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OSKAR GOTTLIEB BLARR
(Diverse Komponisten)
Besuch am
29. Mai 2023
(Einmalige Aufführung)
Der letzte Tag des Insel-Festivals auf der Raketenstation der Insel Hombroich in Neuss könnte kaum schöner beginnen. Wolkenloser Himmel, frühlingshafte Temperaturen und ein leichter Wind laden zu Spaziergängen auf dem Gelände ein, auf dem das Gras meterhoch wächst. Die erste Stunde des Nachmittags allerdings gehört nicht der Naturbetrachtung, sondern Oskar Gottlieb Blarr. Und er bringt gleich mal sein eigenes Publikum mit in die Veranstaltungshalle. In Scharen strömen die Menschen zur Bühne. Die Halle ist brechend voll.
Foto © O-Ton
Oskar war elf Jahre alt, als er 1945 aus Sandlack bei Bartenstein in Ostpreußen nach Westdeutschland floh. Zwei Jahre später legte er mit dem Unterricht in Klavier, Orgel, Violine und Tonsatz das Fundament für eine musikalische Karriere, die heute, er ist gerade 89 Jahre alt geworden, immer noch nicht beendet scheint. Nach dem erfolgreich absolvierten Studium der Kirchenmusik und des Schlagzeugs in Hannover wird er von 1961 bis 1999 Kirchenmusiker der Neanderkirche in Düsseldorf. Die Landeshauptstadt bleibt sein Lebensmittelpunkt. Blarr wird Dozent am katechetischen Seminar und Honorarprofessor für Instrumentation an der Robert-Schumann-Hochschule. Prägend für sein Leben wird ein Studienaufenthalt in den Jahren 1980/81 in Israel.
Auch wenn er sich über einen Foxtrott, eine Polka oder einen Tango bis heute wie ein Kind freuen kann, bleibt er in der eigenen Komposition, die er noch 1964 bei Bernd Alois Zimmermann und anderen studiert hatte, der Kirchenmusik treu. Oratorien, Orgelwerke, Orchester- und kammermusikalische Stücke stehen ebenso wie neue geistliche Lieder auf seiner Werkliste. Und obwohl in keiner der biografischen Fundstellen im Internet seine Aktivitäten bezüglich der Insel Hombroich auftauchen, ist er dem dortigen Netzwerk bis heute „in Dankbarkeit“ verbunden.
Wie bei seinen Konzerten üblich, lässt er sich auch heute eine kurze Einführung nicht nehmen, die er ebenso flott wie humorvoll gestaltet. Die Verantwortlichen des Festivals liefern ihm hier die Vorlage, wenn sie im spärlich gestalteten Programmzettel nicht einmal die Sätze der Werke aufführen. Die Informationsverweigerung gestaltet sich in diesem Jahr zu einem echten Ärgernis, und Rainer Wiertz hat da als Programmverantwortlicher für das kommende Festival eine echte Aufgabe vor sich. An diesem Nachmittag sind nicht einmal ausreichend Programmzettel kopiert, um alle Gäste damit zu versorgen. Blarr genießt es sichtlich und sehr gut vorbereitet, die fehlenden Informationen wenigstens teilweise nachzuliefern.
Foto © O-Ton
Im Mittelpunkt des heutigen Konzerts stehen Bearbeitungen für Saxofon und Akkordeon. Eine ungewöhnliche Kombination, gibt Blarr zu. Am Beginn steht das von Blarr in diesem Jahr geschaffene Arrangement für Alt- und Bass-Saxofon der Sonata V aus Le Nymphe di Rheno von Johann Schenk aus dem 17. Jahrhundert. Mit Wardy Hamburg am Alt- und Frank Timpe am Bass-Saxofon wird daraus ein Genuss. Den „Kontrapunkt“ schafft Marko Kassl, der am Akkordeon die drei Interludien Auf den Wassern zu singen vorträgt, die Moritz Eggert 2009 komponiert hat. Gemeinsam interpretieren die drei Musiker anschließend Blarrs Werk In honorem Karl-Heinrich Müller, mit dem der Gründer der Insel Hombroich gewürdigt wird. Nach dieser Uraufführung setzt sich Blarr selbst an den Flügel, hinter dem ein Gong steht, der für exakt fünf Schläge aufgebaut wurde. Albumblatt mit Polonaise für Anatol, Erdmute und Heico nennt der Komponist das Stück, das im vergangenen Jahr entstand und an Künstler der Insel Hombroich erinnert. Damit ist für Blarr der „ernste Teil“ des Konzerts abgeschlossen, und es ist Zeit für ein wenig Vergnügen, so die Besucher es bis zu diesem Zeitpunkt nicht empfunden haben sollten. Alle vier Musiker versammeln sich auf der Bühne, um den Fox-Song, auch kürzer Susi, zu interpretieren, den Erwin Schulhoff ursprünglich für Klavier und Flöte im Jahr 1937 komponiert hat. Das Publikum ist komplett begeistert. Und als Blarr den Titel der Zugabe verkündet, ist gar Johlen im Saal zu hören. Es ist ein Lied aus seiner ursprünglichen Heimat, erzählt der Düsseldorfer, der im Herzen acht Jahrzehnte später wohl immer noch ein bisschen Ostpreuße ist.
Zogen einst fünf wilde Schwäne ist ein Volks- und Antikriegslied, das erstmals überregionale Bedeutung durch den ostpreußischen Volkskundler Karl Plenzat gewann, der es 1918 in seine Sammlung Der Liederschrein aufnahm. Hier wird es nun instrumental dargeboten, Blarr widmet es einem Weggefährten der Insel Hombroich, für manch einen, der die gesungene Version beispielsweise von Hannes Wader oder Zupfgeigenhansl kennt, mag es in diesen Zeiten mehr als das bedeuten.
Michael S. Zerban