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DIE SCHÖPFUNG
(Joseph Haydn)
Besuch am
6. Januar 2022
(Premiere am 4. Januar 2022)
Ein klassisches Neujahrskonzert beinhaltet meist Wiener Walzer, Polkas und Märsche, oder es ist ein bunter Strauß an Operettenmelodien, mit denen man heiter und froh das neue Jahr begrüßt. Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von Joana Mallwitz wählt ganz bewusst einen anderen Weg. Unter der Überschrift Neubeginn erklingt zum Jahresbeginn im Staatstheater Nürnberg ein Alterswerk von Joseph Haydn, Die Schöpfung. Bereits ein Jahr zuvor hatten die Planungen begonnen, um dieses Oratorium in einem Zeitraum von vier Tagen gleich fünfmal zu präsentieren, am Dreikönigstag sogar als Doppelvorstellung. Damals hatte man noch die Hoffnung, dass die Pandemie zum Jahresbeginn 2022 eingedämmt sei und man wieder komplett vor vollem Hause spielen könne. Es sollte ein echter Neubeginn werden, auch für die durch die Pandemie arg gebeutelte Kulturszene. Und was steht mehr für einen Neubeginn als die Schöpfung an sich, der Beginn alles Lebens? In Ihrer kurzen Begrüßung erläutert Joana Mallwitz die Beweggründe, Haydns Schöpfung als Neujahrskonzert zu präsentieren. Doch die Realität hat natürlich die Hoffnung zunichte gemacht, vor vollem Haus spielen zu können. 25 Prozent Auslastung ist momentan zulässig, so dass etwa 350 Zuschauer maximal pro Vorstellung zugelassen wurden. Um so wichtiger ist es, dass überhaupt gespielt wird und mit diesem Oratorium auch ein nachdenkenswerter Weg gegangen wird, sich nicht nur von schönen Melodien zum Jahresbeginn berieseln zu lassen, sondern etwas tiefgründiger zu reflektieren.
Das Werk von Joseph Haydn entstand von 1796 bis 1798 als drittes seiner vier Oratorien. Es thematisiert die Erschaffung der Welt, wie sie im ersten Kapitel der Genesis erzählt wird. Es folgt den dort genannten Werken Gottes an den Tagen eins bis sechs, führt aber statt des siebten Tages eine Betrachtung der ersten Menschen im Paradies aus, das sind die letzten fünf der insgesamt 34 Musiknummern dieses Werkes. Haydn wurde wohl bei seinen England-Besuchen zwischen 1791 und 1795 zur Komposition eines großen Oratoriums angeregt, als er die Oratorien von Georg Friedrich Händel in großer Besetzung hörte. Es ist wahrscheinlich, dass er versuchen wollte, durch den Einsatz der Musiksprache der reifen Wiener Klassik ähnlich gewichtige Resultate zu erreichen. Haydn gilt bis heute als der Vater der Wiener Klassik.
Foto © O-Ton
Als Ältester in der Komponistenreihe Haydn, Mozart und Beethoven ist er sowohl Pionier als auch ihr Vollender. Als Mozart geboren wurde, war Haydn schon fast 24 Jahre alt, und er sollte dieses Musikgenie um über siebzehn Jahre überleben. Als Haydn starb, war Beethoven im 40. Lebensjahr und hatte kurz zuvor seine sechste Sinfonie, die Pastorale veröffentlicht. Dass Haydn Mozart und Beethoven beeinflusst hat, ist augenscheinlich, aber auch deren Werke hatten wiederum Einfluss auf Haydns Schaffen, vor allem auf seine Spätwerke. Und wer den Arien und Duetten in der Schöpfung folgt und nicht um Haydns Musikstil weiß, der glaubt an manchen Stellen Mozart zu hören, während die großen Orchesterstellen schon Beethovensches Format haben. Haydns Gesamtwerk, das sich von der Barockmusik bis in die Klassik erstreckt und besonders durch seine 107 Sinfonien geprägt wird, umfasst mehr als 1000 Werke. Die Schöpfung sticht dabei als eines seiner Meisterwerke heraus, das von besonderer Schönheit und immerwährender Bedeutung ist. Haydns frühes musikalisches Leben ist nur durch wenige Stationen geprägt. Aus dörflichen Verhältnissen führt seine musikalische Laufbahn über das Chorknabenstift von St. Stephan in Wien und die Betätigung als freischaffender Musiker bis in die Dienstverhältnisse der wohlhabenden und kunstliebenden ungarischen Fürstenfamilie Esterházy, wo er den größten Teil seines Lebens als Hofmusiker verbrachte. Erst im Alter von beinahe 60 Jahren konnte Haydn aus dem Schatten seines höfischen Dienstverhältnisses heraustreten. Nach dem Tod seines Dienstherrn, Fürst Nicolaus I., wurden Haydn und die Hofkapelle entlassen, und so stand für Haydn der Weg offen, seinen internationalen Ruhm auszukosten.
