O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christoph Krey

Aktuelle Aufführungen

Sonniger Jazz

SINGING SHAKESPEARE’S SONNETS
(Caroll Vanwelden)

Besuch am
23. Juni 2021
(Premiere am 21. Juni 2021)

 

Globe-Theater, Neuss

Manchmal braucht es einfach auch ein wenig Glück. Der Tag begann grau und verhangen, mehr als 15 Grad sind nicht drin. Ein kühler Wind macht den Aufenthalt im Freien zusätzlich ungemütlich. Man glaubt es kaum, aber am Nachmittag reißt der Himmel auf, die Temperatur steigt auf 21 Grad und die Sonne zeigt sich. Der Abend im Shakespeare Garden kann kommen. Shakespeare Garden ist die Open-Air-Version des Shakespeare-Festival am Globe-Theater in Neuss, die dieses Jahr eingerichtet wurde, um das Festival überhaupt stattfinden zu lassen.

Noch etwas skeptisch versammeln sich die Menschen im Vorführring der Rennbahn Neuss, der eine oder andere hat gar auf seinen Wintermantel zurückgegriffen. Arg viele sind nicht zusammengekommen, um sich auf den großzügig gestellten Klappstühlen mit neuerdings niedlichen Abstelltischchen dazwischen auszubreiten. Da darf man gerne Getränke und Speisen mit vor die Bühne nehmen. Zusätzlich werden am Eingang Decken zur Verfügung gestellt. Es ist irgendwie gemütlich und familiär, auch wenn viele Stühle frei bleiben. Da wirkt die Hysterie des Ordnungsamtes doppelt absurd, das für den Besuch einen Virustest und für die zehn Meter von Eingang bis zum Sitz Maskenpflicht verlangt. Der berüchtigte Inzidenz-Wert beträgt übrigens inzwischen acht. Die Besucher nehmen die Gängelei hin und erfreuen sich am Abendhimmel, in dem die todbringenden Aerosole langsam in der Sonne zerstieben.

Die Bühne verspricht Leben. Zunächst einmal ist sie sehr intelligent eingerichtet, um Caroll Vanwelden und ihrer Band eine hervorragende Plattform für ihr Programm Singing Shakespeare’s Sonnets – The Best of zu bieten. In der Mitte steht ein Stutzflügel. Darum herum sind Podien in verschiedener Höhe angeordnet, die ermöglichen, dass alle vier Musiker bestmöglich zu sehen sind. Bereits zum vierten Mal hat das Shakespeare-Festival Vanwelden eingeladen. Die gebürtige Belgierin, die heute mit ihrer Familie in Gent lebt, hatte 2011 die grandiose Idee, Sonette von William Shakespeare in Musik zu verwandeln. Drei Alben sind daraus geworden. Vor vier Jahren stellte sie die dritte Silberscheibe zu diesem Thema beim Shakespeare-Festival in Neuss vor. Jetzt kehrt sie mit ihrer Band für drei Vorstellungen nach Neuss zurück.

Ein besonderer Glücksfall für Rainer Wiertz, dem langjährigen Künstlerischen Leiter des Shakespeare-Festivals, der am Tag zuvor in den Ruhestand verabschiedet wurde und den Staffelstab damit offiziell an seine Nachfolgerin Astrid Schenka überreichen konnte. Die Abschiedsfeier fand mit der Musik von Caroll Vanwelden einen angemessenen Rahmen.

Zumal Wiertz die Musik gut kennt. Denn Vanwelden hat alle drei Alben in Neuss vorgestellt, bei der dritten CD war es gar die Uraufführung, die im Globe-Theater stattfand. Ein überragender Erfolg. Daran erinnert man sich gern, auch wenn das inzwischen schon vier Jahre zurückliegt. In der Zwischenzeit gab es nur noch wenige Auftritte der Musiker um Vanwelden. Sie hat die Zeit genutzt, um sich musikalisch weiterzuentwickeln. Ein Album mit eigenen französischen Texten zu elektronischer Musik ist dabei herausgekommen. Vierzehn Stücke, die sie inzwischen aufgenommen und in die Schublade gelegt habe, wie sie erzählt. Aber die Veröffentlichung sei ihr nicht so wichtig wie die eigene Weiterentwicklung gewesen, sagt sie. Und einen Jugendtraum hat sie sich auch gleich noch erfüllt. Einen Bass habe sie immer schon mal spielen wollen. Inzwischen hat sie sowohl für das elektronische als auch für das klassische Instrument Unterricht genommen. So kann man ihr strahlendes Lächeln gut verstehen, mit dem sie zum ersten Mal seit längerer Zeit mit „ihren Jungs“ wieder die Bühne betritt, um ein Best of ihrer gesamten Shakespeare-Sonette zu präsentieren.

