O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Oliver Berg

Aktuelle Aufführungen

Masken und Rokoko

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
25. und 27. September 2020
(Premiere)

 

Theater Münster

Es ist fast wie in einer dieser Vorabendserien. Ein Paar ist schon so gut wie auf dem Weg zur Hochzeit, da tauchen die intriganten Widersacher auf und vereiteln das freudige Erlebnis. Man lehnt sich gespannt nach vorne, um zu wissen, wie es weiter geht, aber man muss bis zur nächsten Folge warten. Im Opernhaus dauert eine Pause normalerweise nur 20 bis 60 Minuten. Am Theater Münster dürfte nun eine weltrekordverdächtige Pause von knapp 45 Stunden zwischen dem zweiten und dritten Akt von Mozarts Le nozze di figaro gelegen haben. Denn das Theater führt die Opera buffa an zwei Abenden auf. Akt eins und zwei am Freitag zur Prime Time um halb acht, Akt drei und vier am beschaulichen, späten Sonntagnachmittag um sechs Uhr. Um den Kontakt aller Anwesenden möglichst kurz zu halten, wird die Oper noch rabiat gekürzt. Und statt der möglichen 900 Zuschauer dürfen nur 300 Opernfreunde in den Genuss der Premieren kommen.

Hauptsache endlich mal wieder eine Opernaufführung, denkt man sich, wenn man die Bühne hergerichtet für die konzertante Aufführung vorfindet. Natürlich maßgeschneidert für Aufführungen in Zeiten der Pandemie. Vorne an der Rampe sind kleine „Zellen“ für die Sänger mit Hilfe von Plastikwänden aufgebaut. Darin stehen je ein Stuhl, ein paar Requisiten und eine Kleiderpuppe. Dahinter ist das Orchester auf Abstand breit aufgebaut, die Blech- und Holzbläser stehen an der Rückwand und sind ebenfalls durch Plastikwände separiert. Peinlich genau achten Sänger und Musiker darauf, mit Abstand auf- und abzutreten, die Musiker und Dirigent Golo Berg tragen auf dem Weg auch Masken.

Foto © Oliver Berg

Für die Sänger gibt es trotz häufiger Verkleidungsmöglichkeiten in der Handlung keine Masken, dafür aber hinreißende Rokoko-Kostüme. Almut Blanke hat tief in die Kiste der hochtoupierten Perücken, Reif- und Gehröcke gegriffen, die Farben schillern herrlich in der Beleuchtung der Bühne. Ansgar Weigner hat in diesen Rahmen eine recht clevere szenische Einrichtung der zerstückelten Oper vorgenommen. Fast könnte man die kleinen Sicherheitsräume der Sänger als Gefängnisse der Rollen interpretieren, wo sie mit ihren Ängsten, Sehnsüchten, Hoffnungen und Gedanken konfrontiert sind. Weigner hat über die Schutzwände hinaus mit den Sängern eine Choreografie erarbeitet. Wenn Figaro so tut, als zöge er den Pagen Cherubino auf die Füße, springt der Page vier Meter weiter vom Boden auf.

Apropos dieser verdammte Page, der immer wieder im Schloss auftaucht. Anna Alàs i Jové ist die vokale Entdeckung des Abends. Des ersten Abends in diesem Fall, denn sie hat in der gekürzten Fassung am Freitag beide Arien und Sonntag nur die Ausschnitte aus dem Finale des vierten Aktes zu singen. Aber über diesen Mezzosopran freut man sich jede Sekunde. Noch weniger zu singen haben Kathrin Filip als Barbarina, Christoph Stegemann als Bartolo und Suzanne McLeod als Marcellina. Mark Watson Williams profiliert sich als Basilio und Don Curzio.

Ronny Scholz ersetzt mit seiner Moderation die Rezitative und erzählt manchmal etwas zu umständlich die ohnehin schon ausschweifende Handlung, Dadurch hat er mehr Anteil an der konzertanten Fassung als so mancher Sänger. Bei den Hauptfiguren erlebt man dank der aufgeteilten Version Opernsänger in zwei verschiedenen Tagesformen. Filippo Bettoschi neigt am Freitag noch zu Verhärtungen, am Sonntag gewinnt sein Graf dann an Farben und Durchschlagskraft. Kristi Anna Isene klingt in Akt eins und zwei etwas angeschlagen und in Akt drei und vier darf sie weder ihre große Arie noch das berühmte Briefduett singen. Eine Entscheidung, die überrascht. Gregor Dalal punktet in der Titelpartie mit Spielwitz und der vokalen Kraft eines zur Revolution bereiten Dieners. Seine Susanna kann richtig lieb und süß klingen, aber hinter der Fassade ihres obertonreichen Soprans lässt Marielle Murphi durchblicken, dass sie auch ganz anders kann.

Vom ersten Takt an, den das Sinfonieorchester Münster spielt, hört man, dass die Mitglieder so richtig Lust haben, wieder Oper zu spielen. Sehr aufmerksam geleitet von Golo Berg ist die Ouvertüre ein Ohrenschmaus bis in jede Sechzehntel-Note hinein. Die Begleitung von Cherubinos Voi che sapete funkelt in der Harmonie aus der Herzklopf-Mechanik der Streicher und dem melancholischen Flirten der Holzbläser. Am Freitagabend beschließt das Finale des zweiten Aktes den ersten Teil, und Blech und Pauke schmettern ihre Noten so begeistert, dass man sich schon auf den zweiten Teil freut. Der kommt über die Grafenarie Hai gia vinta la causa etwas holprig in Fahrt, aber das Orchester findet sehr schnell in die Form des Vorabends zurück.

Das Publikum ist noch ein wenig schüchtern. Was darf man, was sollte man? Die Masken werden während der Vorstellung überwiegend auf freiwilliger Basis getragen, die Bravorufe wirken unterdrückt, der Applaus nimmt dafür zu. Allerdings ist da noch viel Luft nach oben. Das Wichtigste aber ist, dass in Münster wieder Oper zu hören ist. Selbst wenn es nur in kleiner Version und für kleines Publikum ist.

Rebecca Broermann