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Charmanter Hallodri

DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR
(Otto Nicolai)

Besuch am
26. April 2024
(Premiere)

 

Gärtnerplatztheater, München

Wenn die Grande Dame des deutschen Musiktheaters, Brigitte Fassbaender, an einem Haus eine Neuinszenierung auf die Bühne bringt, dann steht das wie ein Gütesiegel für Humor, ironisches Augenzwinkern und intelligentes Durchdringen des Stoffes. So ist auch nicht verwunderlich, dass der Andrang für die Neuproduktion von Otto Nicolais komisch-fantastischer Oper Die lustigen Weiber von Windsor am Münchner Gärtnerplatztheater riesig ist. Die Story ist witzig, manchmal etwas überladen, und eigentlich in der heutigen Zeit gar nicht mehr aktuell. Und doch fühlt man so etwas wie Mitleid mit dem alternden Casanova Sir John Falstaff, der direkt mit zwei Frauen ein Rendezvous haben möchte. Da Falstaff diesbezüglich etwas einfallslos ist, schreibt er beiden Damen, Frau Fluth und Frau Reich, mal direkt einen identischen Liebesbrief. Blöd nur, dass die beiden Frauen nicht nur Nachbarinnen, sondern auch beste Freundinnen sind und sich natürlich bis ins Detail über die Avancen des Herrn Ritter austauschen. Man beschließt, den Kerl nicht nur zu foppen, sondern ihm eine ordentliche Lektion zu verpassen. Und da der Ehemann von Frau Fluth unter krankhafter Eifersucht leidet, kann man doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, und dem nervigen Gatten ebenfalls einen Denkzettel verpassen. Und damit die Geschichte noch etwas kurioser wird, gibt es noch eine Nebenhandlung, die Liebesgeschichte um Anna, Tochter von Frau Reich. Vater und Mutter Reich haben jeweils einen eigenen Heiratskandidaten für das Töchterchen ausgewählt, doch die hat sich in den Kopf gesetzt, den mittellosen Fenton zu ehelichen, den sie liebt. Nach vielen Irrungen und Wirrungen gibt es, wie in der Operette, ein glückliches Ende. Falstaff erhält seine Lektionen, Herr Fluth ist von seiner Eifersucht kuriert, und Anna hat ihren Fenton bekommen, und am Ende ist alles Freude und Heiterkeit.

Die Geschichte stammt im Original von William Shakespeare, und The Merry Wives of Windsor wurde mehrfach vertont. Die bekannteste Fassung ist Falstaff von Guiseppe Verdi, das reife Alterswerk des Komponisten. Eine Opera buffa mit Tiefgang, die Falstaff wesentlich ernsthafter charakterisiert. Bei Nicolai geht es Falstaff vor allem um eins: viel essen, viel trinken, gut leben. Nur gehört er zur Klasse des total verarmten Landadels und kann sich seinen aufwändigen Lebensstil gar nicht leisten. Da wäre eine Liebschaft mit einer reichen Dame von Windsor doch willkommen. Und so chargiert Nicolais Fassung zwischen deutscher Romantik und Opera buffa, mit viel Einfluss von Bellini und Donizetti, denn Nicolai hat eine lange Zeit in Italien gelebt und auch italienische Opern komponiert. Aber auch der Einfluss von Wagner und Weber lässt sich nicht verleugnen bei dem Stück, das am 9. März 1849 im Königlichen Opernhaus Berlin uraufgeführt wurde. Und das ist vielleicht ein Problem des Stückes, dass es musikalisch zwischen so vielen Stilen hin- und herpendelt, dass man die besondere Individualität des Werkes vermisst.

Auch die Ausstattung ist eher zeitlos mit Anspielungen auf die Zeit Shakespeares, Nicolai und die heutige Zeit. Wenn Herr Fluth sich als Herr Bach verkleidet, um mit Falstaff ein ernstes Wort zu reden, dann taucht er mit barocker Perücke auf, so wie sein berühmter Namensvetter Johann Sebastian aus Leipzig. So wie die musikalischen Stile wechseln, so wechselt auch das Setting. Eine Drehbühne mit wenig Ausstattung, die Halskrause des Mittelalters als Symbol, und immer wieder die Porträts von Shakespeare, Nicolai und Mosenthal, dem Librettisten der lustigen Weiber. Bühne und Kostüme stammen von Dietrich Grebmer. Richtig poetisch und märchenhaft wird es dann im dritten Akt, wenn quasi der Sommernachtstraum von Shakespeare und Anklänge an Mendelssohn Einzug halten. Weißgekleidete Elfen machen aus dem bisher etwas bieder dahinplätscherndem Stück ein rasantes Finale furioso.

