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LA GROTTA DI CALYPSO
(Peter von Winter)
Gesehen am
4. April 2020
(Video)
Seit 1974 bereits existiert die Pocket Opera Company. Gegründet wurde sie damals vom inzwischen verstorbenen David Seaman, der zu der Zeit als Kapellmeister am Nürnberger Opernhaus wirkte, und dem Regisseur Peter Beat Wyrsch. Seit 2003 hat Franz Killer die künstlerische und musikalische Leitung inne, der sich vor allem für die zeitgenössische Oper einsetzt. Das Ensemble fällt immer wieder durch ungewöhnliche Programme, Arrangements und Spielorte auf.
So wurde am 11. und 15. September 2015 die Oper La grotta di Calypso von Peter von Winter aus dem Jahr 1803 im Alten Langwasserbad in Nürnberg aufgeführt. Dramaturg Florian Reichart ist nicht nur theater-, sondern auch ausgesprochen medienaffin, und so zeichnete er die Aufführungen auf. Jetzt wird das Video bei YouTube ausgestrahlt. Ein solches Video erstellt man nicht so im Vorübergehen. Da vergehen viele Stunden, bis die Aufzeichnung tatsächlich sendefertig ist. Da ist es bedauerlich, dass Reichart nicht noch die drei Stunden drangehängt hat, um den Film mit Untertiteln zu versehen. Denn eine Aufnahme im Hallenbad hat ihre Tücken in akustischer wie in optischer Hinsicht. Vor allem dann, wenn man an Mikrofonen spart, wie hier geschehen. Da versickern ganze Textpassagen im Nirwana oder werden vom Geplantsche übertönt. Auch optisch bleibt die Aufzeichnung hinter den Erwartungen zurück. Mit lichtschwachen Optiken in diffus ausgeleuchteten Räumen zu arbeiten, rächt sich immer. Und so muss man hier manches mehr erahnen, als es zu sehen ist. Im Vollbildmodus geht gar nichts mehr. Gerettet hat die Aufzeichnung letztlich der gute Schnitt und das Geschehen im Bad.
Die Oper findet man zu Recht nicht auf den Bühnen großer Häuser oder Stadttheater. Sie ist weder musikalisch noch inhaltlich besonders anspruchsvoll, bietet allenfalls für die Sänger das eine oder andere Bravourstück. Für die Spielstätte allerdings scheint sie wie gemacht. Zumindest dann, wenn Killer und Reichart sie inszenieren.
Foto © Florian Reichart
Odysseus‘ Sohn Telemach und sein Weggefährte Mentor erleiden in der Nähe der Insel Ogygia Schiffbruch. Telemach, in dem Glauben, seinen Freund ans Meer verloren zu haben, trifft am Strand auf die Nymphe Eucaris. Doch es dauert nicht lange, bis die Göttin der Insel, Calypso, ein Auge auf den gestrandeten Seefahrer wirft. Im Hallenbad wird aus der Nymphe eine singende Putzfrau, aus Mentor ein neonfarbener Taucher, Telemach wird von Eucaris tot im hellblauen Neopren aus dem Wasser gezogen und wiederbelebt, und Calypso wird zur barocken Herrscherin im voluminösen Reifrock-Kleid – das es ihr ermöglicht, auf dem Wasser zu gehen. Für die farbenfrohen Kostüme hat Evelyn Straulino gesorgt. Der Chor taucht im privaten Badekostüm in die Fluten und kleidet sich ansonsten in weiße Bademäntel. Die Schwimmerinnen, die für im sportlichen Sinne ansprechende Einlagen in den Intermezzi sorgen, sind in pinkfarbene Badeanzüge gekleidet.
Darstellerisch wird vor allem den Sängern einiges abverlangt. Zwar hat Calypso ausreichend Bewegungsfreiheit, aber das Kostüm zu bewegen, erfordert sicher einigen Kraftaufwand. Stimmlich lässt sich Gertrud Demmler-Schwab das nicht anmerken. Ihr Sopran gelangt spielerisch in die gewünschten Höhen und klang bei der Aufführung sicher höchst eindrucksvoll. Constanze Wagner steht ihr als Eucaris sicher nicht nach, auch wenn sie es im luftigen Putzkittel ungleich leichter hat. Als Telemach gelangt Tenor Markus Zapp auch in die Nähe des Mikrofons und hinterlässt dort stimmlich einen hervorragenden Eindruck. Einmal auf dem Wasser zu liegen und eine Arie zu singen, hätte sich Bariton Robert Eller zu Beginn seiner Sängerlaufbahn sicher auch nicht träumen lassen; aber es gelingt ihm bewundernswert. Auch der Motettenchor Nürnberg zeigt schwimmend besondere sängerische Fähigkeiten.
Killer hat die Musik neu arrangiert und das Orchester interessant aufgestellt. Gert Kaiser wirkt am Sopransaxofon, Sandra Engel mit dem Altsaxofon, Stefan Frank ist für das Tenor-, Heymo Hirschmann für das Baritonsaxofon zuständig und Axel Dinkelmeyer unterstützt die Saxofonisten am Schlagzeug. Das klingt erst mal so ein bisschen nach Augsburger Puppenkiste und verleiht dem Liebesdrama eine leicht komische Note, ohne albern zu werden. So ganz nebenbei hat der Dirigent sich auch Ausflüge in andere Zeiten erlaubt: Yellow Submarine sorgt beim Publikum für Begeisterung. Da darf man ja auch mal mitsingen.
Nach eineinviertel Stunden kommt das Geschehen zum glücklichen Ende. Wer schon einmal eine Aufführung in einem Hallenbad miterlebt hat, weiß, wie eindrucksvoll dieser Abend live gewesen sein muss und wird sich mit dem Publikum über die starke Leistung aller erfreuen. Beim Publikum vor den Monitoren herrscht wohl eher Misstrauen vor. Mehr als 60 Zuschauer haben sich an diesem Abend nicht eingefunden. Ein Grund mehr für die Pocket Opera Company, sich darauf zu freuen, endlich wieder auf der Bühne stehen zu können. Geplant ist für den 28. Juni die Wiederaufnahme von L’ombra dell’amore – Orfeo ed Euridice nach Christoph Willibald Gluck im Deutschen Hirtenmuseum Hersbruck – klingt ja schon wieder nach einer ganz besonderen Spielstätte.
Michael S. Zerban