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SALOME
(Richard Strauss)
Besuch am
11. Juni 2023
(Premiere am 27. Juni 2019)
Es ist ein heißer Frühsommertag in München, die jährlichen Opernfestspiele sind voll im Gange, und trotz tropischer Temperaturen strömen die Massen in die Bayerische Staatsoper. Doch zum Abkühlen taugt der Stoff an diesem Abend nicht. Es ist die Salome von Richard Strauss, die zu den Opernfestspielen wieder ins Programm genommen wird.
„Was ist es, das du haben möchtest, Salome?“, fragt Herodes seine Tochter, nachdem sie endlich für ihn getanzt hat. Salome lächelt, die A-Klarinette trillert im dreifachen Pianissimo. „Den Kopf des Jochanaan“, antwortet sie ganz leise. In einer Silberschüssel, „zu meiner eigenen Lust“, um ihn, der sie zurückwies, endlich doch zu küssen. Es ist der wohl maßloseste und grauenerregendste Wunsch der Operngeschichte, den Richard Strauss da in Töne gesetzt hat. Und diese Töne sind: rauschhaft, obsessiv, ein fiebriger Sog in Richtung Abgrund. Salome ist eine Oper in ihrer konzentriertesten Form, ohne Nebenschauplätze, ohne Bühnenkonventionen, ohne jedes Seitenthema. So ausladend Strauss 1911 seinen Rosenkavalier anlegte, so kompakt und atemlos, ja, radikal hatte er wenige Jahre zuvor die Salome auf die Bühne gebracht. In seiner lebendigen psychologischen Darstellung einer korrupten Welt ist die Salome sowohl ein Kind als auch ein Zeuge des beginnenden 20. Jahrhunderts – eine Reflektion einer todgeweihten, spätbürgerlichen Ära. Strauss schuf aus dem Theaterstück von Oscar Wilde ein einaktiges Drama, das rund 100 Minuten dauert und das vom Zuschauer wie vom Zuhörer höchste Konzentration erfordert.
Richard Strauss selbst nannte seine Oper Salome ein „Scherzo mit tödlichem Ausgang“. Cosima Wagner urteilte nach der Uraufführung der Salome an der Dresdner Hofoper 1905: „Nichtiger Unfug, vermählt mit Unzucht!“ Salome ist fasziniert von der körperlosen Stimme des Propheten Jochanaan, der im Palast des Herodes eingekerkert ist, weil er die Maßlosigkeit der Herodias angeprangert hat. Leidenschaftlich begehrt sie den unbekannten moralischen Propheten, seinen Leib, sein Haar, seine Lippen – den Mann, der sie brüsk zurückweist. Und am Ende verflucht. Als er sich voller Verachtung von ihr abwendet, reift in ihr ein Plan: Sie wird ihre Reize einsetzen, um, wenn schon nicht den Mann, so doch seinen abgeschlagenen Kopf zu gewinnen. Salomes Wunsch nach dem Kopf des Propheten bringt das Drama ins Rasen. Um Rausch und Askese, Macht und Tod, um eine aufwühlende Zeitenwende geht es in Strauss’ Einakter. Die Wirkungsgeschichte reicht von einer Erzählung über das Ende Johannes des Täufers im Markus-Evangelium bis zum Fin de Siècle, in dem Salome zur Lieblingsfigur der bildenden Künstler, Literaten und Musiker avancierte. Bei Oscar Wilde, dessen Drama Richard Strauss faszinierte und zu radikalen stilistischen Neuerungen inspirierte, zeigt sich der Mythos als Zusammenprall von Sinnlichkeit und religiöser Askese mit einer außergewöhnlichen Brisanz. Ihr Schlussmonolog, der eigentlich ein Dialog mit dem toten Haupt des Propheten ist, gerät zu einem großen ekstatischen und zugleich tragischen Liebesgesang: „Hättest du mich angesehen, Jochanaan, du hättest mich geliebt.“ Innerhalb von zwei Jahren erschien Salome erfolgreich auf über 50 Opernbühnen. Ihr rauschhafter Orchesterklang, der einen gewaltigen Klangkörper verlangt, changiert zwischen feinnervigem Psychogramm und zügelloser Ekstase. Nie zuvor in der Geschichte der Oper ist die Verbindung von Dekadenz, seelischem Verfall und einer begehrenden wie zerstörerischen Liebe so opulent und eindringlich ausgedrückt worden wie in Richard Strauss’ Meisterwerk.
