O-Ton

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Foto © Bettina Stöß

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Kein Frosch

DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauss)

Besuch am
25. November 2023
(Premiere)

 

Staatstheater Nürnberg

Was erwartet ein Zuschauer heute, wenn er voller Vorfreude eine Neuinszenierung von Johann Strauss‘ genialer Operette Die Fledermaus besucht? Natürlich Champagnerlaune, sprühende Gags und ein musikalisches Schwelgen in den seit fast 150 Jahren unverändert zündenden Melodien. Kurzum, eine Herausforderung für jedes Theater, denn, bitte schön, unterschätzt Die Fledermaus und das Genre Operette nicht. Nicht alles, was leicht und beschwingt klingt, ist auch leicht auf die Bühne zu bringen. Und gerade bei der Fledermaus ist die Gefahr groß, durch überzogene Gags, schrille Performance und oberflächliches Dirigat den Zauber dieses Meisterwerkes der Goldenen Operette zu konterkarikieren. In Nürnberg durfte man jetzt gespannt sein, wie Regisseur Marco Štorman das Sujet angehen würde. Er inszeniert zum zweiten Mal in Nürnberg: Auf Richard Strauss‘ Rosenkavalier folgt jetzt Die Fledermaus von Johann Strauß. Mit dem Rosenkavalier in Nürnberg war Štorman kein großer Wurf gelungen, und auch seine Götterdämmerung in Stuttgart ist sehr umstritten. Vielleicht auch ein Grund, warum das Nürnberger Publikum beim Kartenkauf eher zurückhaltend war, die Premiere ist nicht ganz ausverkauft, was für dieses Werk schon eine Überraschung ist, denn Die Fledermaus gilt als das Paradestück der Operette.

Das Werk ist eine witzige und zugleich bitterböse Komödie über die bürgerliche Gesellschaft. Strauß entlarvt darin humorvoll die Wünsche und Träume des Bürgertums und reiht einen musikalischen Hit an den anderen. In dem Operetten-Klassiker ist keine Figur das, was sie vorgibt zu sein. Alle belügen und betrügen sich gegenseitig. Rache treibt die Handlung voran und Schadenfreude sorgt für ausgelassene Heiterkeit. „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!“ Das singt Alfred, und es ist das Leitmotiv des Werks. Doch so einfach ist es nicht. Falke kann nicht vergessen, welche Schmach ihm vor Jahren zugefügt wurde, und inszeniert genüsslich seine „Rache der Fledermaus“. Sie führt Gabriel von Eisenstein auf den Ball des Prinzen Orlowsky. Dort regiert der Champagner, und die Gäste betrügen nicht nur ihr Gegenüber, sondern auch sich selbst.

Das Libretto der Operette geht auf das Lustspiel in vier Aufzügen Das Gefängnis des Leipziger Schriftstellers Roderich Benedix zurück. Daraus wiederum entstand das Lustspiel Le Réveillon des französischen Autorenduos Henri Meilhac und Ludovic Halévy. Der in Wien tätige Kapellmeister, Komponist und Librettist Richard Genée formte daraus ein kompaktes, operettentaugliches Stück. Insbesondere machte er ein rauschendes Fest bei einem russischen Großfürsten zum Mittelpunkt des Werkes, um das sich die Intrigen von Eisenstein und Falke entwickeln. Die Musik soll in den wesentlichen Teilen innerhalb von 42 Tagen im Sommer 1873 entstanden sein, wobei Strauss hauptsächlich als Urheber der Melodien in Erscheinung trat, während große Teile der Instrumentierung von Genée ausgeführt wurden. Ein Musikstück aus dem neuen Werk wurde bei einem Wohltätigkeitskonzert im Oktober 1873 erstmals dem Wiener Publikum vorgestellt. Das war der Csárdás aus dem zweiten Akt. Er und die Ouvertüre sind die einzigen musikalischen Teile, die vollständig von Johann Strauss komponiert wurden. Wegen des großen Erfolges der Csárdás-Aufführung wurde die Uraufführung der gesamten Operette rasch vorangetrieben, musste aber infolge der inzwischen ausgebrochenen Wirtschaftskrise mehrfach verschoben werden. Schließlich ging sie am 5. April 1874, unter der musikalischen Leitung des Komponisten, im Theater an der Wien über die Bühne.

