O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Liebesgrüße aus der Lusthölle

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
11. Februar 2024
(Premiere am 20. Januar 2024)

 

Staatstheater Nürnberg

Was hat man nicht alles schon in Don-Giovanni-Aufführungen gesehen. Von dezent angedeuteter Verführungskunst bis hin zur ordinären Sex-Orgie waren alle Lustvarianten auf der Bühne zu sehen. Doch im Zeitalter von „MeToo“-Bewegung und feministischer Außenpolitik blieb die Frage, wie man heutzutage eine Neuinszenierung des Don Giovanni politisch korrekt auf die Bühne bringt, ohne was vom Zauber der Verführung und der Magie des Bösen einzubüßen. Regisseurin Vera Nemirova schafft in Nürnberg die Quadratur des Kreises und bringt das Dramma giocoso auf eine derart humorvolle und freche ironische Art und Weise auf die Bühne, dass es am Schluss regelrechte Begeisterungsstürme gibt. Und Nemirova hat es sich nicht nehmen lassen, im Programmheft einen Liebesbrief an Don Giovanni zu schreiben, den sie selbst als „gefallenen Engel“ bezeichnet. Über die Figur des Don Giovanni sagt sie: „Sie ist mir sehr nahe in ihrem Lustprinzip. Und solche Figuren werden ja langsam immer weniger, die so das Leben auf diese spezielle Art und Weise genießen und feiern“. Für die Regisseurin ist es aber wichtig, dass man auch die Seiten der anderen Protagonisten verstehen müsse. Deswegen entwickelt sie in ihrem Brief die Geschichte der anderen Figuren weiter. Da bekommt Zerlina ein Kind von Don Giovanni, und die Beziehung von Donna Anna und Don Ottavio bricht auseinander.

Wer ist nun dieser Don Giovanni, die personifizierte Verführung, der mit unzähligen Eroberungen prahlt? In Nürnberg wird er durchaus als charmanter, liebenswürdiger Edelmann dargestellt, der nur für den Moment lebt, für die Lust und Leidenschaft, die im nächsten Moment schon wieder einer anderen Frau gilt. Doch er hat auch seine dunklen Seiten, die von Gewalt und Heimtücke, die vor allem sein Diener Leporello immer wieder zu spüren bekommt, wenn er die Folgen des Handelns seines Herrn mal wieder ausbaden muss. Die drei Frauen, um die sich in der Oper Giovannis Begierden kreisen, können unterschiedlicher nicht sein.

Da ist Donna Anna, die Verlobte des blassen, langweiligen Don Ottavio. Anna hat Begierden, die sie mit Giovanni ausleben möchte, was mit Ottavio wohl nicht geht. Doch kurz bevor sie mit Giovanni am Ziel ist, werden sie vom Komtur, dem Vater Donna Annas, überrascht. Im nachfolgenden Duell tötet Giovanni den Komtur. Anna versucht das traumatische Erlebnis zu verarbeiten, indem sie für sich selbst die Wahrheit verdreht, sich als Opfer eines Überfalles und einer versuchten Vergewaltigung darstellt und Don Giovanni des Mordes bezeichnet. Ihre Rachegelüste sind jedoch nichts weiter als die Qual ihres schlechten Gewissens. Dann ist dort Donna Elvira, eine verflossene Liebschaft Don Giovannis, die sich mit dem schnellen Liebesaus nicht abfinden kann und zu allen unmöglichen Zeitpunkten auftritt, fast wie eine Stalkerin. Ungewollt wird sie zur Verbündeten von Donna Anna, Rache und Vergeltungssucht einen sie. Bleibt noch Zerlina, die Don Giovanni auf der Hochzeitsfeier ihrem Bräutigam Masetto entführt und verführt. Doch Zerlina ist aus anderem Holz geschnitzt als die beiden Donnas. Sie macht das Spiel mit, lotet die Grenzen aus, und hintergeht ihren Bräutigam quasi schon vor der Hochzeitsnacht. Sie ist die einzige, die im Handeln und Denken Giovanni ebenbürtig ist, da sie ähnliche Charakterzüge besitzt und keinesfalls das arme schwache Bauernmädchen ist, wie die Figur immer sehr gerne dargestellt wird.

