O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Oper im Garten

ROMANTISCHES SOMMERKONZERT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
5. Juli 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Kulturgarten, Globe-Theater, Neuss

Im vergangenen Jahr musste das Shakespeare-Festival am Globe-Theater in Neuss ausfallen. Aber das freigewordene Budget wurde genutzt, und auf Anregung von Bürgermeister Reiner Breuer wurde vom Kulturamt binnen kürzester Zeit der Kulturgarten ins Leben gerufen. Es wurde ein Riesenerfolg, und die Rufe nach Fortsetzung waren laut. So beschloss die Stadt, auch in diesem Jahr einen Kulturgarten anzubieten, wenn auch in reduzierter Form. Das Kulturamt, das schon mit dem Shakespeare-Festival im Grunde an seine organisatorischen Grenzen geriet, sah seinen persönlichen Ehrgeiz darin, auch dieses Festival vom 3. bis zum 11. Juli zu stemmen. Und so kommen dieses Jahr nicht nur Shakespeare-Fans in den Genuss von Open-Air-Veranstaltungen vor dem Globe-Theater, sondern auch alle anderen Neusser Bürger. Unter Leitung von Astrid Schenka hat das Team des Kulturamts alles gegeben, um ein überwiegend konzertantes Programm in möglichst großer Vielfalt auf die Beine zu stellen, das vor allem von Neusser Musikern bestritten werden sollte.

Für den Kulturgarten, das war die Voraussetzung für seine zweite Ausgabe, konnten die organisatorischen Strukturen des Shakespeare-Festivals komplett übernommen werden. Lediglich eine neue Dekoration war erforderlich. Zudem ist die Testpflicht entfallen, was den Zugang erleichtern sollte. Wenn die Ordnungsbehörden daran festhalten, Meldezettel bei einer kaum noch zu messenden Inzidenz ausfüllen zu lassen, kann man darüber diskutieren. Die aufrechterhaltene Maskenpflicht auf wenigen Metern im Publikumsraum allerdings kann man nur noch als behördliche Gängelei von Konzertbesuchern betrachten. Eine unzumutbare Aufgabe zudem für das Service-Personal, das eigentlich für das Wohlbefinden des Publikums sorgen soll und nun die Gäste unter freiem Himmel ständig belehren muss, doch bitte für zehn Meter die Maske aufzusetzen. Hier wünschte man sich tatsächlich ein Machtwort von Bürgermeister Breuer, um die Verhältnismäßigkeit wiederherzustellen.

Agris Hartmanis – Foto © O-Ton

Dass an diesem Abend viele Sitze im Führring der Rennbahn leerbleiben, liegt aber wohl weniger daran, dass sich die Bürger der Schikane widersetzen, sondern eher daran, dass ein Arienabend unter schweren Abendwolken angeboten wird. Da bleiben viele doch lieber zu Hause und beobachten die Wetterentwicklung vom Sofa aus. Arienabende liegen seit Anfang vergangenen Jahres schwer im Trend in Deutschland. Sie sind mit vergleichsweise wenig Aufwand zu organisieren, bieten den Sängern immerhin kleinere Auftrittsmöglichkeiten und erschließen möglicherweise sogar neue Zielgruppen, nämlich solche, die normalerweise nicht in ein Opernhaus gingen, um sich eine ganze Oper anzuschauen. Der Nachteil liegt in der Auffassung der Veranstalter, dass es nur rund zehn bis vierzehn Opern- und Operettenarien sowie vielleicht noch zwei Lieder gibt, die sich zur Aufführung eignen. Das ist völliger Unsinn, hat sich aber wohl in den Köpfen so festgesetzt. Und so werden regelmäßige Operngänger vergrault, die schnell das Gefühl bekommen, ständig dieselbe Schallplatte aufgelegt zu bekommen. Überhaupt kommen auf Opernliebhaber schlechte Zeiten zu. Denn schon jetzt zeichnet sich der Trend ab, dass die Opernhäuser bevorzugt auf die Klassiker setzen, um das Publikum in der nächsten Spielzeit wieder in die Säle zu locken.

