Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DIE ZAUBERFLÖTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)
Besuch am
22. Oktober 2023
(Premiere)
Ein Mensch, wie du“, antwortet Papageno auf die Frage Taminos, wer er sei. Tamino antwortet auf die Gegenfrage, dass er „aus fürstlichem Geblüte“ stammt. So wird gleich zu Beginn deutlich, dass der Vogelfänger Papageno bereits das ist, was Tamino erst noch werden muss: ein Mensch. Humanität heißt also das Ziel. Und so hehr das Ziel, so humorvoll-menschlich-spielerisch ist der Weg dorthin. Den beschreibt das Libretto mit vielen Prüfungen, mit der Hölle Rache und der süßesten Liebe, mit tanzenden Tieren und wundersamen Knaben, bis Tamino und Pagageno schließlich ihr Ziel glücklich erreichen. Die Zauberflöte, 1791 in Wien als letzte Oper Wolfgang Amadeus Mozarts zehn Wochen vor seinem Tode uraufgeführt, steht einerseits ganz in der Tradition des Alt-Wiener Zaubertheaters. Andererseits ließen sich Mozart und sein Librettist Emanuel Schikaneder auch vom aufklärerischen Gedankengut der Freimaurer inspirieren; und schufen so eine Mischung aus Kasperl-Unsinn und Freimaurer-Tiefsinn, unzeitgemäßer Misogynie und tiefster Menschlichkeit mit schlichtweg himmlischer Musik, die Die Zauberflöte zu der generationenübergreifenden Erfolgsoper werden ließ, die sie heute noch ist.
Gerne wird Mozarts Zauberflöte als ein Werk gesehen, dass Kinder den Einstieg in die Welt der Oper erleichtern soll, und das familientauglich sein soll, also ein Erlebnis für Jung und Alt vermitteln soll. Doch taugt die Zauberflöte als märchenhaftes, kindgerechtes Erleben? Sie ist einerseits Urtheater, andererseits aber auch urkomisch. Was ist nicht alles schon in die Zauberflöte hineininterpretiert worden. Von ägyptischen Hieroglyphen bis zu Mysterien-Theorien der Freimaurer wurde alles analysiert und interpretiert, was Wissenschaft heute möglich macht. Aber kann darin denn wirklich der Sinn und Wert der Kunst Mozarts liegen? Verfehlt man so nicht gerade die spielerische Leichtigkeit, mit der in seinen Opern immer wieder alles und doch nichts zur Sprache kommt?
Am Anfang steht eine Aufgabe, der Weg besteht aus Prüfungen, das Ziel ist Reife – und Liebe. Ist es ein Märchen? Oder eine Parabel? Oder doch das geheime Testament der Freimaurer? Eine zentrale Rolle spielen die für Tamino zunächst verschlossenen Tempel der Natur, der Weisheit und der Vernunft. Um sie entfaltet sich der das ganze Werk durchziehende Antagonismus der Welten von Sarastro und Königin der Nacht. Ein Antagonismus, der sich erst mit erfolgreich bestandener Feuer- und Wasserprobe auflöst.
Am Gärtnerplatz steht nun eine Neuinszenierung der Zauberflöte auf dem Programm in der Regie von Josef E. Köpplinger, dem langjährigen Intendanten des Münchner Gärtnerplatztheaters. Während die benachbarte Bayerische Staatsoper die nunmehr 45 Jahre alte Inszenierung von August Everding nach wie vor im Repertoire hat, will Köpplinger die Geschichte neu erzählen. Vor knapp drei Jahren hat er sie bereits unter den erschwerten Corona-Bedingungen an der Dresdner Semperoper auf die Bühne gebracht. Die Münchner Neuinszenierung ist aber keineswegs eine Kopie der Dresdner Fassung, sondern eine intelligente und wunderbare Weiterentwicklung dieser Produktion. Dazu tragen auch neue Bühnen- und Kostümbilder bei. „Zaubern statt zaudern“, steht auf den Werbeplakaten für die Neuinszenierung in der Münchner Innenstadt. Und dass Zaudern für Köpplinger ein Fremdwort ist, das hat er in all seinen letzten Inszenierungen bewiesen, nicht zuletzt in der umjubelten Neufassung von Mozarts Hochzeit des Figaro, die am 29. Juni ihre erfolgreiche Premiere gefeiert hat.
