O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Vorstellung - Foto © Ruth Walz

Aktuelle Aufführungen

Erlösung durch die Kraft der Musik

PARSIFAL
(Richard Wagner)

Besuch am
14. April 2022
(Premiere am 28. Juni 2018)

 

Bayerische Staatsoper München

Für viele Christen ist es zu Ostern eine Selbstverständlichkeit, einen Gottesdienst zu besuchen. Und für viele Wagnerianer ist es schon eine heilige Pflicht, am Karfreitag den Parsifal zu besuchen. An vielen deutschen Opernhäusern steht am Karfreitag Wagners letztes Werk, sein „Bühnenweihfestspiel“, auf dem Spielplan. Doch in München wird am höchsten katholischen Feiertag nicht gespielt, und so wird der Parsifal auf den Gründonnerstag vorverlegt. Diese Inszenierung taugt allemal, vor allem musikalisch und sängerisch, sich ganz auf das bevorstehende Osterfest einzustimmen. Der Münchner Parsifal, der seine Premiere bei den Opernfestspielen 2018 feierte, besticht vor allem durch die großen, dunklen Bühnenbauten von Hans-Georg Kern. Nun ist dieser Name den wenigsten Menschen bekannt. Kern, zum Zeitpunkt der Premiere immerhin schon 80 Jahre alt, wurde im sächsischen Deutschbaselitz geboren, und hat seinen Künstlernamen nach seiner Heimat gewählt, Georg Baselitz. International bekannt wurde er mit figurativen, expressiven Gemälden. Die Zerstörung und das Leid des Zweiten Weltkrieges haben den Künstler nachhaltig beeinflusst. In diesem Zusammenhang erklärte Baselitz mal in einem Interview: „Ich bin in eine zerstörte Ordnung hineingeboren worden, in eine zerstörte Landschaft, in ein zerstörtes Volk, in eine zerstörte Gesellschaft. Und ich wollte keine neue Ordnung einführen. Ich hatte mehr als genug sogenannte Ordnungen gesehen. Ich war gezwungen, alles in Frage zu stellen, musste erneut naiv sein, neu anfangen.“ Das Thema der Zerstörung kehrt in vielen seiner Arbeiten wieder. Ordnungen und Konventionen der Wahrnehmung mithilfe seiner Malerei zu stören, ist seither ein wichtiges Leitmotiv in Baselitz’ Arbeiten. Zwischen 1965 und 1966 schuf Baselitz die Reihe der Helden, auch bekannt als Neue Typen. Diese Figuren stellen das metaphorische Bild eines Mannes dar, der weder Nationalität noch Zugehörigkeit zu einem Ort besitzt und die illusorischen und größenwahnsinnigen Ideale des so genannten Dritten Reiches und der DDR mit seinem trostlosen, zerbrochenen, zerlumpten Aussehen über Bord wirft .

Baselitz‘ Helden erscheinen normalerweise allein in einer kargen Landschaft mit nackten Armen und Beinen und geöffneten Händen in einer beschwörenden Geste. Seit 1969 malt er seine Motive auf dem Kopf, was ihm zum Durchbruch verhalf und seine Werke bis heute unverkennbar macht. Diesen Exkurs muss man machen, um die Grundidee und das Bühnenbild des Münchner Parsifal verstehen zu können. Übrigens entstand zur selben Zeit in Bayreuth das Bühnenbild des Lohengrin durch das ebenfalls in der aktuellen Malerszene renommierte Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy.

Das erste Bild für den Zuschauer während des Vorspiels ist ein Baselitz-Vorhang, der noch den Blick auf die Bühne versperrt. Man sieht vier große weiße liegende Figuren ohne Kopf auf dem Rücken liegend. Baselitz sieht im Parsifal eine große Nähe zu seiner eigenen Bilderwelt, zu den „Heldenbildern“, die seinerzeit vor allem von der Figur des Simplizissimus inspiriert waren. Die Erklärung dazu kommt von Baselitz selbst: „Ich habe versucht, mit diesem Bild von 1965 diese Oper auszustatten. Es gibt Vorhänge, die sind sehr wichtig. Diese Bilder sind neu, im Malersaal nachgemalt, als Vorhang gestaltet. Ein Vorhang, der wellig hängt auf der Bühne. Wenn das Vorspiel etwa zwölf Minuten spielt ohne Gesang und nur der Vorhang zu sehen ist, dann gibt es eine Einstimmung auf das Ganze, dem man sich schlecht entziehen kann.“