Zu dem einen Arienabend im Kulturgarten setzt Désirée Brodka mit Freunden wirklich das klassische Standardprogramm schlechthin auf. Die Sopranistin ist Intendantin der Oper im Espresso-Format. Eine besondere Form der Open-Air-Oper, bei der vier Sänger in Begleitung eines Streichquartetts in rund 90 Minuten die Essenz einer Oper mit minimalen Mitteln vortragen. Da versammeln sich bei freiem Eintritt schon mal leicht tausend Zuschauer und mehr unter freiem Himmel, um einer solchen Aufführung beizuwohnen. In der jüngeren Vergangenheit haben sich die Opernarbeiter allerdings auf Seniorenheimkonzerte kapriziert. Und so ist die Freude groß, auch wieder einmal öffentlich auftreten zu dürfen. Wer allerdings gehofft hatte, Brodka singen zu hören, sieht sich an diesem Abend enttäuscht. Und hat vielleicht den größeren Gewinn gezogen. Denn Brodka darf zwar auf medizinischen Rat hin nicht singen, aber sprechen. Und so kann sie sich ganz auf die Moderation des Abends konzentrieren. Das gelingt ihr ganz fabelhaft. Ohne von Kärtchen abzulesen, führt sie locker-leicht durch den Abend, ordnet die vorgetragenen Arien in den Opern- oder Operettenzusammenhang ein und hat auch einige Anekdoten mitgebracht. Sehr charmant stellt sie das Streichquartett vor, das heute Abend nicht nur Hintergrundbegleitung ist, sondern selbst einen Musikgenuss darstellt. Laura Knapp und Antonio Mallach bringen ein bezauberndes Geigenspiel zu Gehör, Maria Zemlicka veranlasst die Bratsche zur Imitation der menschlichen Stimme, was sie ja bekanntlich am besten kann, und Dan Zemlicka sorgt für die tiefen Töne auf dem Cello. Alle vier arbeiten laut Brodka hauptberuflich solistisch, finden aber hier in wunderbaren Kontext.

Carlos Moreno Pelizari – Foto © O-Ton

Für Brodka als Sängerin ist Lisa Kaltenmeier kurzfristig eingesprungen. Sie eröffnet den Abend mit dem Klassiker des Arienabends. O mio babbino caro, der Erfolgsschlager schlechthin aus Giacomo Puccinis Oper Gianni Schicchi, der oftmals eher zur Steigerung in der Dramaturgie eines solchen Abends zu einem späteren Zeitpunkt eingesetzt wird, wird von Kaltenmeier sehr schön dargeboten, auch wenn der letzte, der sprühende Funke fehlt. Mit Agris Hartmanis betritt ein wunderbarer, sehr spielfreudiger Bariton die Bühne. Er beginnt mit Figaros Arie Non più andrai aus Mozarts Le nozze di figaro. Dann geht es weiter mit dem Werbeblock für die nächste Aufführung der Oper im Espresso-Format. Die zeigt nämlich demnächst Puccinis La bohème. Da darf die Tenor-Arie Che gelida manina nicht fehlen. Präsentiert wird sie von Carlos Moreno Pelizari, dessen Gesang sich durch außergewöhnliches Augenmaß auszeichnet. Hier wird nichts übertrieben, wozu Tenöre vor allem bei den später vorgetragenen Liedern gern neigen. Ein sehr angenehmer Auftritt, bei dem das Mitsingen Spaß macht. Nein, es singt niemand mit. Stattdessen unterhält man sich im Publikum gern mal. Strafende Blicke, die im Saal des Opernhauses ausreichen, zeigen hier keine Wirkung. Die sind ja auch den Papageien und den Notarzteinsatzfahrzeugen mit ihren Sondersignalen egal. Kaltenmeier schiebt Mimìs D’onde lieta uscì nach, auch das ein Versprechen auf eine herausragende Aufführung der Bohème demnächst. Hartmanis wartet dann doch mit einer kleinen Überraschung auf. In der Arie Di provenza il mar aus La traviata singt er die zweite Strophe auf Deutsch.