Dieser Weg führte ihn nach England. Der in London ansässige Geiger und Konzertveranstalter Johann Peter Salomon lud Haydn für zwei Aufenthalte ein. In London wurde Haydn schnell zum Mittelpunkt des Musikgeschehens, und es wurde ihm nicht ohne Stolz bewusst, dass aus dem Kapellmeister einer kleinen österreichischen Residenz ein international bekannter Meister geworden war. „Meine Sprache versteht man in der ganzen Welt“, sagte er einst zu Mozart. Der Katholik Haydn fand in dem äußert inspirativen Thema eine grundlegende tiefreligiöse Erfahrung, die ihn in seiner Arbeit bestärkte: „Ich war auch nie so fromm, als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete; täglich fiel ich auf meine Knie nieder und bat Gott, dass er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte.“ Die Uraufführung der Schöpfung fand am 29. April 1798 vor einer geschlossenen Gesellschaft, den Assoziierten Kavalieren um Gottfried van Swieten, einem musikalischen Mäzen und Förderer, der mit allen bedeutenden Musikern der Wiener Klassik verkehrte, statt. Ein Jahr später übertraf die erste öffentliche Aufführung am alten Wiener Burgtheater die Uraufführung noch an Erfolg, und so begann für das Oratorium ein Siegeszug durch die Konzertsäle Europas. Der Abend wurde in den Memoiren eines schwedischen Musikers wie folgt beschrieben: „Zwischen den Abschnitten brach jedes Mal stürmischer Applaus aus. Während der Abschnitte herrschte Todesstille. Am Ende der Aufführung riefen einige: ,Wir wollen Papa Haydn!‘ Schließlich kam der alte Mann auf die Bühne und wurde laut begrüßt: ,Es lebe Papa Haydn! Es lebe die Musik!‘ Alle kaiserlichen Majestäten waren anwesend und riefen zusammen mit der Menge: ,Bravo!‘“
Die Schöpfung stellt einen Höhepunkt in Haydns Schaffen dar und verdeutlicht seinen Einfluss auf die musikalischen Entwicklungen, brach Haydn doch mit der traditionellen Vorherrschaft der Arien und räumte dem Chor eine deutlich größere Bedeutung ein. Haydns weltweiter Erfolg ebnete den Weg zu einem neuen Chororatorium, das sich außerhalb des sakralen Raums ansiedelte, wodurch der Konzertsaal zum beliebten Aufführungsort avancierte. Die Schöpfung wurde ein fester Bestandteil des klassischen Repertoires und gilt bis heute als zentrales Werk des Genres. Das eigentliche Schöpfungsgeschehen wird mit den Worten der Genesis in Rezitativen berichtet, während in Arien und Chorälen Texte zur Ausschmückung der biblischen Handlung gewählt wurden. Das Besondere an diesem Libretto ist, dass es sich mit dem Wunderwerk der Schöpfung beschäftigt, den Sündenfall jedoch ausklammert. Die Schöpfungsgeschichte wird von den drei Erzengeln Gabriel, Uriel und Raphael berichtet. Unterstützt werden sie vom Chor, der anfangs als Chor der Engel zunehmend zum Chor der von Gott geschaffenen Natur wird. Abwechselnd berichten die drei Erzengel davon, wie Tag für Tag Neues entsteht, während der Chor vor allem am Ende der jeweiligen Schöpfungstage in Erscheinung tritt. In seinen oft monumentalen Chorpassagen wird die Schöpfungsleistung in vollem Lobgesang gepriesen. Der Aufbau des Oratoriums ist dreigeteilt. Die eigentliche Schöpfungsgeschichte findet sich in den ersten beiden Teilen, während der dritte Teil das Leben der ersten Menschen thematisiert und in zwei abschließenden Lob- und Dankeschören gipfelt.
Die Aufführung in Nürnberg gelingt zu einem großartigen, monumentalen Werk, in dem Orchester, Chor und Solisten ebenbürtig sind und sich ganz in den Dienst des Werkes stellen. Doch die dramaturgischen Fäden dieser Schöpfung hält Joana Mallwitz in den Händen. Schon die Ouvertüre, die zunächst das Chaos symbolisiert, wird von ihr mit getragenem Tempo geordnet. Es ist fast so, als ob sie selbst eine eigene Schöpfung kreiert, in der sich alle Teile des Gesamtensembles entwickeln und ihren Platz einnehmen. Mallwitz nimmt die Schöpfung wörtlich, und gibt somit dem Orchester, dem Chor und den Solisten genügend Spielraum für ihre eigene Genesis.