Foto © Christoph Krey

Wer allerdings an diesem Abend glaubt, er bekomme die Stücke von den Alben nun noch einmal live „aufgegossen“, irrt. Denn so dezent wie elegant und gekonnt haben die vier Musiker ihre Sonette ebenfalls weiterentwickelt. Sowohl Thomas Siffling an Trompete und Flügelhorn als auch Caroll Vanwelden setzen elektronische Elemente wie Backing und Loops ein, also Erweiterungen, die die Klangfarben der eigentlichen Instrumente auf elektronischem Wege bereichern. Und so, wie Vanwelden und Siffling diese Möglichkeiten einsetzen, sorgen sie für eine voluminöse Verdichtung des bisher Gespielten. In zwei Stunden spielen die vier Musiker also nun in teilweise neuen, teilweise modifizierten Arrangements, was die Besucher schon vor vielen Jahren begeisterte. Das wirkt alles noch viel reifer, abgeklärter und runder. So fällt beispielsweise die Eröffnung mit Two loves unglaublich smoothy aus. Da ist der Besucher sofort gedanklich auf der Terrasse seines Landsitzes, wo letzte Sonnenstrahlen für Wärme sorgen und der jazzige Klang das Ohr umschmeichelt, ohne in Kitsch zu verfallen. Vanweldens samtige Altstimme trägt einen über die Felder des altehrwürdigen, englischen Landsitzes. Es ist wunderbar, und irgendwann an diesem Abend werden die Gäste sicher auch noch dem Dichter persönlich begegnen, wenn sie sich nur genug auf die folgenden Sonette einlassen.

Mit ihrem flämischen Akzent, der auf deutsche Ohren immer so verzückend wirkt, erzählt Vanwelden, um was es in den Sonetten gibt. Da fragt kein Mensch mehr nach einer Übersetzung. Und sie lässt auch durchaus Privates einfließen. Wie bei Who will believe, das sie ihren beiden Kindern widmet. Oder What potions have I drunk, in dem es darum geht, dass das Gute durch das Böse noch stärker wird – und das für die Musikerin deshalb ein schönes Abschiedsgeschenk für Wiertz ist. Auch nachdenkliche Momente lässt sie zu, wenn sie davon erzählt, dass sie gerade bei der Produktion des zweiten Albums zu den Shakespeare-Sonetten war, als der Papa völlig unerwartet starb. Da drückt sich die Sinnlosigkeit in That time of year aus, das sie ihm zueignet. Aber zu den ernsten Themen gesellen sich auch die mit dem – dunklen – Humor. Tired with all these tempo erzählt von der Müdigkeit ob all der Schrecken dieser Welt, die man doch eigentlich nur noch verlassen kann – aber was passiert dann mit der Geliebten? Die kann doch nicht allein zurückbleiben. Auch die Frage, wie der Dichter damit umgeht, dass etwas so schön ist, dass man es nicht beschreiben kann, bleibt in I never say that you did painting need nicht unbeantwortet.

Siffling lässt sich dazu häufig Soli einfallen, die wie die anderen Soli auch vom Publikum mit Zwischenapplaus bedacht werden. Mini Schulz ist der Clown der Truppe, der seine Soli auch durchaus mit einem Augenzwinkern spielt, wenn er nicht gerade unter außerordentlichen Schwierigkeiten irgendwo heruntersteigt. Mitunter auch mit Hilfestellung von Jens Düppe, der sein großes Solo am Schlagzeug erst mit If my dear love, dem „letzten“ Stück vorstellen darf. The little love-god ist eine Zugabe, die das Publikum noch einmal richtig von den Sitzen treibt. Die Kälte, die allmählich doch in die Kleidung zieht, sorgt dafür, dass dann auch Schluss ist.

Schluss? Beileibe nicht. Caroll Vanwelden sucht bereits nach neuen Herausforderungen. Für das Jahresende hat sie ein neues Projekt in Planung. Nach den Erfahrungen der Corona-Krise will sie minimalistischer werden. Ein Duo mit einem Multiinstrumentalisten steht auf dem Zettel. Und im kommenden Jahr werden die echten Vanwelden-Fans nach Gent pilgern. Denn dort entsteht gerade ein Konzertsaal für etwa 50 Gäste. Was dort passieren wird, will Vanwelden aber wirklich noch nicht verraten, während die Besucher ihren wärmenden Betten nach einem wunderbaren, intimen Abend zueilen.

Michael S. Zerban