Foto © Markus Tordik
Köpplinger erzählt die Zauberflöte aus der Sicht eines Teenagers, des jungen Tamino. Es ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden, eine Geschichte von Abenteuer, Freundschaft und Prüfungen. Köpplinger bedient sich sowohl der Elemente der kindlichen Märchenwelt als auch der modernen Fantasy-Welt von Teenagern und jungen Erwachsenen, wie sie in den Marvel-Comics auf der ganzen Welt gelesen werden. Und diese Verbindung schafft ein generationenumspannendes Band und macht die Inszenierung zu einem abenteuerlichen Opernerlebnis für Jung und Alt. Zu den Klängen der Ouvertüre ist die Bühne leer, ein Junge im Teenageralter in blauem Kapuzenpullover läuft suchend über die Bühne, während sich von der Decke ein Sternenhimmel herabsenkt. Es erscheint ein blau illuminiertes Seil von der Bühnendecke, kurz darauf ein zweites, goldfarbenes von der anderen Seite. Der Junge hält beide Enden in der Hand, als ob er sie verbinden möchte. Dann erscheinen Sonne und Mond gemeinsam von der Bühnendecke, derweil schwarzgekleidete Gestalten dem Jungen die Seile wieder entwenden und Sonne und Mond wieder verschwinden.
Während die fast unsichtbaren Gestalten mit den beiden Seilen einen wilden Tanz auf der Bühne aufführen und den Jungen über die Bühne jagen, wird im Hintergrund eine Steinwüste projiziert. Der Junge verschwindet hinter der Seitenbühne, um kurz darauf als erwachsener Prinz Tamino zurückzukehren, womit die eigentliche Handlung der Zauberflöte beginnt. „Es geht darum, was passiert, wenn ein Teenager auf eine Bühne geht, die vermeintlich völlig leer ist und aus seiner Fantasie entsteht eine Coming-of-Age-Story, also eine Geschichte des Erwachsenwerdens, und der ganze Theaterzauber mit all seiner Maschinerie setzt ein und er durchlebt mit seinem erwachsenen Ich, seinem Alter Ego als Erwachsener, die Geschichte einer Reise“, sagt Köpplinger über die Doppelung des Tamino. So ist der Teenager einerseits beobachtende Figur, versucht andererseits immer wieder, ins Geschehen einzugreifen, um seinem Alter Ego Tamino zur Seite zu stehen. Es scheint, als habe Köpplinger bei seinem Regieansatz selbst wieder das Kind im Manne entdeckt.
Zu Beginn wird Tamino von einer Riesenschlange angegriffen, die sich so mancher Siegfried-Regisseur als Fafner wünschte. Doch zeitgerecht erscheinen die drei Damen, Abgesandte der Königin der Nacht, verhindern mit ihren Leuchtschwertern Schlimmeres und zerteilen das Riesenvieh. In ihren schwarzen Kostümen sehen die drei Damen aus wie englische Gouvernanten. Überhaupt sind die Kostüme in so unterschiedlichen Designs und Zeiten ein echter Hingucker, da hat Alfred Mayerhofer mal wieder ganze Arbeit geleistet. Es geht aber auch bunt und schrill. Papageno, mit schillernd buntem Kostüm, schwebt auf einem Motorfluggerät mit rosa Federn von der Bühnendecke ein. Und so entwickelt sich die bekannte Geschichte in einem von Momme Hinrichs konzipierten Bühnenbild, das in erster Linie von wandelbaren Räumen und Projektionen lebt, mit unterstützendem Lichtdesign von Kai Luczak. Die Videoprojektionen, die mal einen zerfallenen ägyptischen Tempel, mal eine Steinwüste, mal eine Eislandschaft zeigen, stammen von Raphael Kurig und Meike Ebert.
Der Auftritt der Königin der Nacht wird nicht nur musikalisch ein Ereignis. Das Kostüm könnte einem aufwändig produzierten Fantasyfilm entliehen sein, aber auch die Maske hat hier großartige Arbeit geleistet und verleiht ihr die Aura einer totbringenden Eiskönigin. Pamina ist das genaue Gegenteil, wirkt in ihrem blauen Kostüm fast schüchtern und bieder. Die drei Knaben sind auch wieder ganz interessant zu beobachten. In unterschiedlich farbigen Sweatshirts mit Engelsflügeln und roten Haaren sehen sie aus wie die Weasley-Brüder aus den Harry-Potter-Filmen. Die Aufschriften auf den Pullovern sagen zudem deutlich aus, in welchen gesellschaftlichen Kontext der Regisseur seine Zauberflöte einordnet: „Next-Generation“ – „Freedom“ und „Revolution“ ist da deutlich zu entziffern.
