O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Benjamin Schardt

Aktuelle Aufführungen

Große Revue für die Alten

EWIG JUNG
(Erik Gedeon)

Besuch am
29. Januar 2022
(Premiere)

 

Rheinisches Landestheater Neuss, Großer Saal

Älterwerden ist nichts für Feiglinge“, mit diesem Spruch kokettieren gern jene, die das 40. Lebensjahr überschritten haben. Dabei wissen sie noch gar nichts darüber, was Altwerden bedeutet. Ab 55 wirst du unsichtbar, deine Lebenserfahrung zählt nichts mehr – und neuerdings wirst du als Mann auch noch auf das Übelste diskriminiert. Gleichzeitig merkst du, dass deine Reise hier endlich ist, materielle Werte an Bedeutung verlieren und die körperlichen Beschwerden zunehmen. Von nun an geht’s bergab. Ja, du bist sportlich, ernährst dich vegan – vegetarisch ist ja schon ein alter Hut – und gehst womöglich sogar noch regelmäßig in die Kirche. Es hilft alles nichts. Das Ende des Berufslebens ist für viele Menschen das Ende regelmäßiger sozialer Kontakte. Vielleicht kann noch ein Verein helfen. Aber die haben auch lieber die jungen Mitglieder. Ja, der Jugendwahn hat viele scharfe Kanten. Und dass es im Heim zunehmend „Aktivierungsprogramme“ gibt, mag manchem eher als Bedrohung denn als Trost erscheinen.

Schaut man in Film, Fernsehen und Theater nach den Alten, wird dort gern die einmalige Situation gezeigt, in der die Alten noch einmal ein außergewöhnliches Erlebnis erfahren. Eine letzte Reise, ein letztes Großereignis, eine letzte Gelegenheit, die eigenen außergewöhnlichen Fähigkeiten noch einmal zu beweisen. Gern wird dafür der komödiantische Rahmen gewählt. Das ist keine empirisch belegte Aussage, sondern ein Eindruck. Den unterstreicht auch Erik Gedeon, als er sein Stück Ewig jung schreibt, das 2007 am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt wird und seitdem über die Bühnen der Republik tourt. Aus Sicht der Theatermacher ist es ein großartiges Stück, weil es die Schauspieler zwingt, sich in eine gar nicht vorstellbare Lebenssituation zu begeben, und die Maskenbildner vor schier unlösbare Aufgaben stellt. Für das Rheinische Landestheater Neuss kommt das Stück zur rechten Zeit, weil an Stadttheatern und dementsprechend auch an Landestheatern derzeit kein Platz für „Problemstücke“ ist. Die Menschen wollen unterhalten und abgelenkt werden. Lange hat das Theater nicht mehr so viele Zuschauer wie zu diesem Premierenabend gesehen.

Foto © Benjamin Schardt

Während die Besucher Kopf an Kopf sitzen, weist die Ansage vor dem Beginn der Aufführung darauf hin, dass neben anderen Dingen auch der Mindestabstand unbedingt einzuhalten sei. Es wird ein lustiger Abend werden. Regisseur Wolfgang Böhm hat sich bewusst für eine boulevardeske Inszenierung entschieden. Eine Gruppe ehemaliger Schauspieler hat in ihrem Altenheim den Besuch einer Theaterbühne außerhalb des Hauses erwirken können. Begleitet werden sie dabei von der Altenpflegerin Schwester Rosa, die sie mit einem erbaulichen Programm unterhalten soll. Auf der professionellen Ebene gibt es also Kinderlieder wie Wir klatschen in die Hände oder Eines Tages, auf der privaten Ebene ist sie den Genüssen des Lebens ebenso wenig abgeneigt wie die älteren Herrschaften, denen solche Genüsse allerdings verboten werden. Wenn aber die Altenpflegerin den Raum verlassen muss, um den Aufenthalt zu organisieren, nutzen die Alten die Gelegenheit, um „ihre“ Stücke zu singen. Begleitet werden sie dabei am Flügel von Gedeons Arrangements. Christina Hillinger hat eine Bühne gebaut, die der Geselligkeit und dem großen Auftritt dient. Rechts führt eine große Treppe herab. Links steht der Flügel. Dazwischen gibt es Tische mit Stühlen, die um eine Freifläche herum aufgebaut sind. Im Hintergrund erlaubt eine zusätzliche Tür die Zwischenauftritte von Schwester Rosa. Der Gesamteindruck ist plüschig, schließlich liegt die große Zeit der Akteure lange zurück. Mit ihren Kostümen schließt sich Alide Büld diesem Eindruck an. Kommen die Darsteller zunächst bevorzugt im „Alters-Beige“ oder Schwarz auf die Bühne, legen sie im Verlauf viele Pailletten in bunten Farben darüber. Da wird das alte Leben, der Glanz wieder sichtbar. Das ist alles schön und schlüssig inszeniert. Das Publikum scheint förmlich ausgehungert nach Klamauk und Slapstick. Jeder Anflug von Pointe löst Kichern und Lachen im Saal aus. Und die Bewegungssprache, die Choreografin Myriam Lifka entwickelt, unterstreicht den vergnüglichen Abend.

Die Schauspieler saugen die Atmosphäre in sich auf und reagieren mit einer vorzüglichen Darstellung. Frank Rosenberger tritt geistähnlich als Herr Grau auf, übernimmt ganz wunderbar den Klavierpart. Als unreflektierte Schwester Rosa tritt großartig Hergard Engert auf, präsentiert sich stimmlich vor allem bei den Eigenkompositionen von Gedeon hervorragend. Silke Buchholz gibt eine geile Frau Schwarz mit Anflügen eines Tourette-Syndroms, die in der Wahl der Männer gänzlich anspruchslos ist, aber mit All by Myself glänzt. Längst in der Demenz verfangen, erinnert sich Katrin Hauptmann hauptsächlich an ihre Rolle in der Möwe. Im Duett So bist du gefällt sie sehr gut. Herr Grün als ihr Freund oder Ehemann hat alle Hände voll zu tun, sie in der Spur zu halten. Philippe Ledun erledigt nicht nur diese Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit, sondern liefert auch mit Born to be Wild eine große Show ab. Herr Rot vergnügt das Publikum mit Buona Sera Signorina, dazu zeigt Johannes Bauer eine Bewegungssprache am Krückstock, die einfach nur begeistert. Herr Blau ist der Mann für gewisse Fälle mit dem Hanfstängel in der Instrumentenschatulle. Peter Waros gibt den Hippie in jeder Hinsicht überzeugend. Auch wenn das Ende nachdenklich, aber versöhnlich stimmt, inszeniert Böhm ganz zum Schluss statt einer Zugabe noch die große Party. Und mehr wird nicht verraten. Höchstens, dass man sich dieses Stück Lebensfreude durchaus mehrfach anschauen kann – wenn man älter als 50 Jahre ist. Jüngere können damit vermutlich nicht so viel anfangen, aber das ist auch in Ordnung so.

Michael S. Zerban