Wie also würde Štorman nun die Operette anlegen? Eine klassische Interpretation ist eher nicht zu erwarten. Als der Vorhang sich wohltuend erst nach der Ouvertüre öffnet, schaut man in ein Großraumbüro zu Beginn der 1990-er Jahre. Wenig Charme, viel Holz, viele Schreibtische und Aktenordner. Im Hintergrund zwei Aufzüge, deren Türen sich stets mit einem nervenden lauten Ton öffnen. Bühnenbild und Kostüme stammen von Márton Ágh. Adele, in einem beigefarbenen Kostüm mit dicker schwarzer Hornbrille, nennt sich „Executive Assistant and Office Manager“, und auch in ihrem Auftrittslied wird aus der „Kammerzofe“ eine „Assistentin“. Schnell wird klar, hier geht es um Hierarchien im Büro, wer hintergeht wen? Rosalinde ist als Ehefrau des Bürochefs Eisenstein diejenige, die im Hintergrund dafür sorgt, dass der Laden läuft. Ein ellenlanges Fax aus einem hinterwäldlerischen Gerät bringt die ganze Intrige in Fahrt, die Einladung zu einem Galadinner bei Orlofsky.  Adele reißt mit einem lauten Triller ihrer ersten Koloratur die am Schreibtisch in Gedanken versunkene Rosalinde aus ihren Träumen. Den ersten richtigen Gag reißt Štorman mit dem Auftritt von Alfred im Stile des Cola-Light-Man, der in den 90-er Jahren als verschwitzter Fensterputzer, der eine eiskalte Cola genüsslich trinkt, Frauenherzen in einem Großraumbüro höher schlagen ließ. Dieser Alfred, in Latzhose und T-Shirt, imitiert dazu noch die Geräusche des Zischens des Öffnens der Coladose und das Glucken beim Trinken. Das erheitert das Publikum, wirkt aber doch sehr trivial. Adele, in bravem Midi-Rock mit Stiefeln und Lederjacke, fängt aber auch gleich für diesen Draufgängertyp an zu schwärmen, streng beobachtet von einer Office Managerin, die Štorman als stumme Rolle eingefügt hat. Zudem klingelt ständig das Telefon, und das viele Faxpapier wird langatmig zerrissen.

Eisensteins Auftritt mit seinem Advokaten hat Comedy-Potenzial, der Bürochef hat eine cholerische Ader, während der galante Falke eher etwas ruhig bleibt. Eine Anspielung auf die zeitliche Verortung der Inszenierung ist auch der Zauberwürfel von Rubik, den Eisenstein vergeblich versucht zu entschlüsseln. Der Gefängnisdirektor Frank ist hier der Sicherheitschef für „Interne Angelegenheiten“, gekleidet als „Man in Black“. So ist der erste Akt durchaus bunt und kurzweilig.

Der zweite Akt spielt auf einem Kreuzfahrtschiff, mit einer illustren Gesellschaft, die auf das Dinner mit Orlovsky wartet. Der reiche russische Prinz wird ja klassischerweise von einem Mezzosopran gesungen, in dieser Inszenierung ist Orlovsky aber eine erfolgreiche Geschäftsfrau im Nadelstreifenanzug. Der erste Teil des zweiten Aktes verläuft noch ganz konventionell, das ändert sich aber mit dem Auftritt Rosalindes als unbekannte ungarische Gräfin. Sie wird mit einem Hubschrauber auf das Schiff geflogen, und die Einblendung des Choppers im Sonnenuntergang erinnert sehr stark an die Szene aus dem Film Apocalypse Now des Regisseurs Francis Ford Coppola. Es fehlte eigentlich in diesem Moment nur noch die Einspielung von Wagners Ritt der Walküren. Mit ihrem Erscheinen als ungarische Gräfin, in den Klamotten von Alfred, deren Maskierung durch eine getönte Skibrille erfolgt, erklingt direkt der Csárdás Klänge der Heimat. Ab da greift Štorman nun deutlich ins Geschehen ein und verändert den Ablauf der Fledermaus nicht nur in Nuancen. Das Uhrenduett kommt klassischerweise vor dem Csárdás, was natürlich auch dramaturgische Gründe hat, denn das Lied ist ja der Beweis, dass sie eine ungarische Gräfin ist. Die aus dem ersten Akt bekannten Coladosen werden reihenweise an die Gesellschaft verteilt, aus den Champagnerflaschen regnet es dafür Konfetti. Bei dem Uhrenduett haben plötzlich alle Damen eine Taschenuhr in der Hand, sie alle sind wohl schon Opfer der Verführungskünste von Eisenstein geworden.