Und dann gibt es ja noch Monostatos, den Schergen Sarastros, der seine eigenen Gefühle für Pamina entwickelt. Eine einsame, erniedrigte Figur, die die erlittene Schmach an ihren Opfern auslässt. Er ähnelt optisch der berühmten Nosferatu-Filmfigur, mit archaischen Tätowierungen im Gesicht. Eine besondere Erscheinung ist Sarastro in dunklem Anzug und weißem Mantel. Er ist die autoritäre Instanz, der das Heft des Handelns in der Hand hält und über das Schicksal des jungen Paares entscheiden wird. Während auf den verschiebbaren Tempelsäulen immer wieder der Leitspruch „Vernunft – Natur – Weisheit“ erscheint, werden die Szenen durch Videoeffekte untermalt, die wandelbaren Räume sind teilweise wie ein Labyrinth illuminiert.
Zum Spiel der leuchtenden Zauberflöte, die in dieser Inszenierung auch ein Leuchtschwert à la Star Wars ist, tanzen märchenhafte Tierfiguren, und richtig komisch wird es, wenn Papageno mit seinem beleuchteten Glockenspiel Monostatos und seine Schergen verzaubert. Besonders effektvoll werden die Prüfungen mit den Naturelementen dargestellt. Im Feuer steht in der Projektion der Tempel komplett in Flammen. Zum Wasser scheint es eine Riesen-Tsunamiwelle zu geben, doch alles bleibt heil, es ist nur Effekt und Illusion. Der darbende Papageno, auf der Suche nach einer Papageno, wird am Schluss belohnt. Die vermeintlich alte Schreckschraube entpuppt sich als flotter Käfer im gleichen Outfit wie Papageno. Und als die beiden dann ihr Duett singen und die vielen Papagenos und Papagenas preisen, die sie produzieren wollen, kommen unter lautem Kindergeschrei große laufende Vogeleier auf die Bühne. Ein herrliches Bild und ein köstlicher Einfall, der vom Publikum wie auch schon bei anderen Szenen mit großem Applaus bedacht wird.
Foto © Markus Tordik
Das große Finale im Tempel gehört zunächst Sarastro, der sich als gütig erweist und auch die Königin der Nacht nicht endgültig verdammt. Pamina und Tamino tragen nun weiße Mäntel, sie haben die Prüfungen bestanden und werden in die Gilde der Weisen aufgenommen. Köpplinger setzt da zum Schluss nochmal ein Ausrufezeichen, indem Sarastro den Sonnenkranz an Tamino und Pamina gemeinsam weitergibt. Doch die beiden haben mit der Tempelhüterei nicht viel am Hut. Die Mäntel werden ausgezogen, der Sonnenkranz obenauf geschmissen, und die beiden verlassen sehr zum Erstaunen Sarastros die Bühne. Und während sich der Bühnenvorhang schließt, kommt der Junge, der sich auch schon zu Beginn des zweiten Aufzuges im Tempel Sarastros befand, noch einmal auf die Bühne, schnappt sich das Zauberflötenleuchtschwert und bleibt alleine auf der wieder leeren Bühne zurück, wie es auch begonnen hat. Der Fantasy-Traum des Teenagers ist vorbei.
So endet nach zweidreiviertel Stunden reiner Spielzeit eine bunte, flotte und witzig ironische Zauberflöte, die vor allem ein jüngeres Publikum ansprechen dürfte. Trotz der vielen Effekte und optischen Hingucker bleibt die stringente Personenführung nicht auf der Strecke, da hat Köpplinger die unterschiedlichen Beziehungsebenen der Protagonisten gut ausgeleuchtet und miteinander verbunden. Durch die Einbeziehung der stummen Rolle des jungen Tamino wird die Perspektive auf das Geschehen erweitert, und die Handlung lässt auch dann einen überraschenden Schluss wie in dieser Inszenierung zu. Auch die Sprechtexte, etwas gekürzt und einem neuzeitlichen Sprachstil angepasst, tragen zum Erfolg der Produktion bei.
