O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Krieg im Archiv

DIE GROßHERZOGIN VON GEROLSTEIN
(Jacques Offenbach)

Besuch am
12. März 2023
(Premiere am 4. März 2023)

 

Staatstheater Nürnberg

Es ist schon manchmal komisch mit diesem herrlichen Genre Operette. Da liegt ein Werk oft Jahre, manchmal Jahrzehnte in der Versenkung, und dann wird es wiederentdeckt und erlebt so etwas wie eine Renaissance. Das passiert gerade mit der Operette Die Großherzogin von Gerolstein von Jaques Offenbach, die innerhalb weniger Monate in Graz, München und nun in Nürnberg ihre Premiere feiern durfte. Diese Operette ist eine knallbunte Satire auf Militarismus, Günstlingswesen, Kleinstaaterei und Provinzialismus, die Offenbach auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1867 quasi als „Kulturbeitrag“ zur Pariser Weltausstellung präsentierte. Im Mittelpunkt steht die Großherzogin des fiktiven Kleinstaates Gerolstein, die ein besonderes Faible für Soldaten hat, insbesondere deren Uniformen ziehen sie magisch an. Wenn sie dann deren Reizen erliegt, kann es schnell brisant und skurril werden. Dann wird innerhalb weniger Augenblicke ein einfacher Soldat zum kommandierenden General, Hofschranzen zittern um ihren Einfluss, und Kriege werden ganz nach Lust und Laune angezettelt. Doch wehe, wenn das Objekt der staatenlenkenden Begierde ganz andere Pläne verfolgt, dann kann es genauso schnell wieder in die andere Richtung gehen. Der einfache Soldat Fritz hat es ihr besonders angetan, und so macht sie ihn erst zum Oberst, später sogar zum adligen General – doch da er den Avancen der Großherzogin widersteht und nur Augen für seine Wanda hat, rutscht er nach einem Komplott die großherzogliche Karriereleiter schnell wieder herunter, natürlich unter tatkräftiger Mithilfe der intriganten Hofschranzen Baron Puck, Nepomuk und dem verpeilten General Bumm, der seine Vormachtstellung an Fritz verloren hatte. Dieses Werk ist eine bitterböse Persiflage, die Militarismus, Vetternwirtschaft und Opportunismus genüsslich auf die Schippe nimmt und seit der Uraufführung 1867 zur Zeit der Pariser Weltausstellung Erfolge feiert. Damit sind alle Zutaten gegeben, um ein herrliches Spektakel auf die Bühne zu bringen.

Leider versäumt es das Staatstheater Nürnberg, dieser genialen Offenbachiade zu folgen. Stattdessen wird ein über drei Stunden langer Mix unterschiedlicher Fassungen angeboten, mit unnötigen Längen, die den Spannungsbogen immer wieder bremst. Regisseur Andreas Kriegenburg verlegt das Setting in ein riesiges Staatsarchiv. Das Bühnenbild besteht aus meterhohen Karteischränken mit hunderten von Schubladen, gestaltet hat das Harald Thor. Die Soldaten sind alles Archivare. Ihre Uniformen sind mausgraue Anzüge oder Röcke mit Ärmelschonern, alle tragen eine schwarze Einheits-Pagenfrisur, für die wohl Mireille Mathieu als Patin Modell gestanden hat. Ein einheitliches Kassenbrillengestell komplettiert den austauschbaren Einheitsarchivar. Die Kostüme wurden von Andrea Schraad entworfen. Damit wird schnell klar, diese Inszenierung ist eine Persiflage einer Operette, die an sich ja schon diesen Tatbestand erfüllt. Aber die doppelte Persiflage zündet nicht, Kriegenburg ergeht sich zwar in viel Slapstick, was durchaus witzig ist, aber das Stück funktioniert nicht. Was die dem Alkohol zugeneigte Großherzogin, zunächst im beigefarbenen Hosenanzug, später im roten Ballkleid an diesem linkischen spätpubertierenden Archivar-Anwärter Fritz findet, erschließt sich nicht. Prinz Paul im kanariengelben Hausanzug und Baron Grog im orangefarbenen Anzug bringen zwar optisch Farbe ins Spiel, unterscheiden sich aber in der Dynamik nicht wirklich von der grauen Masse. Lediglich Wanda wird hier nicht als handzahmes Mäuschen dargestellt, sondern als eine auf Krawall gebürstete Kratzbürste, die sowohl ihrem Verlobten Fritz als auch der Großherzogin deutlich signalisiert, wer hier das Sagen hat. Herrlich ihr Wutausbruch, der dann in englischem Slang über die Bühne kommt. Einer der wenigen wirklich komischen Momente.

