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Liebe – und sonst gar nichts

RENDEZVOUS MIT MARLENE
(Ute Lemper)

Gesehen am
19. März 2021
(Gastspiel/Stream)

 

Theater Münster

Längst ist Ute Lemper etabliert als zweite Marlene Dietrich, ja, als ihre Nachfolgerin. Und wer sich am 19. März die Streaming-Aufzeichnung ansieht und anhört, wird das gern noch einmal bestätigen.

Das Theater Münster hat aus der Corona-Not eine Tugend gemacht und seinen Theater-hungrigen Zuschauern mit Ute Lemper ein gut zweistündiges digitales Gastspiel angeboten. Trotz  ihrer vielen Wohnsitze in New York, Paris und Berlin ist die Lemper ihrer Geburtsstadt Münster treu geblieben, ihre Gastspiele führen sie immer wieder nach Münster oder zu anderen Events in der Nähe, wie etwa zu den Kurt-Weill-Festspielen in Dessau, wo sie 2019 mit ihren Versionen der Songs aus der Dreigroschen-Oper das Publikum begeisterte.

Von ihrem Eingangssong Ich bin von Kopf bis Fuß von Friedrich Hollaender aus dem Jahr 1930 präsentiert Lemper bei ihrem Rendezvous mit Marlene an diesem Marlene-Dietrich-Abend englische Songs und französische Chansons, lediglich ein deutsches Lied taucht nach dem Eingangssong noch im Programm auf, sonst gibt sich die Lemper im Repertoire, im Auftreten, in ihrer gespielten Telefon-Kommunikation mit der Dietrich als internationaler Star. Dietrich und Lemper führen ein dreistündiges Telefonat. Sie sprechen über ihr Leben, ihre Arbeit und ihren Stil, ihre Liebe, ihre Familie, ihr kompliziertes Verhältnis zu Deutschland. Lemper erzählt Marlenes Geschichte und singt ihre unvergessenen Lieder, angefangen von den Berliner Kabarettjahren bis hin zu ihrer Zusammenarbeit mit dem Komponisten Burt Bacharach, den sie in ihren Nachtgedanken als den „wichtigsten Mann in ihrem Leben“ bezeichnet.

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In ihrer Bühnengeschichte, von der Aufführung der Original-Version von Cats 1983 in Wien über ihre Mitwirkung in Jérôme Savarys prämierter Cabaret-Aufführung in Paris bis zur Lola im Blauen Engel in Berlin unter der Regie von Peter Zadek 1992 begeistert Ute Lemper das Publikum seit fast drei Jahrzehnten mit ihrer künstlerischen Vielfalt. Neben ihren Musical-Erfolgen überzeugt Ute Lemper ihr Publikum auch mit ihren Tanzauftritten. So ist sie unter anderem im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem Pina-Bausch-Tanztheater bei einer Kurt-Weill-Revue zu sehen. Auf ihren Konzerten interpretiert sie unter anderem Werke von Kurt Weill, Bertolt Brecht, Edith Piaf und Marlene Dietrich, singt aber auch eigene Songs. Zu ihren eigenen Werken zählen Kompositionen zu Paulo Coelhos Die Schriften von Accra, der Lieder-Zyklus Forever mit Texten von Pablo Neruda, ihr Charles-Bukowski-Avantgarde-Jazz-Projekt oder ihr Piazzolla-Konzertabend Ultimo Tango. Viele ihrer Gesangsaufnahmen und Auftritte veröffentlicht sie auf CD und kann mittlerweile auf über 25 CDs verweisen, die weltweit auf dem Markt sind.

In ihrem Projekt Lieder für die Ewigkeit wendet sie sich einem neuen Thema zu. Auf den Ruhrfestspielen 2018 präsentiert sie ihre Version von Liedern, die im Lager Theresienstadt entstanden sind, mit jiddischen Liedern aus den Ghettos. Sie nennt diesen Abend einen „ihrer wichtigsten Liederabende als deutsche Künstlerin“.

Doch der Streamingabend ist mehr der leichten Muse gewidmet. Im kurzen, schwarzen Paillettenkleid öffnet Lemper ihr Repertoire an englischen Musical-Songs, französischen Chansons, Liedern aus Filmmusiken und eigenen Kompositionen. Gemeinsam mit ihrer Band erklingen aus dem Halbdunkel einer Bar mal freche, mal sentimentale oder traurige Melodien oder flott verjazzte Songs einer Sängerin, die scheinbar ebenso gern für sich wie für ein Publikum singt. Mit verträumt-verhaltener Stimme oder einer herausfordernd raumgreifenden Intonation ist sie auf der Bühne oder an der Bartheke präsent und erzählt aus ihrem Abenteuer-reichen Leben oder setzt ihr Telefonat mit der Dietrich fort. Ob mit weißer Stola oder einem Western-Hut, Lemper ist ständig präsent auf der Bühne und sieht sich in der Gesellschaft von Raubein John Wayne, dem Original Charly Chaplin oder dem sensiblen Frank Sinatra.

Der Abend, „created, written and performed“ by Ute Lemper, bei ihrem letzten Auftritt in engem Silberkleid, lässt die Frage offen, „Wann wird man je verstehen“, einer Zeile der  1962 erstmals von Marlene Dietrich veröffentlichten Version des international populär gewordenen Songs Sag mir, wo die Blumen sind.

Horst Dichanz