Die Aufführung ist auch musikalisch und sängerisch eine Sternstunde am Gärtnerplatz. Allen voran die junge Koloratur-Sopranistin Alina Wunderlin, die als Königin der Nacht begeistert. Ihre beiden Arien singt sie technisch brillant, die Koloraturen sind makellos, die Höhen dramatisch und ausdrucksstark. Ihre zweite große Arie Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen ist ein großes Opernerlebnis, jede Koloratur wird da zu tödlichem Stahl. Das ist Gänsehaut pur, und das Publikum hält förmlich den Atem an, um nach der Arie in lauten Jubel auszubrechen. Altmeister René Pape hat in seinem Leben den Sarastro unzählige Mal in diversen Produktionen auf der ganzen Welt gesungen. Neben dem Gurnemanz im Parsifal ist die Partie sicher seine Lebensrolle. Und nun hat er auch das Lebensalter, um die Reife und die Weisheit eines Sarastros ohne gekünstelte Phrasierungen darzustellen. Er beeindruckt mit kräftigem, sonorem Bass und aristokratischer Ausstrahlung. Seine große Arie In diesen heiligen Hallen gerät zu einem der musikalischen Höhepunkte des Abends, die Pape wie ein Gebet in einem Hochamt zelebriert. Es ist im Übrigen das Hausdebüt Papes, der sonst an den größten Häusern der Welt gastiert. Sein Auftritt adelt die Produktion.
Lucian Krasznec ist in der Rolle des Tamino ein Glücksfall für das Gärtnerplatztheater. Er verfügt über einen geschmeidigen Mozarttenor mit Schmelz und Grandezza. Seine Stimmführung ist sehr variabel, mit viel Nuancierung in Farbe und Tiefe. Sein Spiel ist leichtfüßig, ohne die aristokratische Ausstrahlung eines Prinzen missen zu lassen. Sophie Mitterhuber überzeugt als tiefgründige und leidenschaftliche Pamina mit glockenhellem Sopran und leuchtenden Höhen. Daniel Gutmann wird in der Rolle des Papageno erwartungsgemäß zum Publikumsliebling. So kann er nicht nur seinen edlen Bariton wunderbar zur Geltung bringen, sondern auch seinem komödiantischen Talent freien Lauf lassen. Ihm zur Seite ist mit der Sopranistin Julia Sturzlbaum als Papagena eine vielseitige Sängerin, die herrlich erfrischend jugendlich singt und spielt.
Foto © Markus Tordik
Cornelia Horak, Sophie Rennert und Anna Agathonos geben als die drei Damen ein stimmsicheres und stimmharmonisches Trio mit großem Spiel. Shane Wakefield, Raphael Pallawiks und Christian Sonnemann beeindrucken mit ihren zarten, aber in den Höhen sicheren hohen Sopranstimmen und witzigem Spiel als die drei Knaben. Es ist schön, dass das Gärtnerplatztheater bei der Besetzung originalgetreu auf Knaben- und nicht auf Frauenstimmen zurückgreift. Tenor Juan Carlos Falcón gibt den gescheiterten Monostatos mit kräftigen, ausdrucksstarken Höhen und engagiertem Spiel. Alexandros Tsilogiannis ist ein erster Geharnischter, der als sicherer Charaktertenor reüssiert, während Levente Páll mit edler Ausstrahlung und seriösem Bass in der Rolle des zweiten Geharnischten gefällt. Alexander Grassauer als Sprecher verfügt über einen edlen Bass-Bariton und eine klare und deutliche Aussprache, und auch Eduard Wildner überzeugt in der Rolle des Priesters. Ein Extralob hat sich Demian Erofeev in der stummen Rolle des jungen Tamino für sein intelligentes Spiel verdient.
Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz überzeugt durch einen warmen, voluminösen Klang, der in Timbre und Klangfarben wunderbar mit den Farben der Bühne korrespondiert. Rubén Dubrovsky, der neue GMD am Gärtnerplatz, zeigt hier sein breitgefächertes Können. Schon die Ouvertüre erklingt mächtig und spannungsgeladen, insgesamt ist das Dirigat differenziert, ohne ins Pathetische abzugleiten. Chor und Extrachor des Staatstheaters sind von Pietro Numico hervorragend eingestimmt.
Am Schluss gibt vom Publikum begeisternden Jubel und Applaus, auch für das Regieteam. Insbesondere Alina Wunderlin, René Pape, Lucian Krasznec und Daniel Gutmann werden gefeiert, ebenso Dirigent, Orchester und Chor. Mit der Aufführung hat Köpplinger gezeigt, dass die Zauberflöte ein Werk für die ganze Familie ist und ideal geeignet ist, Opernanfänger oder ein junges Publikum an dieses Genre heranzuführen, ohne ein arriviertes Opernpublikum vor den Kopf zu stoßen. Am 24. Oktober steht die B-Premiere auf dem Spielplan, und bis zum Ende der Spielzeit ist die Zauberflöte dann noch zehnmal in München zu erleben.
Andreas H. Hölscher