nürnberg

Hass, Rache und Eifersucht – diese Trias sind die treibenden Kräfte in dieser auch als Dramma lirico bezeichneten Oper von Giuseppe Verdi. Da mutet es fast unheimlich an, dass der Librettist Salvadore Cammarano noch vor Vollendung des Troubadours plötzlich verstarb. Leone Emmanuele Bardare vollendete das Libretto. Verdi komponierte zu dem Libretto ebenso düstere wie mitreißende Musik. Neben Il Trovatore, der am 19. Januar 1853 in Rom uraufgeführt wurde, gehören seine erfolgreichen Werke Rigoletto von 1851 und La traviata, ebenfalls 1853 uraufgeführt, zu Verdis sogenannter trilogia popolare. Die Handlung spielt in Biscaya und Aragonien zu Beginn des 15. Jahrhunderts, kurz vor dem Ende des spanischen Bürgerkrieges 1413.

Zum Verständnis der Oper ist die Kenntnis der Vorgeschichte der Handlung wichtig. Der alte Graf von Aragón hatte zwei Söhne, Luna und Garcia. Garcia ist – wie Azucena erst am Ende der Oper enthüllt – niemand anders als Manrico. Garcia wurde als Kleinkind angeblich von einer Zigeunerin mit einem Zauber belegt, die deswegen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Aus Rache raubte deren Tochter, Azucena, den jungen Garcia, um ihn ihrerseits zu verbrennen; in einem Anflug von Wahn verbrannte sie aber versehentlich ihren eigenen Sohn und behielt Garcia bei sich, den sie unter dem Namen Manrico aufzieht. Die eigentliche Handlung ist trotz des verworrenen Librettos deutlich. Graf Luna und Manrico, die Brüder, die von ihrer gemeinsamen Herkunft nichts wissen, sind Totfeinde, und lieben dieselbe Frau: Leonora. George Bernard Shaw hat diese Konstellation einmal sehr trocken kommentiert: „Opera is when a tenor and a soprano want to make love and are prevented from doing so by a baritone“.

Im Mittelpunkt dieses Dramas aber steht die schmerzgepeinigte und traumatisierte Acuzena, die als Kind miterleben musste, wie ihre Mutter, eine Zigeunerin durch den Vater des Grafen Luna wegen angeblicher Hexerei verbrannt wurde. Dieses traumatische Erlebnis als Kind und ihre Rache, den Sohn des Grafen von Aragón zu verbrennen, dabei im Wahn ihr eigenes Kind tötete, das macht die Figur der Azucena zu einer tragischen Person, die ihres Lebens nicht mehr froh werden kann. Ihre Stimmung und innere Dramatik ändern sich laufend, das Libretto weist ihr tragische und ergreifende Szenen zu. Sie ist liebende Mutter und von wahnvoller Rachsucht zerfressen zugleich.

Leonora glaubt, Manrico sei getötet worden und will daraufhin ins Kloster. Manrico eilt ins Kloster und verhindert ihr Gelübde noch gerade rechtzeitig. Zwischen Manrico, dem als Troubadour verkleideten Anführer der Rebellen und dem Grafen Luna kommt es zum Duell, in dem Manrico zwar verletzt wird, der aber davon absieht, Luna zu töten und flieht. Azucena wird gefangen genommen und soll hingerichtet werden. Manrico versucht vergeblich, Acuzena zu befreien und wird ebenfalls zum Tode verurteilt. Leonora versucht vergeblich, sich für Manricos Begnadigung zu opfern. Luna verlangt sie als Preis, am Schluss entzieht sie sich dieser Erniedrigung durch Gift. Manrico glaubt, dass Leonora ihn mit dem Heiratsversprechen für den Conte betrogen hat, bis er realisiert, dass sie Gift genommen hat, um ihm treu zu bleiben. In ihrer Sterbeszene bekräftigt sie noch einmal ihren Willen, lieber zu sterben als einen anderen zu heiraten. Als Luna Manrico hinrichten lässt, offenbart Azucena ihm, dass er seinen eigenen Bruder getötet hat.

Dieses lyrische Drama wird nun in Nürnberg in einer straffen Fassung ohne Pause von Altmeister Peter Konwitschny als drastisches Psychodrama inszeniert. Und Konwitschny ist nicht dafür bekannt, sanft mit den Figuren der Handlung umzugehen. Er zeigt einerseits das Psychogramm einer tief traumatisierten Seele, indem er die Figur der Azucena in den Fokus stellt. Die Vergangenheit, die sie erleben musste, wird durch eine drastische Realität auf der Bühne dargestellt. Alles spielt in Dunkelheit, in der die Albträume zu grausamer Realität werden. Aber auch Graf Luna ist traumatisiert durch den Verlust seines Bruders als Kind, zerfressen von Rachegier und übersteigerter Eifersucht gegenüber Manrico, seinem Rivalen in der Liebe und Todfeind auf dem Schlachtfeld. Manrico selbst leidet an einem übersteigerten Mutterkomplex, dem er am Schluss seine Liebe zu Leonora opfert, um sich selbst für seine vermeintliche Mutter zu opfern. Lenora steht mit ihrer Unschuld und reinen Gefühlen für Manrico inmitten eines toxischen Dreieckverhältnisses, das am Ende ihr eigenes Leben fordert.

