O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Fest der tiefen Töne

KAMMERMUSIK II: KLASSIKER
(Diverse Komponisten)

Besuch am
9. August 2020
(Zweite Vorstellung)

 

Stadt Neuss, Globe-Theater

Für Musiker – egal, ob Solisten oder freiberufliche Orchestermitglieder – wird sich das Jahr 2020 als Katastrophenjahr in das historische Gedächtnis eingraben. Und noch hoffen alle, dass es bei diesem Jahr bleibt. Neben existenziellen Geldsorgen, die ab September allmählich wieder der Vergangenheit angehören sollten, müssen sie sich Herausforderungen stellen, von denen die meisten bislang nicht einmal wussten, dass es sie gibt. Nach fünf Monaten fehlender Spielpraxis heißt es jetzt, unter erschwerten Reisebedingungen mit ultrakurzen Probezeiten neue Programme in höchstmöglicher Perfektion auf die Bühne zu bringen. Denn bei den derzeit möglichen Mannstärken auf den Bühnen kann sich niemand mehr in der Menge verstecken. Gefragt sind also Flexibilität, Fleiß und Exzellenz – mehr denn je. Und dabei müssen die Musiker noch froh sein, wenn es überhaupt Aufträge gibt.

Danka Nikolic – Foto © O-Ton

Die Stadt Neuss hat sich mit ihrem rasch ins Leben gerufenen Kulturgarten zum Ziel gesetzt, nicht nur ein Ersatz-Festival für das ausgefallene Shakespeare-Festival, sondern auch ein Ferienprogramm für die in den Sommerferien daheimgebliebenen Bürger anzubieten, sondern damit auch wenigstens einige Aufträge an Künstler zu vergeben. Dass dabei auch die Musiker der Deutschen Kammerakademie Neuss berücksichtigt werden, liegt nahe, schließlich ist die Kammerakademie so etwas wie das Orchester der Stadt. Wenn nun die Kammerakademie fünf Konzerte im Kulturgarten anbieten darf, klingt das mehr, als es tatsächlich ist. Denn mehr als drei bis vier Musiker haben nach den derzeit geltenden Regeln auf der Bühne des Globe-Theaters keinen Platz, in der Ausweichspielstätte Zeughaus sind es fünf. Trotzdem freut sich Orchester-Manager Martin Jakubeit, dass der generelle Stillstand endlich aufgehoben ist. Binnen kürzester Zeit mussten neue Programme aufgestellt werden, die in Krisenzeiten offiziell umsetzbar sind.

Eines davon kommt an diesem Sonntag gleich zwei Mal zum Einsatz. Benötigt werden drei Musiker, um eine kammermusikalische Stunde ganz ohne Geigen über die Bühne zu bringen. Wurden beim letzten Mal Stipendiaten berücksichtigt, sind dieses Mal drei Stimmführer eingeladen, aus dem Ausland nach Neuss zu reisen, um das Programm zu präsentieren. Am Vorabend sind Bratschistin Danka Nikolic, Cellist Milan Vrsajkov und Kontrabassist Vilmos Buza eingetroffen. Nach den Reisestrapazen müssen anderthalb Proben ausreichen. Natürlich kennen die drei Musiker sich und sind Profi genug, sich der Herausforderung zu stellen.

Zwar sind die angekündigten Hitzegewitter ausgeblieben, aber große Luftfeuchtigkeit, verbunden mit hohen Außentemperaturen sorgen für „Kreislaufwetter“. Da bleiben die Alten – zumindest am frühen Abend – vorsorglich zu Hause. Viele Plätze im Globe-Theater, in das die warme, feuchte Luft hereindrückt, bleiben unbesetzt. Vermutlich eine weise Entscheidung aus gesundheitlicher Sicht; aus Sicht der Musiker wohl eher eine enttäuschende Situation. Die lassen sich davon nichts anmerken.

Vilmos Buza – Foto © O-Ton

Carl Ditters von Dittersdorfs Sonate in Es-Dur eröffnet den Abend. Selbst Violinvirtuose der Wiener Klassik, verfasste er die viersätzige Sonate für Bratsche und Kontrabass. Nikolic und Buza spielen mit Verve auf. Und man mag für den Rest des Abends nicht aus dem Staunen herauskommen, wie viel Virtuosität Buza aus dem Kontrabass zaubert. Das gelingt auch im nachfolgenden Duett für Cello und Kontrabass, das Gioachino Rossini dreisätzig komponiert hat. Daran haben Vrsajkov und Buza sichtlich Spaß, scheinen hier doch auch immer wieder Elemente der Opera buffa auf. Auch der Besucher wird nicht allein gelassen. Nikolic übernimmt die Zwischenmoderationen, die die Hintergründe zu den Werken liefern, für die auf dem Abendzettel kein Platz ist, ehe sie sich selbst in das nächste Stück stürzt. Ludwig van Beethoven hat das Duett mit zwei obligaten Augengläsern für Bratsche und Cello komponiert. Auch er verlangt nicht mehr als einen ambitionierten Hobby-Cellisten, was Vrsajkov dann doch zu humorvollem Protest veranlasst. In der Tat eine verräterische Bemerkung über die damals übliche Aufführungsqualität, die so heute wohl nicht mehr vorstellbar ist. Nach dem ersten Satz ist Schluss, damit noch Zeit bleibt für die beiden Sätze aus dem Divertimento für Viola, Violoncello und Kontrabass von Michael Haydn. Hier dürfen die drei Musiker noch einmal beweisen, dass sie die Krise unbeschadet überwunden haben. Nach einer Zugabe im doppelten Tempo lassen sie sich zu Recht vom Publikum feiern.

Eigentlich sind die Sommerferien in Nordrhein-Westfalen mit dem heutigen Tag beendet, aber der Kulturgarten bietet noch weitere interessante Aufführungen bis zum 15. August. In der kommenden Woche soll sich das sommerliche Wetter noch halten. Grund genug, die gute Laune im Kulturgarten noch ebenso zu genießen wie die angebotenen Programmpunkte.

Michael S. Zerban