Foto © O-Ton
Und die Solisten an diesem Abend brauchen sich vor keiner großen Aufnahme des Werkes zu verstecken, das ist allererste Güte, was hier zum Einsatz kommt. Alle eint eine enorme Sangesfreude und Gestaltung ihrer Rollen, als ob sie tatsächlich mit der Musik etwas Neues schaffen. Andromahi Raptis als Erzengel Gabriel begeistert mit ihrem zarten lyrischen Sopran, der sich in leuchtende Höhen schraubt und dennoch immer sehr textverständlich bleibt. Martin Platz als Erzengel Uriel ist für das Oratorium eine Idealbesetzung. Sein schöner Mozart-Tenor ist kräftig in der Anlage mit einer guten Mittellage und bleibt in den Höhen strahlend. Seine Erfahrungen auch als Liedsänger kommen ihm hier zugute. Eine besondere Erscheinung ist Jochen Kupfer als Erzengel Raphael. Sein markanter und ausdrucksstarker Bassbariton verleiht ihm eine schon fast edle Aura. Nicht nur gesanglich beeindruckt Kupfer in seinen Passagen. Im Rezitativ 21 „Und Gott sprach: Es bringe die Erde hervor lebende Geschöpfe“ verleiht er den einzelnen besungenen Kreaturen fast eine eigene Stimme, was er mit einer wunderbaren Mimik auch optisch noch unterstreicht. Besser kann man so eine Passage nicht mehr singen. Der Chor bringt sich mit einem großen Klanghymnus und stimmlich sehr differenziert in das Oratorium ein und verleiht vor allem den großen Finalstellen mit den Solisten einen ganz besonderen Stellenwert. Im kurzen dritten Teil kommen dann noch mit Adam und Eva die ersten Menschen zu Wort. Julia Grüter als Eva bezaubert mit ihrem ausdrucksstarken lyrischen Sopran, ihren leuchtenden Höhen und ihrer ganzen Ausstrahlung. Einen herrlich komischen Moment gibt es bei ihrem Rezitativ 32 im Duett mit Adam: „Nun ist die erste Pflicht erfüllt.“ Hier sagt Eva zu Adam „Dein Wille ist mir Gesetz“. An dieser musikalisch herrlichen Szene dreht sich Joana Mallwitz mit einem vielsagenden Blick zu dem Duo vor sich um, als ob sie sagen wollte, „Leute, dieser Text ist ja wohl nicht mehr zeitgemäß!“ Allgemeine Heiterkeit im Publikum.
Samuel Hasselhorn hat sich schon in jungen Jahren einen Namen als Bariton gemacht, und mit seinem edlen Timbre und kräftigem Ausdruck ist er, der auch schon über Liederfahrung verfügt, mit der Partie des Adam ideal besetzt und ergänzt sich mit Julia Grüters Sopran in formvoller Harmonie, was vor allem in dem wunderbaren Duett Holde Gattin, dir zu Seite zu vernehmen ist. Der Chor des Staatstheaters Nürnberg ist von Tarmo Vaask formidabel eingestimmt und hat großen Anteil am Gelingen der Schöpfung. Die Staatsphilharmonie Nürnberg ist an diesem Abend in großer Spiellaune und begeistert vor allem in den wenigen sinfonischen Elementen. Der warme Klang der Streicher, die harmonischen Holzbläser und die starken und sauber intonierenden Blechbläser machen aus diesem Oratorium ein besonderes Erlebnis, das durch die Spielfreude der Musiker noch einmal verstärkt wird. Im Mittelpunkt der Aufführung steht Mallwitz. Mit ihrem zupackenden und dynamischen Dirigierstil, einem leicht tänzelnden Gestus, sowohl in der Schulter als auch im Handgelenk, frei von Show und Effekthascherei, und einem Schlag, der mehr wie eine Umarmung des Orchesters denn preußische Taktgeberei ist, weiß Mallwitz ihr Orchester harmonisch zu leiten, Chor und Solisten harmonisch zu integrieren, und das immer mit einem Lächeln auf den Lippen.
Am Schluss der Aufführung gibt es verdienten Jubel für das ganze Ensemble. Mit diesem Oratorium als Neujahrskonzert gelingt der Staatsoper Nürnberg ein hoffnungsvoller Neubeginn, der Kraft und Zuversicht spendet, für gut zwei Stunden die Pandemie vergessen macht und mit wunderbarer Musik der Schöpfung allen Lebens ohne moralisierenden Zeigefinger oder Besserwisserei gedenkt. Ein Moment purer Freude und des Genusses.
Andreas H. Hölscher