Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
TRIO RECHERCHE
(Georg Kröll, Christoph Staude, Helmut Lachenmann)
Besuch am
28. Mai 2023
(Einmalige Aufführung)
Wie Rainer Wiertz, rühriger Kurator des Festivals, dieses mit Trio Recherche erstklassig besetzte Matineekonzert einführt, hat Charme. Zudem noch den Vorteil, dass die Worte, in einem tieferen Sinn, wahr sind. Wiertz spricht von „unseren Insel-Komponisten“. Er meint damit den gerade neunzig gewordenen, langjährigen Festival-Kurator Georg Kröll, dessen Bearbeitungen von zwei Chansons des Renaissance-Komponisten Gilles Binchois den Anfang machen. Musik, die fast zu einem Kröllschen Markenzeichen geworden ist. Wann immer sie erklingt, verströmt das Kadenzierende, das ihr eigen ist, diese versöhnend-wehmütige Stimmung. Auch jetzt und hier ist das so, im Tiefkeller des so genannten Hauses für Musiker, einer muschelförmigen Betonschachtel, der das „Spirituelle“, das das Festival erstmalig im Titel beschwört, abgeht, und zwar zur Gänze.
Foto © Angela van den Hoogen
Zu „unseren Insel-Komponisten“ zählt Wiertz natürlich auch Christoph Staude, dessen Werdegang so eng mit der Insel verbunden ist. Es ist der Düsseldorfer Kunstsammler und Immobilienmakler Karl-Heinrich Müller, der Staude nach Hombroich einlädt. 1994, in dem Jahr, in dem Staude sein fulminantes Streichtrio schreibt, das, wie dies die drei Recherche-Damen an diesem Morgen eindrucksvoll beweisen, seine Kraft behalten hat, in eben diesem Jahr tritt der philanthropisch-realitätsbewusste Romantiker Müller auf einen jungen Wilden zu: „Na, Staude, wär‘ das was für Dich?“ Mit der Folge, dass ein 29-Jähriger zum Insulaner promoviert wird. Bis heute wohnt und arbeitet der Komponist auf der Raketenstation, dieser vor bald 30 Jahren repazifizierten, vormals von belgischen Truppen betriebenen NATO-Raketenstellung. Müller ist es übrigens auch, der Staude zur Konzertreihe Hombroich: Neue Musik anregt: „Du musst moderne Musik etablieren!“ Und der so Adressierte macht noch etwas. Er legt seine ganze Kreativität obendrauf. Energie, Entschlossenheit, Wille zur neuen Gestalt – darum geht es ihm. Zur Tändelei, zum Comedianartigen, das in den letzten Jahren in der Neuen Musik Einzug hält, wahrt Christoph Staude Distanz. Kunsternst hätte man früher gesagt. Wenn alles gut geht, wird man sich bald selbst ein Hörbild machen können. Eine große, beim Label Edition Roy initiierte Porträt-Box, steht vor der Veröffentlichung.
Hören, wie es klingt, wenn Staude Musik schreibt, das machen Melusine Mellinger, Violine, Sofia von Atzingen, Bratsche, Äsa Äkerberg, Violoncello, an diesem Morgen exklusiv erlebbar. Das Trio wirft sich hinein in die acht Sätze, für deren Beschreibung der Komponist immer wieder eine Ausdrucksbezeichnung bemüht: Molto. Ohne dieses viel, sehr, lange geht nichts. Molto calmo. Mecanico molto. Molto lento. Oder am besten gleich der Superlativ: Gravissimo. Nur wo Komposition alle Kräfte anspannt, ist der Bedeutungsverlust aufzuhalten, der als „Altern der neuen Musik“ schon vor Jahrzehnten hellsichtig beschrieben ist. Eine Erfahrung, die dem Musikfreund bei Konzerten, auch auf solchen des aktuellen Insel-Festivals, nicht erspart bleibt. Nichts davon im Fall dieses Streichtrios. Apropos. Zuletzt hat man Staude-Musik auf der Insel 2017 gehört. Bleibt zu hoffen, dass nicht wieder sechs Jahre ins Land gehen müssen.
Christoph Staude – Foto © Angela van den Hoogen
Nach der Pause das Streichtrio Nr. 2 – Mes Adieux von Helmut Lachenmann, unlängst bei den Musiktagen in Donaueschingen von Trio Recherche zur Uraufführung gebracht. Die Freiburger Exzellenz jetzt auf Hombroich zu Gast. Ein großer Atem bildet, hält die Form. Ein steter Puls belebt das Stück. Auch in den Unterbrechungen. Wenn die Bewegung innehält, geht die gestaltete Zeit als gestaltete Stille weiter. Fast wird das Trio dann zur Installation. Minimal die Gesten, die Klänge, die für Lachenmann so typischen Geräusche, die die Ausführenden dem Korpus ihrer Instrumente entlocken, wozu in diesem Fall noch Atemgeräusche treten. Ein „Och“ geht reihum. Was fesselt über zwanzig Minuten, ist auch hier, wie bei Staude, Energie, Wille, Geist. Letzterer steuert das Geschehen. So bleibt man hörend dabei, wird ein Teil davon.
Und der Komponist? – Ob Rainer Wiertz, wenn er von „unseren Insel-Komponisten“ spricht, auch Helmut Lachenmann meint, bleibt offen. Und doch liegt darin eine Wahrheit. Siehe die Klavier-, die Kammermusik Lachenmanns, die in den Programmen der Insel-Festivals immer präsent ist, siehe die Lachenmann-Residenzen auf der Insel. Also, noch ein Insulaner. Damit im Ganzen ein Konzert, das das Epizentrum dieses 19. Inselfestivals ist, der dunkel leuchtende Pulsar eines musizierten Pfingstereignisses. Eigentlich dann wieder passend die Basement-Location. Von irgendwoher muss die Energie ja kommen.
Georg Beck