Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
IN SHADOWS/SHILOAH UND PORAT
(Diverse Komponisten)
Besuch am
7. und 8. Juni 2025
(Einmalige Aufführungen)
Matan Porat ist ein Pianist, der klare Verhältnisse liebt, der darauf aus ist, alles, was auch nur im Verdacht steht, verworren, dunkel, unfasslich zu sein, in nichts anderes zu verwandeln als in distinkte Klarheit. Alles wird licht unter seinen Händen. Akkordgebirge, Linienwirrwarre, Rhythmenwechsel verlieren ihre Schrecken, sobald Porat mit der Fackel seiner Pianistik die Partituren durchleuchtet. Auf den Podien der Welt, im Zusammenspiel mit den berühmtesten Orchestern der Welt, stellt er solcherart Tugend seit Jahr und Tag unter Beweis. Zuhörer, selbst die strengen Kritiker, verfolgen seine Streifzüge durch die Klavierliteratur, mit offenem Mund. Jetzt, beim Recital anlässlich des 20. Inselfestivals Hombroich, hat sich der Musiker mit dem schwarzen Wuschelkopf eine besondere Aufgabe gestellt. Wie wäre es, wenn ich ein Programm spiele, das aus lauter Nebel- und Nachtstücken besteht? Gelingt es mir dann auch? – Motiviert hat ihn dazu das Motto Narrative Musik, das Rainer Wiertz der Festival-Jubiläumsausgabe 2025 eingeschrieben hatte. Porat, mit Wiertz und den von ihm kuratierten Neusser Zeughaus-Konzerten etliche Jahre verbunden, wollte sich nicht lumpen lassen. Nichts aus der Vorratskammer!
So kommt es in der vollbesetzten Veranstaltungshalle auf der Raketenstation zu einem Solitär – hochanspruchsvoll, zugleich voller Risiken und Nebenwirkungen. Letztere haben mit der Vorgabe zu tun. Porat, ganz Liebhaber der langen Strecken, verbietet sich jeden Zwischenapplaus. Was ihm vorschwebt, ist, die ganze Geschichte zu erzählen, in einem großen Atem, wofür es freilich auch der Nachdenk-Pausen zwischen den Stücken braucht. Wenn sie der Pianist, wie bei Porat geschehen, zu kurz ausfallen lässt, kommt manchem, da und dort, die Übersicht abhanden. – Die Stücke selbst, hochkarätig, eine Perle nach der anderen: Nuages gris von Liszt, die einsätzige 9. Klaviersonate von Skrjabin mit dem Schauer-Beinamen Schwarze Messe, auch wenn der gar nicht vom Komponisten stammt; sodann der Klavierzyklus In den Nebeln von Leoš Janáček, gefolgt von zwei Werken der zeitgenössischen Produktion: die John Dowland-Bearbeitung Darkness Visible von Thomas Adés und Ein Schattenspiel von Georg Friedrich Haas. Letzteres, obwohl ganz kurzfristig ins Programm gerutscht, gerät zu einem Höhepunkt. Ein Schattenspiel – das ist ein Spiel für Live-Klavier und Live-Elektronik. Dank Poratscher Liebe zur clarté bleibt alles transparent. Bis ins Detail strukturiert die Calls und Reponses, abgestrahlt aus den Lautsprechern unter der Decke. Angekommen im 21. Jahrhundert, heißt das.
Foto © Stiftung Insel Hombroich | Mark Spörel
Das Schlussstück dann, in Brechung der Chronologie, Gaspard de la Nuit von Maurice Ravel. Das Stück hat einen berühmten Anfang. In der rechten Hand eine Art Wedeln mit einem Akkordfächer, wozu in der linken Hand eine unspektakuläre Linie tritt, die nach der Vorstellung des Komponisten allerdings nicht über das Schimmern dominieren darf, sondern in ihm Unterschlupf finden sollte. Porat, wohl im Bewusstsein, distinkte Klarheit zu schaffen, trennt die Sphären; dann aber, bei der Stürmung des Gipfels, wieder ganz in seinem Element, wenngleich es doch der Schlusssatz von Gaspard de la Nuit ist, der von den Pianisten der Welt gefürchtet wird. Nicht wenige bestätigen, hinter vorgehaltener Hand: An Scarbo, mein Lieber, musst du dein Leben lang üben! Und Porat? – Lässt sich nichts anmerken. Meine Kraft reicht! lautet die Körpersprache. Einmal kurz die Schweißperlen von der Stirn gewischt und hinein ins Abenteuer. Gut gemacht, Matan!
Fortsetzung der schönen Offenbarungen am Pfingstsonntag. Die erste besteht darin, dass Rainer Wiertz sein Publikum mit einer Reminiszenz erfreut: Heute, am 8. Juni, hätte Karl-Heinrich Müller eigentlich seinen 89. Geburtstag feiern sollen. Ein Nicken geht durch den Saal. So manche, die den visionären Gründer von Museum Insel Hombroich gekannt, erlebt, mit ihm zusammengearbeitet hatten. Dann die nicht unelegante Überleitung zum Hauptakteur des bevorstehenden Konzertnachmittags. 1986, zum Start des pfingstlichen Insel-Musizierens, hatte Müller auch Chaim Taub, den Primarius von Tel Aviv String Quartet eingeladen, ihm aber gleich gesagt, er möge seine besten Schüler mitbringen, womit Wiertz den ermunternden Auftrittsapplaus wie von selbst auslöst. Denn da stand er jetzt, der vormalige Schüler, aus dem mittlerweile selbst ein Lehrer geworden ist: Roi Shiloah.
Was folgt, ist die Begegnung mit einem beseelten Espressivo-Spiel, das die Herzen rührt. Gemeinsam mit Matan Porat musiziert Shiloah zwei Monumente der Gattung, Janáček-Sonate und die späte Schubert-Fantasie für Violine und Klavier. Dazwischen zwei Soloauftritte. Porat mit dem intermezzohaften Ellis Island der amerikanischen Singer-Songwriterin Meredith Monk; Shiloah mit einer Verbeugung vor Paul Ben-Haim, dem als Paul Frankenburger in München zur Welt gekommenen Komponisten, einer Zentralfigur des israelischen Musiklebens. Dessen Violin-Sonate wird in den Ecksätzen von einer Kette von Tanzrhythmen vorangetrieben, was Shiloah miterleben lässt, wahrnehmbar bis in die Fußspitzen seiner Performance. Mit der Zugabe, dem flehentlichen Adagio aus der Brahms-Sonate d-Moll für Violine und Klavier ist es dann so weit: die Tränen rollen.
Georg Beck