Foto © Wilfried Hösl
In diesem Spannungsfeld hat Regisseur Krzysztof Warlikowski seine Interpretation des Stoffes angelegt. Für ihn ist mehr in diesem Stück zu erfahren, so sein Credo. „Es ist nicht nur wichtig, was im Kunstwerk selbst steckt, sei es nun Oscar Wilde oder Richard Strauss, sondern auch der ganze Kontext, den das Christentum und die Geschichte des 20. Jahrhunderts diesem Werk hinzufügen“, sagt Warlikowski. Eins wird schnell klar, der Regisseur fremdelt mit der Hauptfigur der Oper. Salome, ein mordender Vamp, eine sadistische femme fatale, oder einfach nur eine gestörte Persönlichkeit mit Zwangsvorstellungen? Warlikowski greifen solche Klischees zu kurz, er schmeißt sie kurzerhand über Bord. Wer seine letzte Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper gesehen hat, Richard Wagners Tristan und Isolde, der weiß natürlich, dass seine Inszenierungen sehr kopflastig sind und nicht immer stringent nachvollziehbar. Seiner Linie bleibt Warlikowski auch in dieser, nun vier Jahre alten Inszenierung treu. Er verschiebt den Fokus weg von Salome und ihrer perversen Lust hin zu ihrer Umgebung. Und die ist komplett jüdisch. Es ist ein biblischer Stoff, und es sind immerhin fünf Juden in der Oper aufgeführt, namenlos. Doch bei Warlikowski sind alles Juden, auch Herodes. Warlikowski verlegt die Handlung in die Zeit der späten dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts, die Shoa hat bereits begonnen. Eine Gruppe von Juden versteckt sich in einer großen Bibliothek, die gleichzeitig das Bühnenbild von Malgorzata Szczęśniak darstellt. Auch die Kostüme, die entweder traditionell jüdisch oder im Stil der Zeit gehalten sind, stammen von ihr.
Bevor die Oper beginnt, gibt es einen szenischen Prolog mit dem ersten Stück aus Gustav Mahlers Kindertotenliedern, Nun will die Sonn´ so hell aufgehn. Doch das Stück kommt aus der Konserve, es handelt sich dabei um eine Einspielung mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Bruno Walter mit der Altistin Kathleen Ferrier. Schnell wird klar, die eingeschlossenen Juden versuchen sich mit Theaterspiel von ihrem ungewissen Schicksal abzulenken. Das erklärt auch, warum am Schluss Jochanaan, trotz abgeschlagenen Hauptes, und Narraboth, der sich ja selbst umbringt, wieder am Geschehen teilnehmen. Und so führen die Juden in ihrem Versteck Salome von Oscar Wilde auf. Vieles bleibt aber Stückwerk und unklar. Wer das Stück nicht kennt, hat große Schwierigkeiten zu folgen. Hilfreich ist da der Blick in das ausführliche Programmheft, auf dem der Name der Oper bezeichnenderweise in Hebräisch abgedruckt ist. Es geht dem Regisseur um mehr als den biblischen Stoff, es geht natürlich um den Holocaust, um jüdische Identität und jüdisches Leben. Das ist ja grundsätzlich kein Gegenargument, aber man muss es auch verstehen können. Und am Ende ist es dann doch wieder, weil die Musik und der Text es nicht anders zulassen, die Fokussierung auf die Hauptprotagonistin und ihr schon abartiges Verlangen.