Konwitschny bedient sich eines tiefenpsychologischen Stilmittels, um die unterschiedlichen Ebenen der handelnden Personen untereinander zu beleuchten. Jede der vier Hauptpersonen hat zu Beginn der Oper eine große Handpuppe, die ihr Alter ego darstellt, und die stellvertretend für die Akteure handelt. Damit entsteht eine Distanz zu den handelnden Personen, die ihre ambivalenten Gefühle untereinander zunächst über die Puppen ausleben, die aber alle im Verlaufe der Handlung zerstört werden. Die Puppen wurden von Barbara und Günter Weinhold geschaffen. Das Bühnenbild von Timo Dentler ist ein altes großes Puppentheater, das inmitten der dunklen leeren Bühne steht. Die Handlung scheint von den Uniformen der Soldaten her in die Zeit des spanischen Bürgerkrieges in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts verlegt zu sein, die Kostüme stammen von Okarina Peter. Die Handlung der Oper, die auf acht Bilder verteilt ist, wird im Programmheft des Nürnberger Staatstheater mit sehr aktuellen Überschriften versehen. So heißt es im ersten Bild: „Rassistisches Warm-Up“. Schnell wird klar, Konwitschny bedient die klassischen Klischees von Soldaten. Sie sind rassistisch, frauenfeindlich und saufen sich Mut an und beobachten dabei wie Kinder das Puppenspiel im zweiten Bild. Zunächst ist es Leonora, die mit ihrer Puppe ihre Liebe zu dem unbekannten Ritter bekennt. Als Manrico dazukommt, sind es ihre beiden Puppen, die ihre Gefühle untereinander bis hin zur handfesten Auseinandersetzung austauschen. Als Luna dazu kommt, eskaliert die Situation, er sticht auf Manricos Puppe ein, reißt ihr den Kopf ab und bedroht Leonora mit dem Messer, während Manrico fliehen kann. Das dritte Bild ist das drastischste in dieser Inszenierung. Zu den Klängen des Zigeunerchors singen die Soldaten, und zum Hämmern der Ambosse schlagen sie mit ihren Schnapsflaschen rhythmisch auf den Boden und mutieren zu einem gewalttätigen Mob. Eine Zigeunerin, die ihren eigenen Scheiterhaufen auf die Bühne zieht, wird von den Soldaten geschändet, an den Pfahl gebunden und dann mit Benzin übergossen und angesteckt. Es ist Azucenas Mutter, die hier auf so bestialische Weise getötet wird, und dieses Bild hat sich in Azucenas Hirn wie ein Dämon eingebrannt. Technisch ist diese Szene genial gelöst, künstliche Flammen lodern hoch, während die Zigeunerin, großartig verkörpert von Monika Schrödel-Hecht, in Todesangst und unvorstellbaren Schmerzen wie ein Tier schreit.

Die Soldaten reihen sich vor dem brennenden Scheiterhaufen auf, und als die Flammen erloschen sind, erkennt man ein verkohltes Skelett. Konwitschny hat diese Szene so realistisch und drastisch dargestellt, dass man als Zuschauer tief berührt wird. Azucena erzählt anschließend Manrico mit ihrer Puppe das Schicksal ihrer Mutter. Auch hier lässt die Puppe etwas mehr emotionale Distanz zu. Am Schluss dieser Szene nimmt sie das verkohlte Skelett ihrer Mutter vom Scheiterhaufen und wiegt es wie ein kleines Kind in ihren Armen. Natürlich gab es zu Verdis Zeiten noch nicht die heute medizinisch anerkannte Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“, aber Menschen sind zu allen Zeiten durch Ereignisse wie Krieg, Vergewaltigung, Folter und Erniedrigung traumatisiert worden. In keiner Oper werden diese Traumatisierung und ihre Folgen so drastisch geschildert wie im Troubadour, und selten erlebt man die Umsetzung auf der Bühne so real wie bei Konwitschny. Das ist keine Effekthascherei, sondern eine sehr wort- und werkgetreue Umsetzung des Dramas auf die Bühne.

