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Aktuelle Aufführungen

Jahreszeiten als Lebensreise

VIVALDIS JAHRES-, VIVALDIS LEBENSZEITEN
(Antonio Vivaldi)

Besuch am
25. Juni 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Summerwinds Münsterland im Theater Münster

Das Kleine Haus des Münsterschen Theaters ist abgedunkelt, nur flimmerndes Schwarzlicht gibt ein wenig Helligkeit. Vier Damen mit ihren Streichinstrumenten betreten die Bühne. Dann tritt er auf, Erik Bosgraaf, der Blockflöten-Solist dieses Abends beim Internationalen Holzbläser Festival, eine Lichtgestalt im weißen Anzug. Vor sich breitet er ein Etui mit einer Auswahl von Blockflöten aus, die wahrscheinlich nur ein Fachmann richtig benennen kann. Von der Sopranflöte über eine Bassflöte bis zu einem – wahrscheinlich – Bambusrohr ohne Grifflöcher reicht das Sortiment. Bosgraaf, gebürtiger Niederländer, hat dem Konzert den Titel Vivaldis Jahres-, Vivaldis Lebenszeiten gegeben und die Bearbeitung des Vivaldi-Themas multimedial umgesetzt. Und so flackern gleich zu Beginn des Konzertes projizierte bunte Vogelbilder über die Breitleinwand, als die ersten Töne des bekannten   E-Dur-Konzertes von Vivaldi erklingen, die mancher Zuhörer gern mitgesummt hätte. Das erste Stück Concerto E-Dur Der Frühling endet mit einem schnellen Satz und wird von bunten Projektionen begleitet.

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Den Jahreszeiten folgend thematisiert das zweite Stück L’estate den Sommer. Es folgen die Sätze zum Herbst und zum Winter, immer wieder tauchen Partien aus Vivaldis Vier Jahreszeiten auf und werden vielfach variiert. Der Einfallsreichtum des Flötisten ist bewundernswert. Sie reicht von harmonisch versunkenen Passagen über schnelle Läufe wie Perlenketten bis zu langsamen Phrasierungen mit nahezu meditativem Charakter. Dazu laufen über die ganze Bühnenbreite schwarz-weiße Projektionen, bunte Naturaufnahmen oder scherenschnittähnliche Bilder. Bosgraaf ist und bleibt der Primus in dem kleinen Orchester, er gibt den Ton an, die Streicher spielen die Begleitmusik. Das Publikum wirkt leicht irritiert, als Bosgraaf beginnt, sich seiner Kleidung zu entledigen. Erst als er seinen nackten Oberkörper als Projektionsfläche einsetzt und darauf mit Bildern spielt, löst sich das Rätsel. Bosgraaf scheint gerne zu spielen, nicht nur auf seinen Blockflöten, sondern auch mit ihnen oder im Duett mit Hyejin Jang und ihrem Cello.  Zum vierten Satz, der sich dem Winter widmet, lässt Bosgraaf Realbilder projizieren. Er schließt diesen Satz mit Porträtaufnahmen älterer Männer, in deren Gesichter sich ihre Lebenserfahrung, ihr Leben spiegeln. So schließt sich der Kreis der Lebenszeiten von den ersten Bildern eines Babys über die verschiedenen Lebensformen in der Natur bis zur Lebensgeschichte in den Gesichtern alter Männer.

Niemand wird nach dem Konzert bezweifeln, dass Erik Bosgraaf ein Meister auf seinen Blockflöten ist. Das drückt auch der Beifall aus, mit dem sich die Zuhörer nach knapp anderthalb Stunden Blockflöten-Konzert bei den Musikern und bei Bosgraaf bedanken. Dass mancher von ihnen den Streichern gern einen größeren Part gewünscht hätte, mag auch an den Hörgewohnheiten liegen, die wir uns an vielen Orchesterabenden angeeignet haben.

Horst Dichanz