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Viele Gesichter für eine Sache

AT-HOME-GALA
(Diverse Komponisten)

Gesehen am
25. April 2020
(Livestream)

 

Metropolitan Opera, New York

Das Internet als neue Opernbühne ist – für den Moment – etabliert. Während Musiker aller Couleur sich durch diverse Clips hören und sehen lassen, schauen die Opernhäuser nach, welche Opernaufführungen in ihren Archiven schlummern. Die Metropolitan Opera in New York hat davon reichlich zu bieten, ist das Opernhaus schon, bevor es das Internet überhaupt gab im Fernsehen präsent, hat diverse Aufführungen noch auf VHS, später dann auf DVD konserviert. Es folgte unter Intendant Peter Gelb der Weg ins Kino. Die Live-in-HD-Übertragungen machen den Besuch in der Metropolitan Opera möglich, ohne dafür vorher ins Flugzeug steigen zu müssen.

Gelb ist aber auch der erste Intendant, der negativ in die Kultur-Schlagzeilen gerät, als der Corona-Virus die Vereinigten Staaten erreicht. Noch bevor der Virus für die dramatischen Bilder in New York sorgt, gehen in einem der berühmtesten Opernhäuser der Welt die Lichter aus. Das unumgängliche Einreiseverbot in die USA sorgt dafür, dass viele der internationalen Opernsänger gar nicht erst zur Probe, geschweige denn zur Aufführung kommen können. Und Gelb, der einen gewaltigen Mitarbeiter-Stab ohne Subventionen, ohne die Einnahmen der Karten, ohne die Live-in-HD-Aufführungen finanzieren muss, sieht sich zu einem drastischen Schritt gezwungen. Er streicht Chor und Orchester der Metropolitan Opera ab April den Lohn, die Führungsetage wird mit 50 Prozent ihres Gehaltes auskommen müssen. Er selbst würde in den kommenden Monaten ganz auf seinen Lohn verzichten, lässt er wissen. Gelb beruft sich auf eine Vertrags-Klausel, die es seit den 1970-er Jahren gibt: Höhere Gewalt lässt dem Intendanten keine Wahl. Immerhin möchte das Haus versuchen, weiterhin die Krankenversicherung zu übernehmen.

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Die Saison der Metropolitan Opera ist seit Mitte März vorzeitig beendet, normalerweise war das Saisonende erst im Mai vorgesehen. Wann man wieder in dem Opernhaus, in jedem Opernhaus, zur Normalität zurückkehren kann, ist noch völlig offen. Trotzdem spielt die Metropolitan Opera weiter – digital. Jeden Tag wird auf ihrer Internetseite eine Aufführung aus der Konserve gestreamt, die man gratis anschauen kann. Um Spenden wird gebeten.

Am Samstagabend deutscher Zeit findet dann wohl die ungewöhnlichste Spenden-Gala statt, die es bis dahin im Kultur-Sektor gegeben haben wird. Gelb, nur ein paar Blocks entfernt von seinem Arbeitsplatz wohnend, und der Chefdirigent der Met, Yannick Nézet-Séguin, in seinem Wohnort Montreal, begrüßen ihr virtuelles Publikum und führen durch ein vierstündiges Programm, was man im Theater vielleicht sogar als ein wenig langatmig empfunden hätte. Aber in diesem Falle ist man schon von den technischen Sprüngen über den Erdball begeistert. So meldet sich Sopranistin Nadine Sierra aus Valencia, bevor sie an Tenor Piotr Bezcala im polnischen Zabnica weitergibt. Dann springt man nach Orange, wo Diana Damrau und Gatte Nicolas Testé in ihrer Küche La ci darem la mano singen. Es sind auch eben diese privaten Momente abseits der Bühne, die dieses spezielle Konzert so einzigartig machen. So trinkt Bass Günther Groissböck erst noch einen Schluck Bier, bevor er Richard Strauss singt. Wie er wohnt auch Bariton Ambrogio Maestri in Lugano, der seinen Nachbarn Marco Armiliato für seine Arie aus Andrea Chenier besucht.

Wer keinen berühmten Dirigenten als Begleiter anzubieten hat, der benutzt elektronische Klavieruntermalung, so wie Elīna Garanča, die sich zur Habanera aus Carmen mit Sexappeal an ihr Bücherregal schmiegt. Peter Mattei singt in Stockholm Don Giovannis Canzonetta, begleitet vom Akkordeon, Bryn Terfel wird von der Harfe begleitet. Einige Künstler begleiten sich gar selbst, zum Beispiel die virtuos singende Erin Morley aus New Heaven. Nicole Car tritt mit ihrem Partner Étienne Dupuis zum Duett an, der selbst den Orchesterersatz am Flügel stellt

Die Liste der Namen ist lang und prominent, der virtuelle Andrang ist dementsprechend groß. Der Stream, die Internetverbindung, sind diesem Ansturm nicht gewachsen. Die Live-Übertragung stockt und bricht ab, lädt neu, bricht wieder ab. Zum Ärgern besteht aber kein Grund, denn noch knapp 24 Stunden ist die Gala auf der Internetseite als Aufzeichnung zu sehen. Natürlich sind das keine visuellen und akustischen Meisterwerke. Vermutlich werden die meisten Künstler sich via Tablett, Smartphone oder Vergleichbarem zugeschaltet haben. Aber – es kommt von Herzen und das spürt man in jeder Minute. Es mag eine Spendengala sein, aber es ist für alle Opernliebhaber auch ein Zeichen der Normalität, die bekannten Künstler oder Idole in ihrer heimischen Umgebung mit vielen berühmten und manchen unbekannten Melodien zu erleben.

Und dann gibt es noch diesen Moment der Gänsehaut. Nein, eigentlich sind es zwei, aber der erste ist wegen des Überraschungseffektes so besonders. Der Bildschirm füllt sich plötzlich mit vielen, vielen kleinen Quadraten, in denen man Menschen mit ihren Instrumenten erkennt. Das Orchester der Metropolitan Opera spielt das berühmte Intermezzo aus Pietro Mascagnis Oper Cavalleria Rusticana. Man sieht die vielen Gesichter, die unmittelbar von dieser Krise betroffen sind, die auch einen Kollegen durch Covid-19 verloren haben. Sie verbinden sich digital und berühren mit ihrem Spiel die Herzen. In der nächsten Aufzeichnung stößt der Chor der Metropolitan Opera für Va pensiero aus Nabucco dazu.

„We need help“, sagt Peter Gelb sehr deutlich und viele Intendanten werden mit einstimmen. Vielleicht macht dieses Beispiel Schule, und andere Theater laden zur Gala ein. Man sieht und hört die bekannten Sänger des beliebten ortsansässigen Theaters, das man zurzeit nicht besuchen darf, und kann dann auch noch einen kleinen Beitrag spenden. So könnte Zusammenwachsen in der Kulturszene aussehen.

Rebecca Broermann