O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Von Händel bis Chaplin

FILM AND FOLK
(Diverse Komponisten)

Besuch am
8. Augst 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Stadt Neuss, Globe-Theater

Das Kulturamt der Stadt Neuss hat das Festival mit dem schönen Namen Kulturgarten binnen kürzester Zeit aus dem Boden gestampft. Das ist aller Ehren wert. Und was bislang zu sehen war, führt in Qualität und Vielfalt zu der Überlegung, ob ein solches Festival nicht zu einer Neuauflage führen muss. In den kommenden Monaten werden in Neuss viele Entscheidungen in der Kultur zu treffen sein. Da wird dann wohl mehr auf den Prüfstand kommen, als manch einem lieb ist. Vorerst mag sich darüber aber niemand so recht Gedanken machen. Und eine ganze Woche noch läuft der Kulturgarten. Am heutigen Abend steht die Opernsängerin Annette Elster auf dem Programm. Die in Neuss lebende Künstlerin tritt mit ihrem Lebensgefährten Christoph Staude, einem Pianisten und Komponisten, an, ein außergewöhnliches Konzept im sommerlich heißen Globe-Theater zu präsentieren.

Die Bühne ist mit marginalen Mitteln liebevoll hergerichtet. Ein satter Blumenstrauß findet dort Platz, der Flügel ist von innen beleuchtet und die Scheinwerfer sorgen dafür, dass Sängerin und Pianist zumeist in günstigem Licht erscheinen. Wo das nicht gelingt, liegt es eher an der Sopranistin selbst, die mit viel Spielfreude den gesamten Raum auszunutzen versucht, selbst vor einem Kniefall nicht zurückschreckt. Da geht es vom Ersten Rang über die Bühne bis ins Parkett. Da muss jeder Beleuchter passen, zumal die Hygiene-Vorschriften offene Fenster und Türen verlangen, durch die das Tageslicht dringt. Schöne Vorschriften übrigens, wenn die Temperaturen über 35 °C ansteigen. Es ist endlich Sommer in Neuss. Dass zwischendurch eine frische Brise dem Pianisten die Notenblätter vom Flügel weht, wird da geradezu mit Erleichterung vom zugegebenermaßen spärlich erschienenen Publikum wahrgenommen. Für das hat sich Elster allerdings in Schale geschmissen. Vom roten Abendkleid mit goldfarbenem Schal über eine strenge, schwarze Jacke bis zum Überwurf, der an einen Carmen-Auftritt erinnert, versucht die Sängerin, Abwechslung in den einstündigen Auftritt zu bringen. Das gefällt den Besuchern ebenso sehr wie das Konzept des gut einstündigen Auftritts. Elster, die eine internationale Karriere absolviert hat, möchte mit Schlagern aus der Filmwelt und anderen Liedern beeindrucken. So eine Art Greatest Hits unter Evergreens soll das werden. Und nach dem ersten Auftritt im Ersten Rang, in dem sie George Gershwins Summertime vom Blatt singt, bemüht sie sich auch durchaus souverän, die übrigen Titel zu moderieren. Mit dem japanischen Volkslied Hannabe no uta geht es am Notenständer auf der Bühne weiter.

Christoph Staude – Foto © O-Ton

Mit jeder Geste vermittelt die Sopranistin die Erinnerung an ihre Karriere. Der häufigste Fehler, der Opernsängerinnen bei Amazing Grace unterläuft, ist, dass sie versuchen, etwas ganz Besonderes daraus zu machen. Und dann überschlägt sich die Stimme, und das Malheur ist da. Das ist ganz ähnlich bei dem Klassiker O sole mio. Aber das Schöne an solchen Liedern ist, dass Fehler eigentlich kaum möglich sind, weil sie emotional so beeindrucken, dass Fehler gar nicht erst wahrgenommen werden. Bei Glenn Millers Moonlight Serenade, die Staude als Solo präsentiert, kommt man allerdings nicht umhin, fehlendes Tempo zu bemängeln. Das ist ja eindeutig kein Schlaflied. Und da schlägt eine solcherart gedeutete Interpretation einfach fehl.

Lass mich beweinen mein grausames Schicksal – so lauten die ersten Worte der Arie Lascia ch’io pianga, die Georg Friedrich Händel zum zweiten Mal in seiner Oper Rinaldo zum Einsatz und damit zu Weltruhm brachte. Eine der berühmtesten Versionen dieser Arie stammt aus dem Film Farinelli von 1994. Denn für den Film wurde die Arie von Derek Lee Ragin und Ewa Małas-Godlewska gesungen, deren beider Stimmen anschließend elektronisch gemischt wurden, um einen annähernd ätherischen Klang der Stimme Farinellis zu erreichen. Noch heute ist es ein Traum jeder angehenden Sopranistin, diese Arie einmal mit An- und Wehmut singen zu können. Mit Moon River von Henri Mancini aus dem Film Frühstück bei Tiffany aus dem Jahr 1961 bleibt Elster bei den Klassikern, ehe sie mit zwei Stücken Charlie Chaplin als Komponisten vorstellt. Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n von Bruno Balz und Michael Jary machte Zarah Leander weltberühmt und vermutlich gibt es noch heute kaum jemanden, der den Kassenschlager aus dem Jahr 1942 nicht kennt. Auch hier liegt die sängerische Herausforderung wohl eher darin, das Publikum emotional mitzunehmen, denn in der Technik. Das gilt wohl ebenso für den Tränendrücker Somewhere my love, der auf dem Leitmotiv Laras Lied aus dem 1965 erschienenen Film Doktor Schiwago beruht. Mit La vie en rose will Elster dann noch einmal die Seele des Publikums anrühren, ehe der Abend mit dem russischen Volks- und Trinklied Otschi tschornye ausklingt.

Sichtlich gerührt ist schließlich auch die Sängerin, als das Publikum ihr für die Idee des Abends und die Auswahl der Stücke warmen Applaus spendiert.

Michael S. Zerban