Schlüsselszene ist der Schleiertanz, an dem auch Warlikowski nicht vorbeikommt. Er lässt Salome sinnbildlich einen Tanz mit dem Tod aufführen. Ein alter Mann, körperlich noch sehr fit, mit einem Totenschädelgesicht. Es ist ein sinnlicher, sexualisierter Tanz, während auf der Wand im Hintergrund biblische Szenen als animierter Comic zu sehen sind. Nach diesem Tanz bleibt Herodes nichts anderes übrig, als Salome ihren Wunsch zu erfüllen. Der Schluss ist, typisch Warlikowski, krass und eigentlich am Werk vorbeiinszeniert. Die deutschen Besatzer stehen vor der Tür, das Schicksal der Juden scheint besiegelt, es folgt ein kollektiver Suizid. Und Herodes Befehl „Man töte dieses Weib“ wird ignoriert. Es passt einfach nicht zusammen, was Warlikowski ausdrücken will. Dass der Abend trotzdem zu einem fulminanten Erlebnis wird, ist in erster Linie dem Sängerensemble, dem Dirigenten und dem Orchester zu verdanken.
Foto © Wilfried Hösl
Allen voran die wunderbare Camilla Nylund. Als gestandene Wagnerheroine ist sie mit mittlerweile 55 Jahren keine jugendliche Salome, aber ihr sängerischer Ausdruck lässt den Abend zu einem Pulverfass werden. Mit ihrem hochdramatischen Sopran und ihrem provokant lasziven Spiel verleiht sie der Salome eine besondere Aura. Sie wechselt problemlos die Register, spielt mit der Stimme und ist auch in den dramatischen Höhen leuchtend klar. Sie kann auch ins leise Piano wechseln, und ihr Schlussmonolog reiht sich in die Reihe der ganz großen Sängerinnen der Partie ein, das ist Gänsehaut pur. Gleiches gilt für die Darstellung des Jochanaan durch Wolfgang Koch. Seine Partie hat er mittlerweile so verinnerlicht, dass der Auftritt alleine das Eintrittsgeld wert ist. Er gibt den Jochanaan als religiösen Eiferer, als radikalen Fundamentalisten, der Salome im letzten Moment widerstehen kann. Die Szene erinnert an Parsifal und Kundry.
Gerhard Siegel ist ein erprobter Heldentenor, dem die Partie des Herodes sehr gut liegt, und der mühelos und ausdrucksstark sowohl im Gesang als auch im Spiel überzeugt. Michaela Schuster gibt die Herodias mit tiefem, ja manchmal keifendem Mezzosopran und stellt in drastischer Manier das Bild einer zerstörten, heruntergekommenen Frau dar, die als Mutter versagt hat. Evan LeRoy Johnson singt die Partie des Narraboth mit schönem lyrischem Tenor und ausdrucksstarkem Spiel. Christina Bock überzeugt als Page mit weichem Mezzosopran und gefühlvollem Spiel. Die Sänger der Juden überzeugen vor allem im Ensemble, und auch die anderen, kleinen Rollen fügen sich solide ein.
Musikalisch taucht das Bayerische Staatsorchester ein in die opulenten Melodien von Richard Strauss, geleitet vom Dirigenten François-Xavier Roth. Er führt das Orchester mit dem richtigen Gespür für die Schönheiten, aber auch die Tücken der Straussschen Musik durch die Partitur. Er schwelgt in sphärischer Seligkeit, lässt es poltern und krachen, um dann die innigen Momente punktiert herauszuarbeiten. Er wechselt die Bögen zwischen großer symphonischer Tondichtung und kammermusikalischer Intimität. Allerdings ist er in den ganz großen Orchesterstellen etwas zu laut.
Am Schluss gibt es enthusiastischen Jubel, vor allem für Camilla Nylund und ihre herausragende Darbietung. Auch wenn die Inszenierung nicht in allen Belangen überzeugen kann, ist es ein großer Opernabend im heißen München.
Die Aufführung ist dem Andenken an Gabriele Schnaut gewidmet. Die Sopranistin und Gesangspädagogin starb am 19. Juni im Alter von 72 Jahren. Eine ihrer letzten Partien an der Bayerischen Staatsoper war im April 2014 die Herodias in der Inszenierung von William Friedkin.
Andreas H. Hölscher