Por una cabeza – um den Kopf eines Pferdes – ist ein populärer Tango von Carlos Gardel, den das Quartett hinreißend instrumental darbietet, um eine geeignete Überleitung für die nächste tenorale Schmelzattacke zu finden. Mit Agustin Laras Granada bleibt der unprätentiöse Pelizari ein wenig hinter den Erwartungen zurück. Da hätte man sich doch ein wenig mehr Glut gewünscht. Mit Giudittas Arie aus der gleichnamigen Operette von Franz Lehár Meine Lippen, sie küssen so heiß stimmt Kaltenmeier schon einmal auf den zweiten Teil des Abends ein.

Lisa Kaltenmeier – Foto © O-Ton

Das Best of lässt sich noch steigern. Spätestens ab jetzt fühlt man sich in einige Fernsehsendungen der 1950-er und 60-er Jahre zurückversetzt. Schenkt man sich Rosen in Tirol ist das Duett aus Carl Zellers Operette Der Vogelhändler, zu dem noch dunkel Schwarzweiß-Bilder auf dem heimischen Fernseher in der Erinnerung auftauchen. Bevor es mit einem Intermezzo, Als geblüht der Kirschenbaum und Als dir die Welt voll Rosen hing aus dem Vogelhändler weitergeht, wird noch schnell ein Ausflug in die Lustige Witwe von Franz Lehár eingeschoben. O Vaterland ist den meisten Menschen eher als Da geh‘ ich zu Maxim bekannt und unvergessen von René Kollo oder Nicolai Gedda interpretiert. Hartmanis schlägt sich tapfer. Und in seinem Duett Lippen schweigen mit Kaltenmeier erwacht eindeutig die Begeisterung des Publikums.

Eines der gefährlichsten Lieder für Tenöre ist Eduardo di Capuas O sole mio. Es gibt einfach zu viele fantastische Interpretationen, und es braucht einen guten Lehrer, um sich diesem Schmachtfetzen zu nähern. Pelizari hat den offenbar gehabt und sorgt mit seiner Darbietung für größtes Vergnügen. Was fehlt noch, um einen solchen Abend abzurunden? Richtig. Ein Trinklied. Auf dass die Besucher recht beschwingt nach Hause gehen. Brodka geht in ihrem Programm auf Nummer sicher und präsentiert gleich zwei davon. Im Feuerstrom der Reben aus Johann Strauß‘ Operette Die Fledermaus gerät erwartungsgemäß zum seligmachenden Erfolg und kann nur noch übertroffen werden von der Zugabe des Brindisi aus La traviata.

Das Publikum ist vom Standard der Standards absolut begeistert. Aber die schönen Stimmen, eine wunderbare Begleitung und die ausgemachte Freude auf der Bühne machen es ihm auch leicht. Und die Moderation Brodkas setzt dem Ganzen das Sahnehäubchen auf, ruft ein Zuschauer sinngemäß. Recht hat er. Ein paar Regentropfen hat es gegeben zwischendurch, aber das hat kaum jemand bemerkt. Ansonsten herrschte eine wohlige, intime Atmosphäre vor – wie so oft nach solchen Arienabenden, nach denen man gar nicht sofort nach Hause möchte.

Der Kulturgarten bietet noch weitere Höhepunkte, je nach Geschmack. Einen Besuch wert ist sicher der Auftritt der Deutschen Kammerakademie Neuss am Donnerstag, die sich mit Piazzolla befasst. Und am kommenden Sonntag können sich Jazz-Freunde ganze sechs Stunden im Kulturgarten vergnügen. Hoffentlich gelingt es bis dahin endlich, einen Bratwurst-Stand zu organisieren. Zu einem guten Festival gehört eine gute Bratwurst, das weiß doch jeder. Und daran hat es in diesem Jahr in Neuss bislang gemangelt. Also auf zum Finale.

Michael S. Zerban