Ein Mann wie Don Giovanni kann deshalb auch so stark und unnachahmlich sein, wenn die Männer in seinem Umfeld es zulassen und ihm nicht ebenbürtig sind. Leporello möchte gerne mal so sein wie sein Herr, hat aber nicht das Format und die Ausstrahlung. Er ist mehr der devote Ausführer der Befehle, sicher kein Freund auf Augenhöhe. Don Ottavio ist genau das Gegenteil von Giovanni, ihn nimmt er gar nicht einmal wahr. Und Masetto ist einfältig, zwar aggressiv, aber in keiner Hinsicht Giovanni gewachsen und auch am Ende gefügig gegenüber Zerlina. Bleibt der Komtur, ein Edelmann mit Haltung, der furchtlos Giovanni gegenübertritt und seinen Einsatz mit dem Leben bezahlen muss, aber seine wahre Größe erst im Tode zeigt, wenn er als lebendig gewordene Statue am Schluss Don Giovanni zur Hölle fahren lässt.

Die komplexe Handlung mit ihren vielfältigen psychologischen Beziehungsebenen lässt Regisseurin Nemirova in einem illusionistischen Raum spielen, der die Protagonisten auf der Bühne und deren Konflikte nicht einengt und verknappt. Und so sind es schwarze, verschiebbare Wände und goldfarbene Türen, die den Raum darstellen, der anfangs mit nur ganz wenigen Requisiten auskommt. Das Bühnenbild stammt von Jens Kilian. Die Kostüme von Marie-Luise Strandt changieren von ganz modern bis hin zum Mozart-Style einschließlich Perücke. Sehr witzig dabei ist, dass Giovanni x-mal das weiße Hemd wechselt, Leporello hat gleich ein Dutzend Exemplare in seinem Seesack für seinen Herrn zur Verfügung.

Dass Nemirova den Humor bei ihrer Inszenierung nicht aus den Augen verliert, dafür sorgen viele Kleinigkeiten, wie bei der Registerarie, bei der als Register eine Klo-Rolle mit den Namen der 1003 Eroberungen aus Spanien herhalten muss, die Leporello genüsslich auswickelt, um Donna Elvira damit einzuwickeln. Herrlich komisch. Oder wenn sie die Szenerie in eine Art Wellnessoase verwandelt, mit attraktiven Damen im Badeanzug oder Bademantel, da läuft Giovanni zur Hochform auf, bis Donna Elvira auftaucht, ihm eine Szene macht und seine nächsten Eroberungsfeldzüge torpediert. Die Szene im Schloss Don Giovannis ist nur angedeutet im Hintergrund, aber man meint zu erkennen, dass sowohl Giovanni als auch Leporello sich über Zerlina hermachen.

Höhepunkt der Inszenierung ist natürlich der Schluss, großartig von Nemirova und ihrem Team in Szene gesetzt. Erst die in einem düsteren, nebligen Garten aufgebaute Festtafel, an die sich der tote Komtur setzt, der aus dem Jenseits zurückgekommen ist, um Giovanni eine letzte Chance zu geben, seinen Lebenswandel zu ändern. Als der in einem Akt höchster Selbstüberschätzung das Ansinnen verweigert, wird er vom Komtur in die Hölle geschickt. Während Menschen mit Masken und Fackeln aufmarschieren, eine Mischung aus Großinquisition und Klu-Klux-Klan, steigt Giovanni von einem mit Feuer umbrandeten Felsen hinter der Festtafel hinab in die Unterwelt. Am Schluss bleiben sechs Personen des bedrohlichen Fackelzuges übrig. Als sie sich die Masken und Kutten vom Körper reißen, sind die Hauptpersonen der Oper wiederzuerkennen, die sich nun eins sind in der Bewertung, dass Giovanni sein verdientes Los erhalten hat. Doch mit dem Schlussbild lehrt Giovanni sie eines Besseren. Als die schwarzen Teilwände sich noch einmal öffnen, sieht man einen lächelnden Giovanni in einer Art Palazzo, mit Damen und Herren in lustvollen Dessous, wie bei einer Swinger-Party. So sendet Giovanni am Schluss noch einmal Liebesgrüße aus der Lusthölle, während auf der Erde die anderen Protagonisten als Verlierer mit ihrem eigenen Schicksal zurückbleiben.

