O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der gezeigten Aufführung - Foto © Klaus Handner

Aktuelle Aufführungen

Die Seele – ein gordischer Knoten

WUNSCHKONZERT
(Maura Morales)

Besuch am
11. September 2020
(Premiere)

 

Theater im Pumpenhaus, Münster

Franz Xaver Krötz, eher bekannt als schelmisch-bissiger Gesellschaftskritiker, Schauspieler und Regisseur, und durch seinen Film Kir Royal, hat einen Blick für die Freuden, Sorgen und Lasten des kleinen, unaufgeregten Alltags, in dem wir uns unsere Wunschkonzerte selbst orchestrieren.  Aus einem „Nicht-Text“ hat er ein „Tanzstück“ gemacht und es mit Unterstützung der Tänzerin und Regisseurin Maura Morales alias Fräulein Rasch auf die Bühne gebracht, das den Zuschauern oftmals den Atem nimmt. Als Dienstmädchen wuselt sie an ihrem Arbeitsplatz, einer knapp in Wandskizzen angedeuteten Küche, hält sich in dieser Alltagsumgebung mit Dutzenden unbedeutender Kleinigkeiten auf und stöhnt doch unter dem „Gewicht der Routine“. Hier stört sie etwas an einem Bild, dort stehen Geräte herum, und dahinter hängen viel zu viel Spiegel, die sie immer wieder in Versuchung bringen. Eigentlich ist sie auf der Suche nach ihren Leben – nach sich selbst, ihrer Seele, ihrer Psyche, ihrer Stimmung, ihrem Gemüt, ihrem Platz in diesem Alltag, der ihr mehr Sorgen und schwere Gedanken bereitet als Freuden bietet, sie ist eine Suchende.

Maura Morales, von kubanischer Herkunft, hat ihr tänzerisches Temperament in die Wiege gelegt bekommen. Sie ist in der Lage, was andere Menschen durch ihren Gesichtsausdruck vermitteln, durch kaum vorstellbare Ausdrucksformen ihres Körpers auszudrücken. Mit Figuren des klassischen Balletts, des Modern Dance, klassischer Choreografie, der Folklore und des Schauspiels verfügt sie über Ausdrucksformen, die nur selten in dieser Konzentration zusammenkommen. Kein Wunder, dass sie inzwischen bei zahlreichen internationalen Festivals gefragter Gast ist. In Deutschland konnte man sie mit ihrem Stück Exceso de la nada – Überfluss des Nichts – in Darmstadt, Düsseldorf, Braunschweig, Reutlingen und Hannover bewundern. Mit ihrem Solostück Wunschkonzert bringt Morales die Hoffnungen und die Ängste des Fräulein Rasch in Münster auf die Bühne, ohne ein Wort, einen Laut zu sprechen. Lediglich die elektronisch generierte, abstrakte Musik, die Michio Woirgardt gemischt hat, bilden eine Geräuschkulisse zurückhaltender Art, in der nur einige Male starke Rhythmuspassagen in den Vordergrund treten. Im Übrigen beherrscht Morales die Bühne. Mal sitzt sie in einer fiktiven Möbelecke und gönnt sich eine pantomimisch geformte Raucherpause, dann sitzt sie in einem grellen Lichtkegel, ihr Körper windet sich wild gestikulierend, dann drücken Bewegung und Gesicht Freude aus. Während sie ihre Zehen mit einem Kuss beehrt, begleiten sphärisch-rhythmische Klänge ihre Bewegungen. Immer wieder greift sie zu Utensilien in der Küche, um mit ihnen zu arbeiten, dann gehen die Arbeitsbewegungen über in einen rhythmischen Tanz am Boden. Für Minuten bleibt ihr Gesicht still, alles um sie herum ist still, dann erklingt aus dem Radio der Wortschwall eines Features. Ohne Zukunft fühlt sie sich „in ihren vier Wänden eingesperrt“.

Inzwischen hat Morales ihr Kostüm gewechselt. Sie tritt auf in schwarzen Dessous, trägt darüber während einer ruhigeren Phase einen grün-transparenten Umhang. Die Szene wechselt, und Morales zittert am ganzen Körper, kauert an der Wand, quält sich, als wenn sie mit sich selbst kämpfte. Kaltes Licht beleuchtet diese kafkaeske Szene, ihre schulterlangen, dunklen Haare fliegen um ihren Kopf. Wieder windet, krümmt, verdreht sich ihr Körper, der Zuschauer hat Schwierigkeiten, die Körperteile noch zu identifizieren. Lauter, kaum verständlicher Text mischt sich mit schriller Musik, manche Szenen scheinen sexuelle Anspielungen zu sein – viele Szenen bleiben rätselhaft und lassen den Zuschauer fragen, was dieses Tanzelement aus dem Alltag des Fräulein Rasch bedeutet. Manche Bewegungsabläufe lassen sich als tänzerische Selbstreflexion deuten, Versuche, Zugang zu ihrer Seele zu finden – vielleicht. Als dann auch noch Flackerlicht einsetzt und die Tänzerin eine rote Rose aufisst, tauchen für den Zuschauer weitere Fragen auf. Ist es das Lied vom Tod, das Ennio Morricone für Sergio Leones gleichnamigen Film komponiert hat und das im Hintergrund des Schlussteils erklingt?

Das ist nicht die einzige Frage, auf die die Zuhörer, knapp ein Drittel der sonst im Pumpenhaus möglichen Zuschauer keine Antwort erhalten. Eines nehmen sie der Solistin dieses Abends aber gern ab: „Mein Kopf hat viele Dinge schon vergessen, aber mein Körper erinnert sich an alles.“

Der Beifall will nicht enden, die Leistung und die Ausdruckskraft von Maura Morales sind überwältigend, und ein Abend im Theater, dieser Abend ist endlich – ja, endlich wieder – viel Beifall wert.

Horst Dichanz