Foto © Bayerische Staatsoper

Im ersten Aufzug sieht man einen wie abgebrannt wirkenden Wald mit einem skelettierten Pferd, unter dem Kundry sich versteckt. Vorne eine offene Feuerstelle, in der Mitte große, schwarze Baumstämme, die wie ein riesiger Scheiterhaufen zusammengebunden sind. Die Szene wirkt archaisch, wie aus einer grauen Vorzeit. Dazu passen auch die dunklen, schweren und zeitlosen Kostüme von Florence von Gerkan. Kundry trägt ein dunkelviolett-rotes Kleid, nur König Amfortas fällt durch seine helle Kleidung auf. In diesem düsteren Bild findet keine wirkliche Personenregie durch Pierre Audi statt, die ganze Handlung verläuft eher statisch, lediglich der sieche Amfortas, der nicht wie üblich getragen wird, bringt, auf einen Stock gestützt, etwas Dynamik in das Geschehen. Für Regisseur Audi ist dieses Werk auch mehr ein Weg zur Selbsterkenntnis als großes Regietheater: „Ich folge der Psychologie und vor allem dem Thema des Mitleids, wie es von Kundry verkörpert wird. Das ist der Ausgangspunkt meiner Idee von der möglichen Bedeutung des Stückes in einer zeitlosen universellen Art und Weise. Für mich ist es ein Stück über Selbsterkenntnis. Nicht so sehr, dass wir uns einer Religion hingeben und der Hoffnung, dass wir gerettet werden durch unsere Religion. Wir können nur durch uns selbst gerettet werden!“ Die Inszenierung von Pierre Audi geht vor allem im ersten und dritten Aufzug stark auf die Musik Wagners ein, deren Klangwelt auch visuell eine durchaus sinnliche Erfahrung zulässt. Das Konzept der Liebe soll aufgehen. Spirituelle Liebe und totale Hingabe müssen nahtlos ineinander übergehen. Die Selbsterkenntnis des reinen Tors steht hier im Mittelpunkt, umrahmt vom wirkungsvollen Konzept des Mitleids. Der Parsifal von Pierre Audi ist zudem reich an doppeldeutigen Symbolen. Der Gral ist hierbei ein totes, blutendes Herz. Audi deutet ihn als das Blut Christi beziehungsweise als das Blut des Amfortas.

Das Symbol der Wunde wird bei Pierre Audi zudem als etwas sehr Essenzielles gesehen. Über den Heiligen Geist soll bei diesem Konzept ganz bewusst nachgedacht werden, was bei der Inszenierung aber nicht immer deutlich wird. Doch alles soll auf Vertrauen basieren, denn mit dem Heiligen Geist ist bei dieser Sichtweise die Natur verbunden. Auch hier ist die Situation wieder sehr doppeldeutig. Der Schwan ist sehr eng mit der Figur des Amfortas verknüpft. So wird die Wunde der Natur gezeigt, die Parsifal heilen soll. Die Idee der Nacktheit soll in dieser Inszenierung das Konzept der Reinheit innerhalb der Gralsgemeinschaft betonen. Im ersten Aufzug sind die Gralsritter, nachdem sie zur Wandlung ihre Kleider abgelegt haben, mit so genannten „Fatsuits“ bekleidet, die eine naturalistische, aber keine schöne Nacktheit zeigen. Drastisch verstärkt wird dieser Effekt bei Klingsors Blumenmädchen im zweiten Aufzug, hier wirkt die Nacktheit sogar ausgesprochen hässlich, ja, sogar verstörend, denn die Blumenmädchen, die ja eigentlich verführen sollen, zeigen ihre geschundenen, misshandelten und teilweise blutigen Körper.

Das Bühnenbild im zweiten Aufzug fällt stark ab, es ist ein lappenförmiger Vorhang, der die Mauern von Klingsors Zauberschloss symbolisieren soll. Klingsor ist kein mächtiger Zauberer, sondern eher eine armselige Karikatur eines gefallenen Gralsritters, mit einem winzigen, eher einem Kreuz ähnelnden Speer, den Parsifal mühelos ohne Zauber gewinnen kann. Das starke erste Bild wiederholt sich dann im dritten Aufzug, in dem Baselitz seinem Ruf gerecht wird und den toten Wald auf den Kopf stellt. Parsifal trägt eine alte, zusammengeflickte Rüstung, und aus dem Boden sprudelt die „Heilige Quelle“, die das Taufritual ermöglicht und beim anschließenden Karfreitagszauber ist die gesamte Bühne in ein dunkelviolett fluoreszierendes Licht getaucht. Urs Schönebaum hat das ansehnliche Lichtdesign entworfen. Der Schluss der Inszenierung stellt noch einmal die Tragik des Amfortas in den Vordergrund, der nur durch die Übernahme des Amtes durch Parsifal und den wiedergewonnenen Speer erlöst wird und seinen Frieden findet. Wie bei einer rituellen Handlung nehmen Parsifal und die Gralsritter ihre Hände vors Gesicht, während sich ein letzter durchsichtiger Vorhang wie ein galaktischer Kosmos herabsenkt, die Erlösung und spirituelle Reinigung durch den Heiligen Geist.