Neben Nemirovas gelungener Inszenierung ist es aber auch die sängerische und musikalische Darbietung, die die Aufführung zu einem fast perfekten Opernabend macht. Allen voran Samuel Hasselhorn in der Titelpartie. Mit schwarz lackierten Fingernägeln, einem sportlichen Auftreten und mit sehr viel Charme ist er der Verführer par excellence, der aber auch immer seine dunklen Seiten nicht kaschieren kann. Höhepunkt ist, wenn er im zweiten Akt sein Ständchen Deh! Vieni Alla Finestra ganz alleine auf der leeren Bühne singt, als Ausdruck der tiefen Einsamkeit, unter der Giovanni in Wirklichkeit leidet. Hasselhorn verleiht Giovanni mit seinem edlen Bariton die nötige Grandezza, aber er kann auch dramatisch und böse. Mit seinem Rollendebüt hat sich der junge Bariton über Nacht einen Namen gemacht. Heather Phillips in der Rolle der Donna Anna ist mehr als nur eine Zweitbesetzung. Ihr schöner, lyrischer Sopran hat strahlende Höhen, kann aber auch zarte Piano-Töne hauchen, und verfügt über die Kraft eines dramatischen Ausbruchs, wie in ihrer großen Arie Or Sai Chi L’onore im ersten Akt. Darstellerisch zeigt sie die ganze Zerrissenheit der tragischen Figur.

Corinna Scheurle überzeugt mit leicht dramatischem Mezzosopran, starkem Ausdruck im Gesang und überzeugendem Spiel in der Partie der betrogenen Donna Elvira, wie bei ihrer Arie Ah Fuggi Il Traditor im ersten Akt. Das gilt auch für die junge Sopranistin Chloë Morgan in der Rolle der Zerlina, die die Figur keck und frech anlegt und auch gesanglich nichts zu wünschen übriglässt.

Der Bassbariton Wonyong Kang begeistert als komisch-devoter Diener Leporello mit markantem Gesang und witzigem Spiel. Seine Registerarie Madamina, il catalogo è questo ist auch einer der sängerischen Höhepunkte der Aufführung. Martin Platz als Don Ottavio hat zwar das Erscheinungsbild eines biederen Sparkassenangestellten, aber stimmlich zeigt er, dass da mehr in ihm steckt. Wunderbar lyrisch geht er seine Partie an, ein Mozart-Tenor par excellence. Auch Demian Matushevskyi reiht sich mit seinem kräftigen Bariton als Masetto in die erste Reihe der Sänger am Nürnberger Staatstheater ein. Taras Konoshchenko als Komtur zeigt mit seinem dramatischen Bass vor allem in der Schlussszene, welche Farben und Dramatik seine Stimme erzeugen kann. Ein kleiner, aber beeindruckender Auftritt.

Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung ihres GMD Roland Böer spielt einen erfrischenden und zugkräftigen Mozart, mit viel Liebe zum Detail. Schon mit der Ouvertüre beginnt die musikalische Höllenfahrt. Dramatisch klingt das Orchester im Graben, mit schneidenden Bläsern und donnerndem Schlagwerk. Da ist keine Heiterkeit à la Hochzeit des Figaro. Böer lotet die psychischen Abgründe der Partie klug aus und ist dabei immer auf der Seite der Sänger. Der spielfreudige Chor ist von Tarmo Vaask bestens eingestellt. Nach gut dreieinviertel Stunden Spieldauer senkt sich der Vorhang über eine mitreißende Inszenierung, die vom Publikum begeistert gefeiert wird, mit viel Jubel für die Protagonisten. Manche Zuschauer haben sich von ihrer Begeisterung so mitreißen lassen, dass sie mit dem Applaus noch mitten in den verklingenden Tönen diverser Arien reinplatzen, leider eine Unart. Genauso wie das ständige und lautstarke Kommentieren einiger Zuschauer an den leisen Piano-Tönen. Eine Frechheit ohnegleichen leistete sich eine Zuschauerin, die mitten im zweiten Akt lautstark telefoniert. Die Zuschauer in der direkten Umgebung drehten sich zwar alle empört um, aber keiner sagt etwas. Auch das ein Spiegel unserer Gesellschaft. Doch trotz der unschönen Randerscheinungen begeistert die Aufführung und ist sicher ein neues Aushängeschild des Staatstheaters Nürnberg.

Andreas H. Hölscher