Es gibt aber auch einige komische Szenen, die die düstere Stimmung für Momente auflockert, wenn zum Beispiel das Puppenhaus zusammenkracht und die Nonnen, die Rebellen, wie Cowboys gekleidet, und die Soldaten aufeinandertreffen, da wird das Licht dann auch bunt, und die Szenerie wirkt surreal, Kai Luczak ist für die Lichtregie verantwortlich. Die Schlussszene ist radikal reduziert auf die Beziehungsebene. Vier Stühle stehen nebeneinander, während das zerstörte Puppenhaus im Dunkel der Bühne verschwindet. Erst sind es Manrico und Azucena, die auf ihre Hinrichtung warten, die sich außen auf die Stühle setzen. Dann kommt die sterbende Leonora hinzu, die vorher Gift genommen hat, und zuletzt setzt sich Luna auf den letzten freien Platz. Es gibt keine Handlung mehr, nur noch Dialoge. Die sterbende Leonora und Manrico gehen ab, und Azucena verkündet Luna, dass er seinen eigenen Bruder hat hinrichten lassen, um dann auch die Bühne zu verlassen. Zurück bleibt ein wahnsinnig gewordener Luna, dessen schauerliches Lachen die letzten dramatischen Takte der Musik überdauert und als letztes im Ohr des Zuschauers verbleibt. Ein psychologisch abgerundeter Schluss, der eine stringent eingängige und ansprechende Inszenierung beendet, deren Intensität auch durch den Pausenverzicht erhalten bleibt. Hier hat Konwitschny wieder einmal alle Register seines Könnens gezogen.

Musikalisch und sängerisch ist das ganz große Oper, was da in Nürnberg abgeliefert wird. Allen voran Dalia Schaechter, die mit ihrem warmem, aber in den dramatischen Höhen kraftvollem und ausdrucksstarkem Mezzosopran die Rolle der traumatisierten Azucena voller Intensität singt und spielt. In ihrem Gesichtsausdruck spiegeln sich ihre Leiden wider, hin- und hergerissen zwischen Schuld- und Rachegefühlen und der Liebe zu ihrem Ziehsohn. Ihre große Arie Stride la vampa singt sie mit großer Intensität, und sie hält die Spannung hoch bis zum letzten dramatischen Ausbruch, wenn sie ihre Mutter für gerächt hält. Angelos Samartzis, der vor der Aufführung noch als erkältet angekündigt wird, kann in der Rolle des Manrico seine große sängerische und schauspielerische Klasse unter Beweis stellen. Ob es im emotionalen Duett Mal reggendo all’aspro assalto mit Azucena ist, oder mit der lyrischen Arie Ah! si, ben mio und der sich anschließenden berühmten Stretta Di quella pira: Samartzis braucht mit seiner lyrisch-dramatischen Tenorstimme die Vergleiche zu großen Namen nicht zu scheuen. Er hat den Schmelz für Belcanto, aber auch den Stahl für die Dramatik. Emily Newton in der Rolle der Leonore ist mit ihrem lyrischen Sopran, der sowohl das Verträumte und Zarte ausdrücken kann als auch die dramatischen Höhen mühelos bewältigt, für diese Partie eine Idealbesetzung. Sehr berührend gesungen ihr Miserere. Sangmin Lee gibt den Grafen di Luna mit nobler Größe und edlem Bariton. Die Wärme in seiner Stimme verleiht dem Grafen mehr Menschlichkeit, als es die Rolle eigentlich hergibt. Insbesondere mit seiner großen Arie ll balen del suo sorriso zeigt er großes Gefühl. Ein Höhepunkt ist das Terzett Di geloso amor sprezzato, in dem Luna und Manrico um Leonora kämpfen. Hayoung Ra, Mitglied des Opernstudios, darf als Ines,  Vertraute Leonoras, mit ihrem leichten Sopran größere Bühnenerfahrung sammeln. Sergei Nikolaev als Ruiz und Nicolai Karnolsky als Ferrando reihen sich auf hohem Niveau in das großartige Sängerensemble ein. Chor und Extrachor sind, wie bei Konwitschny üblich, sehr spielfreudig, präsent und hervorragend von Tarmo Vaask eingestimmt.

Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von Lutz de Veer spielt einen zugkräftigen und farbenreichen Verdi mit großer Intensität und Leidenschaft. Am Schluss gibt es großen Jubel des Publikums, vor allem für die vier Hauptakteure, dem Chor, Orchester und Dirigenten. Aber auch das Regieteam um Peter Konwitschny darf den verdienten Jubel des Publikums entgegennehmen.

Es ist eine drastische, emotional anrührende Inszenierung, über die in Nürnberg und darüber hinaus sicher noch lange gesprochen werden wird.

Andreas H. Hölscher