Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
THE GESUALDO SIX
(Diverse Komponisten)
Besuch am
2. Oktober 2021
(Einmalige Aufführung)
Janus ist der Gott allen Ursprungs, des Anfangs und des Endes. Und deshalb wird sein Haupt auch in der Regel doppelköpfig dargestellt. Er hat den Blick sowohl rückwärts- als auch vorwärtsgewandt, schaut nach innen wie nach außen. Damit ist er der Gott des Zwiespalts wie auch der Dualität. In diesem Jahr hat ihn der Verein zur Förderung des Kunst- und Kulturraums Hombroich zum Motto seines Inselfestivals erkoren. In einer Zeit des „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen“ gewinnt ein solcher Gott an politischer Brisanz, wenn er für das Für und Wider steht. Allerdings zeigt sich der Verein nicht politisch, sondern bezieht sein Motto allein auf die Musik. Programmatisch bedeutet das für Rainer Wiertz, der als Programmplaner dafür sorgt, die passenden künstlerischen Gäste einzuladen, sein besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass die die gesamte Spannweite von alter bis zur zeitgenössischen Musik berücksichtigt wird.
Für diesen Samstag hat Wiertz The Gesualdo Six eingeladen. Das sechsköpfige, britische A-cappella-Ensemble ist ursprünglich angetreten, alte Musik zu feiern. Im März 2014 gründete Owain Park das Vokalkonsort, das seither mehr als erfolgreich Festivals in der ganzen Welt bereist. Beim Bass wird Park von Samuel Mitchell unterstützt, als Tenöre treten Josh Cooler und Joseph Wicks an, und mit Guy James und Tom Libum komplettieren zwei Countertenöre die Gruppe. Und längst haben die Sänger sich musikalisch weiterentwickelt. Wie, das wollen sie beim Inselfestival während einer Klangwanderung zeigen, die auf die Minute pünktlich an der Außenmauer der Langen-Foundation beginnt. Eigentlich ist für diesen Tag Regen angesagt, aber Janus scheint hier mit irgendwelchen anderen Göttern zu paktieren, denn in den kommenden anderthalb Stunden bleibt es bei schweren, dunklen Wolken und Wind. Da ist der Laie erst mal skeptisch. Im Wind vor einer Betonmauer zu singen – was wird davon zu hören sein? Vermutlich nicht viel.
Aber die Sänger haben ein besseres Ohr für die Akustik, und Park hat offenbar ein Faible für besondere Klangräume. Und so sind Viva amor, viva quel focho von Bartolomeo Tromboncino, Alas for lack of her presence von Robert Fayrfax und Tous les regrets von Antoine Brumel ausgezeichnet zu verstehen. Drei mittelalterliche Gesänge, deren Anmoderation Park noch mit Tipps zum richtigen Standort für das Publikum verbindet. Inzwischen ist die Besucherschar zu einem Tross angewachsen, der sich zum Haus für Musiker bewegt. Einmal mehr heißt es hier, auf den Schlüsselverantwortlichen zu warten. Da gibt es wirklich noch Optimierungsbedarf. Die Sänger postieren sich im Innenhof und fordern ihre Hörer auf, sich auch auf die höhergelegenen Galerien zu begeben.
Guy James – Foto © O-Ton
Noch immer schauen einige Besucher skeptisch in den Programmzettel, der längst nicht mehr stimmt. Denn das Programm ist im Vorfeld des Festivals und in Unkenntnis der Örtlichkeiten erstellt worden. Nach ihrer Ankunft haben die Sänger sich dann erst mal vor Ort über die akustischen Möglichkeiten informiert – und daraufhin das Programm nachhaltig geändert. Im Haus für Musiker bleibt es allerdings bei einer Umstellung der Reihenfolge. Und hier erfahren die Zuschauer nicht nur, dass sich das Ensemble längst auch mit neuer Musik beschäftigt und Owain Park selbst komponiert. Los geht es mit The Wind’s Warning des 1971 geborenen Alison Willis und When love speaks von Park, ehe dann aus dem 16. Jahrhundert Orlando Gibbons mit The Silver Swan und John Wilbye mit Draw on, sweet night zu Gehör kommen. All das fügt sich wunderbar in einem scheinbar vollkommen zeitlosen Klangbild zusammen. In Verbindung mit der abgelegenen Örtlichkeit der Raketenstation Hombroich kann man hier wirklich ganz genüsslich mal aus der Wirklichkeit fallen.
Dementsprechend entspannt wandert die Schar weiter zum Archiv, von dem eine Besucherin weiß, dass es sich hier im Grunde um nichts anderes als einen Windschacht handelt, in dem nun wirklich kein Gesang möglich sei. Na ja, oder zu wissen glaubt. Denn nach Jacques Arcadelts Il bianco e dolce cigno erklingt auch das wunderbare Asciugate i begli occhi von Carlo Gesualdo hier ganz fabelhaft. Trotzdem geht es rasch weiter zum abschließenden Höhepunkt, zumal sich die Besucher im Künstlerbau Tilapia des Architekten Katsuhito Nishikawa auf den Betonstufen niederlassen können, die sich ringförmig unter einem Balkon ausbreiten. Hier geht es zunächst wieder in das 15. Jahrhundert, aus dem Josquin des Prez von den Nymphen des Waldes erzählt und nach zwei weiteren Stücken auch das O ecclesia von Hildegard von Bingen erklingt. Mit größter Selbstverständlichkeit und ohne hörbare Brüche schließt sich Phos hilaron von Owain Park an, ein wunderbar leises Werk, das dem Countertenor Guy James auf den Leib geschneidert erscheint.
Als Zugabe erklatscht sich das Publikum O nata lux von Thomas Tallis aus dem 16. Jahrhundert. Und damit geht dann endgültig eine unvergessliche Klangwanderung durch die Natur zu Ende. Bei einer kleinen Kaffeetafel im Fontana-Pavillon haben die Besucher noch Gelegenheit, mit den sympathischen Sängern ins Gespräch zu kommen. Und es gibt wohl keinen, der sich an diesem Nachmittag nicht sicher wäre, soeben einen der Höhepunkte des diesjährigen Inselfestivals erlebt zu haben.
Michael S. Zerban