Zum dritten Akt gibt es nur eine kurze Umbaupause, die mit der Polka Unter Donner und Blitz elegant überbrückt wird. Als der Vorhang sich öffnet, sieht man ein Bühnenbild, das eine Mischung aus erstem und zweitem Akt darstellt, also das schon bekannte Großraumbüro mit Elementen aus dem Kreuzfahrschiff. Alle, bis auf die Office Managerin, sind ziemlich verkatert. Doch etwas Entscheidendes fehlt. Es gibt kein Gefängnis, und damit auch keinen Gefängnisaufseher Frosch. Sind die Dialoge bisher schon ordentlich gekürzt, was nicht unbedingt zum Nachteil ist, wird jetzt aber doch rabiat in das Werk eingegriffen. Eine Fledermaus ohne Frosch in Nürnberg ist ungefähr so wie der Christkindlmarkt ohne Christkind. Dementsprechend kurz ist der dritte Akt, ohne politische oder tagesaktuelle Anspielungen. Das Lied Spiel ich die Unschuld vom Land darf sich Adele mit ihrer Schwester Ida teilen, während Frank Eisenstein mit einem Handkantenschlag kurzfristig ausknockt. Viel Klamauk, ohne Tiefgang oder zündende Pointen. Zum Schluss wird wieder wahnsinnig viel Papier zerrissen, es regnet Konfetti, und nach nicht einmal zweieinhalb Stunden senkt sich der Vorhang.

Dass die Aufführung aber vom Publikum so umjubelt wird, ist in erster Linie einem hervorragenden Ensemble auf der Bühne und im Orchestergraben zu verdanken. Joachim Goltz gibt den Gabriel von Eisenstein mit rauem Charme und kraftvollem Heldentenor. Der mittlerweile gefeierte Wagner-Sänger, von Haus aus eigentlich Bariton, legt die Rolle spielerisch und sängerisch perfekt an und überzeugt mit einer großartigen Leistung. Das gilt auch für die wunderbare Emily Newton als Rosalinde, die spielerisch mit viel Situationskomik begeistert, und mit dem Csárdás Klänge der Heimat einen der musikalischen Höhepunkte des Abends abliefert. Chloë Morgan als Adele brilliert mit kokettem Spiel und betörenden Koloraturen. Martin Platz begeistert als Alfred nicht nur mit verführerischem Spiel als Cola-Man, sondern vor allem mit seinem schönen lyrischen Tenor. Demian Matushevskyi gibt den Dr. Falke mit noblem Bariton, bleibt aber spielerisch im Vergleich zu den Protagonisten etwas blass. Eine spielerische und sängerische Glanzleistung liefert Corinna Scheurle als Frau Orlofsky ab, die mit warmem Mezzosopran und ausdrucksvoller Gestaltung der Figur eine ganz neue Facette verleiht. Taras Konoshchenko gibt den Sicherheitschef Frank mit kraftvollem Bass und witzigem Spiel, Hans Kittelmann den Advokaten Dr. Blind mit überzeugendem Charaktertenor. Veronika Loy als Adeles Schwester Ida und Teresa Erbe als Office Managerin fügen sich nahtlos in das überragende Ensemble ein. Auch musikalisch ist der Operettenabend ein Hochgenuss. Die Staatsphilharmonie Nürnberg spielt unter der musikalischen Leitung ihres neuen Zweiten Kapellmeisters Sándor Károlyi einen beschwingten Strauss, mit Dynamik und Leidenschaft. Schon die Ouvertüre kommt schmissig, wenngleich auch mit vielen Tempowechseln. Tarmo Vaask hat den spielfreudig agierenden Chor bestens eingestellt.

Am Schluss gibt es großen Jubel, vor allem die Protagonisten auf der Bühne werden ob ihrer Leistung gefeiert. Beim Regieteam um Marco Štorman gibt es aber auch unüberhörbare Buhrufe, wohl die Quittung für den doch radikalen Eingriff in das Werk unter Auslassung der Figur des Frosches. Wer das Werk und den Inhalt vorher nicht gekannt hat, der hat sich sicher hervorragend amüsiert. Für Operettenpuristen fehlt natürlich etwas, und so bleibt am Ende das Gefühl, dass diese Fledermaus einfach nicht vollständig war. Im Programmheft gibt es keinerlei Hinweise auf die Intention Štormans, warum er das Werk so drastisch gekürzt hat. Dennoch lohnt sich der Besuch, denn die wunderbaren Melodien der Königin der Operette sind ja alle erhalten.

Andreas H. Hölscher