Auch wenn das Bühnenbild beeindruckt, so ist es immer noch die wunderbare Musik Richard Wagners und die Interpretation durch ein großartiges Ensemble, die den Abend zu einem Besonderen machen, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass krankheitsbedingt einige Umbesetzungen nötig werden, die aber im Zusammenspiel aus der Aufführung ein grandioses Erlebnis machten.  Stuart Skelton, eingesprungen für den erkrankten Simon O’Neill, singt die Partie des Parsifal mit intelligenter Krafteinteilung. Sein strahlkräftiger Tenor mit baritonalem Timbre meistert die Höhen ohne Probleme, sein Amfortas! Die Wunde! ist erschütternd. Und auch schauspielerisch gelingt Skelton der Weg vom naiven Toren zur eigenen Selbsterkenntnis auf formidable Art.

Foto © Ruth Walz

Christof Fischesser gestaltet die Partie des Gurnemanz mit berührender Innigkeit. Mit balsamischem Bass und beeindruckender Textverständlichkeit legt er die Partie an. Seine große Erzählung im ersten Aufzug singt er schon fast elegisch, mit deutlichen Phrasierungen und Bögen, die eine große Spannung aufbauen. Besonders eindrucksvoll gelingt ihm das im dritten Aufzug in der Salbungs- und Krönungsszene sowie dem anschließenden Karfreitagszauber. Anja Kampe, für Anja Harteros umbesetzt, gibt die Kundry mit erotisch warmem und vollklingendem hochdramatischem Sopran sowie klaren Höhen und meistert darstellerisch beeindruckend den szenischen Wechsel von der gejagten Furie zur Verführerin bis hin zur liebenden Dienerin. Christian Gerhaher hat die Rolle des Amfortas verinnerlicht wie kaum ein anderer Sänger. Er beeindruckt als Amfortas mit kultiviertem, wohlklingendem Bariton und ausdrucksstarker Leidensfähigkeit. Seine Erbarmen-Rufe erschüttern, und der Piano-Ansatz der letzten Szene ist von großer Emotionalität. Selten stand das Leiden Amfortas so im Mittelpunkt einer Aufführung wie in dieser Inszenierung und der Gestaltung durch Gerhaher. Der dramatische Bariton Jochen Schmeckenbecher legt den Klingsor mit großer Intensität und sängerischer Aggressivität an. Bálint Szabo gibt den Titurel mit wohltönendem Bass, und das Alt-Solo von Yajie Zhang aus der Höhe passt stimmlich gut zur Atmosphäre auf der Bühne. Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen fügen sich harmonisch in das Gesamtensemble ein.

Großartig die von Stellario Fagone einstudierten Chöre der Bayerischen Staatsoper. Marek Janowski, kurzfristig für Mikko Franck eingesprungen, leitet das Bayerische Staatsorchester mit großem Gefühl und lässt durch sein unprätentiöses Dirigat wunderbare Phrasierungen und Akzentuierungen zu. Das Vorspiel hat schon fast sakralen Charakter, das Tempo ist moderat, aber niemals hastig. Beeindruckend seine präzisen Einsätze, die das Gesamtensemble aus Musikern, Solisten und Chor zu einer homogenen Gestaltung führt, dabei hat er immer einen Blick für den Sänger, der für ihn im Vordergrund steht und dem er das Orchester unterordnet. Ein insgesamt ergreifendes musikalisches Klangerlebnis, das der mittlerweile 83-jährige Altmeister aus dem Orchestergraben zaubert.

Das Publikum im vollen Nationaltheater ist sehr diszipliniert, wohl auch ergriffen von der musikalischen Darbietung. Wohltuend die kurze Stille nach dem Schluss, bevor frenetischer Jubel aufbrandet und das Publikum besonders Janowski, das Orchester, den Chor und die Hauptprotagonisten bejubelt. Nach knapp viereinhalb Stunden reiner Spielzeit endet die Inszenierung von Pierre Audi in den Bildern von Georg Baselitz nicht in religiöser Verklärung, denn am Ende steht nur der Klang. Die Erlösung selbst erfolgt durch die Kraft der Musik von Richard Wagner.

Andreas H. Hölscher