Auch der Text, teilweise mit Anspielungen auf die heutige Zeit, passt nicht wirklich. Der Federbusch des General Bumm ist ein Federchen am Revers seines Jacketts, der Degen dem „Germanischen Nationalmuseum“ Nürnberg entliehen. Die böse Persiflage auf das Militär und den Militarismus findet gar nicht statt, und damit wird dieser Operette der tiefere Sinn und die Seele genommen. Die „Schlacht“ spielt sich im Archiv ab, es ist der Krieg gegen Unordnung und Chaos. Die Archivare bringen Ordnung und dokumentieren jedes Wort, die Stasi lässt grüßen. Nepomuk, der Ober-Archivar, gibt zu Beginn, noch vor der Ouvertüre, einen minutenlangen Redeschwall von sich über Sinn und Unsinn des Archivwesens, den weder die Archivare noch das Publikum verstehen.

Die erotischen Komponenten, bei Offenbach immer ein belebendes Element, kommen fast gar nicht vor. Einmal darf die Großherzogin etwas Bein zeigen, das ist dann auch schon alles. Wo ist das erotische Knistern, wenn eine reife Frau sich in einen jungen feschen Kerl verliebt? Fehlanzeige. Stattdessen Krokodilstränen wegen der unerfüllten Liebe, da hat Kriegenburg, der mit der Inszenierung sein Operettendebüt gibt, die Intention Offenbachs und seiner Librettisten nicht verstanden. Die Großherzogin verliebt sich nicht, die nimmt sich einfach den Soldaten, weil sie es will und weil sie es kann. Im direkten Vergleich zur Münchner Neuinszenierung am Gärtnerplatztheater, wo Staatsintendant Josef E. Köpplinger mit seiner manchmal überzogenen, schrillen, skurrilen und queeren Inszenierung einen großen Erfolg feiern konnte, ist diese Produktion so mausgrau wie die Kostüme, da helfen auch gutgemeinte Witze nicht. Was die Produktion dann rettet, das ist die musikalische und die sängerische Darbietung der Protagonisten.

Eleonore Marguerre in der Rolle der Großherzogin weiß mit dynamischem Spiel und schönem Gesang zu überzeugen, sie ist ein Hauptgarant dafür, dass der Abend nicht vollständig floppt.  Martin Platz lässt mit leichtem Buffo-Tenor und witzigem Spiel als Fritz aufhorchen, Chloë Morgan beeindruckt an diesem Abend als Wanda mit wohlklingendem Sopran und Charakterspiel. Sergei Nikolaev bleibt als Prinz Paul blass, Hans Gröning beeindruckt als General Bumm mit kraftvollem Bariton, dagegen schränkt die Anlage seiner Rolle sein Spiel deutlich ein. Kammerschauspieler Pius Maria Cüppers als Nepomuk ist durch sein komisches Spiel zwar für sich alleine schon das Eintrittsgeld wert, doch auch er kann die insgesamt maue Spielanlage nicht retten. Da Michael Fischer kurzfristig erkrankte, muss die Rolle des Haushofmeisters Baron Puck gesplittet werden. Der Schauspieler Yascha Finn Nolting spielt und spricht die intrigante Rolle souverän mit Textbuch in der Hand, während Gunnar Frietsch, der die Rolle auch in München gegeben hat, mit ausdrucksstarkem Bariton aus der Seitenloge heraus den Gesangspart übernimmt. Der junge Mats Roolvink, Mitglied des Internationalen Opernstudios, lässt als Baron Grog mit markantem Bass-Bariton aufhorchen. Diese Stimme hat Potenzial!

Lutz de Veer leitet die Staatsphilharmonie Nürnberg mit viel Gefühl für die typischen Rhythmen Offenbachs mit den schnellen Wechseln von Militärmarsch, Couplet, Arie und Chorgesang und sorgt für Spritzigkeit und farbenfrohen Klang im Orchestergraben. Der Chor des Staatstheaters Nürnberg ist von Tarmo Vaask  gut eingestimmt und gibt als Höhepunkt eine Tanzeinlage mit Aktenordnern.

Am Schluss gibt es im nicht ganz vollen Haus großen Jubel für alle Protagonisten. Es ist eine schräge Inszenierung mit viel Slapstick und komischen Einlagen, die aber den Kern der Operette nicht trifft und durch den Mix verschiedener Fassungen und der Verlagerung ins mausgraue Staatsarchivar nicht wirklich zündet. Schade, da hätte man mehr draus machen können.

Andreas H. Hölscher