O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Julia Lormis

Aktuelle Aufführungen

Im Kubus der Gefühle

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)

Besuch am
13. Februar 2022
(Premiere am 29. Januar 2022)

 

Theater Nordhausen

Eine Neuproduktion von Tristan und Isolde ist immer etwas Besonderes im Spielplan. Immerhin braucht es eine gute Planungs- und Durchführungslogistik, sowohl im Orchestergraben wie auf der Bühne. Doppelt so intensiv muss sie sein, wenn es mal nicht an einem der großen Opernhäuser durchgeführt wird, sondern an einem Haus, dass fernab der Metropolen liegt. Und erst recht, wenn sich diese Produktion als positive Überraschung erweist. Sowohl in punkto Regie als auch musikalisch. Das spricht auch für die reiche Talentvielfalt, die im Theater Nordhausen vorhanden ist.

Regisseur Ivan Alboresi geht sein Konzept minimalistisch an. Zusammen mit seinem Bühnenbildner Wolfgang Kurima Rauschning wird nur ein rechteckiger Kubus mit Schräge auf der Drehbühne gebaut. Die zeitlos modernen Kostüme von Dietrich von Grebmer deuten an, dass diese Geschichte ebenso in der Gegenwart wie in der Vergangenheit stattfinden könnte.

Der Kubus mit begehbarer Plattform scheint im dunklen Raum zu schweben. Das ist der Hauptspielplatz für alles Emotionale zwischen Tristan und Isolde – ihre Annäherungen, der Liebestrank, die Liebesnächte und dann der Anbruch des öden Tages. Die Auseinandersetzung am Ende des zweiten Aktes, wie auch andere Realitätsbezüge, finden an der Rampe statt, außerhalb der so genannten Intimsphäre. Im dritten Akt ist dieser Kubus gespalten, die Liebe hat durch den Selbstmordversuch von Tristan einen Riss erhalten, es ist ein Missverhältnis zwischen Tristan und Isolde entstanden, das durch den Tod aufgelöst wird.

Somit ist der Fokus direkt auf die zwei Hauptpersonen gerichtet – ihre Emotionen, ihre Geschichte und ihre unmögliche Liebe. Besonders aber ihre inneren Gedanken und Empfindungen. So erscheinen, während des Todeswahns von Tristan im dritten Akt, auch seine Mutter mit ihm als Kleinkind als Ausdruck der tiefen Sehnsucht, die er ein Leben lang fühlt, da er ja sie nie kennengelernt hat.

Foto © Julia Lormis

Es ist den beiden Protagonisten – Alexander Schulz als Tristan und Kirstin Sharpin als Isolde – hoch anzurechnen, dass beide am Ende des Abends wenig Anzeichen der Ermüdung nach diesen bekanntlich anstrengenden Partien zeigen. Das hat eher weniger mit der Größe des Hauses als mit guter sängerischer Technik zu tun. Schulz, nach anfänglichen kleinen Unsicherheiten, bringt seinen stählernen Tenor zum Strahlen und hat noch genügend Atem im dritten Akt, um den Sterbemonolog mit großem, emotionalem Ausdruck zu singen. Sharpin, in ihrem Rollendebüt als Isolde, bringt einen vollen, kraftvollen Sopran, der sich wunderbar flexibel zeigt und die vielen, komplexen Schattierungen ihrer Persönlichkeit zum Ausdruck bringt. Ihr Liebestod klingt fast mühelos und zeugt von einer innigen, ewig liebenden Geisteshaltung. Die Brangäne von Mezzo Niina Keitel sticht hervor durch ihre hingebungsvolle Spielart – loyale Vertraute, Mahnende, selbstbewusst sieht sie die Realität der zum Scheitern verurteilten Liebesgeschichte. Bassbariton Thomas Kohl gibt einen kühlen König Marke. Sowohl stimmlich wie darstellerisch ist seine Interpretation des von seiner Braut und besten Freundes enttäuschten Herrscher die eines sehr disziplinierten Mannes, der sich immer in Griff hat und keine Emotion zu zeigen vermag. Thomas Berau lässt seinen warmen Bariton in dieser hingebungsvollen Rolle erklingen. Bariton Philipp Franke verkörpert einen glaubwürdigen Melot, jemand, der im Stande ist, seinen besten Freund zu verraten.  Der Herrenchor, einstudiert von Markus Fischer, ist streckenweise musikalisch überfordert, vielleicht auch durch den im Weg stehenden Kubus, der die Sicht auf den Dirigenten erschwert. Die Kunst der klaren Diktion – eine wie es scheint, schwindende – kann bei allen Sängern und dem Chor verbessert werden. Selten ist ein Wort zu verstehen. Aber das ist ein universelles Problem in der heutigen Opernlandschaft.

Mit der von Wagner autorisierten, verkleinerten Orchesterversion für einen kleineren Orchestergraben hat sich Dirigent und scheidender GMD Michael Helmrath einen Herzenswunsch erfüllt. Hingebungsvoll leitet Helmrath das Orchester, entlockt ihm die volle Bandbreite der sich auf der Bühne entfaltenden Emotionen. Besonders die allwichtigen Hörnerpassagen werden wunderbar klar und präzise gespielt.

Auch in Nordhausen werden penibel die Covid-Einschränkungen eingehalten. Die Matinee-Vorstellungen, die schon um halb drei nachmittags anfangen, waren in der Vergangenheit bei Besuchern, die mit dem Bus anreisten, sehr beliebt. Vor Corona waren es bis zu zehn Busse, die Besucher aus der Umgebung ins Theater brachten. Bei dieser Vorstellung sind es gerade mal drei. An Wagners beliebter Oper kann es nicht liegen. Sie wird mit tobendem Applaus belohnt.

Zenaida des Aubris