Die Höhepunkte sind auch gleichzeitig die Klassiker der Oper. Beginnend mit der Ouvertüre, die gerne auch in Konzerten gespielt wird, über das herrlich komische Auftrittsduett von Frau Fluth und Frau Reich, dem Trinklied des Falstaff, bei dem er mal eben eine Maß auf ex leert, bis hin zum grandiosen Mondchor im dritten Akt, wo der aufgehende Monat quasi die Stirn des überdimensionalen Porträts von Shakespeare ist. Ansonsten ist das Spiel heiter, naiv komisch, ohne Tiefgang, aber auch ohne große Spannung, so dass sich die drei Stunden ganz schön ziehen. Regisseurin Fassbaender schöpft aus einem Füllhorn an Opernerfahrung, den Falstaff von Verdi hat sie auch schon inszeniert. Und sie mag den dicken Lebemann irgendwie, denn sie tut ihm nicht weh, stellt ihn nicht als grobschlächtigen Anmacher hin, mehr als charmanten Hallodri mit einer Schwäche fürs weibliche Geschlecht. Die Sprache  wurde den heutigen Gepflogenheiten angepasst, die Dialoge ordentlich gekürzt, so dass die Musik deutlich im Vordergrund steht. Aber vielleicht ist es genau das, was dem Stück fehlt, etwas mehr Gegensätzlichkeit, mehr Auseinandersetzung. Fassbaender sitzt übrigens während der Premiere direkt im Parkett und ist nicht wie üblich hinter der Bühne noch im Einsatz. Nicht alles scheint ihr zu gefallen, was sie auf der Bühne sieht, da gibt es schon so manchen kurzen Kommentar, aber ab und an auch ein herzliches Lachen.

Dass die Premiere aber nicht nur dahinplätschert, sondern trotzdem noch zu einem großen Abend gerät, liegt wieder einmal an dem großartigen Ensemble des Gärtnerplatztheaters, allen voran Jennifer O’Loughlin als Frau Fluth. Stimmlich eine Idealbesetzung, mit perlenden Koloraturen, kraftvoller Dynamik in den Höhen und kräftigen dramatischen Ausbrüchen, dominiert sie das Geschehen sowohl sängerisch als auch spielerisch. Keck und frech hat sie die Fäden in der Hand, spinnt die Intrigen gegen Falstaff und ihren Mann und hat dabei eine Ausstrahlung, die einen schier umhaut. Gegen diese Frau hat keiner eine Chance. Wunderbar auch Anna-Katharina Tonauer als Frau Reich. Ihr warmer Mezzosopran hat sich in puncto Dramatik und Volumen deutlich weiterentwickelt, und so gelingt das Frauenduett im ersten Akt zu einem stimmlich harmonischen Auftritt mit viel Frauenpower, der zurecht umjubelt wird. Levente Páll gibt den Falstaff mit sattem Bass und gemütlichem Spiel. Schön gesungen und gespielt, vielleicht schon zu schön, aber das ist kein Falstaff, an dem man sich reiben kann. Matija Meić verkörpert den rasend eifersüchtigen Herrn Fluth mit viel stimmlichem und körperlichem Einsatz, während Timos Sirlantzis fast schon mit Belcanto-Gesang den eher zurückhaltenden Herrn Reich gibt.

Andreja Zidaric begeistert als Anna Reich mit schönem lyrischem Sopran und neckischem Auftritt, während Gyula Rab mit strahlenden Höhen und tenoralem Schmelz vor allem mit der Arie Horch, die Lerche singt im Hain als Fenton überzeugt. Gegen Fenton haben Lukas Enoch Lemcke als gelackter Dr. Cajus und Juan Carlos Falcón als Junker Spärlich keine Chance. Und die Schauspielerin Angelika Sedlmeier als Muhme, eine von Fassbaender erfundene Figur, sorgt mit ihren urkomischen Auftritten für viele Lacher.

Der Chor und der Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, bestens einstudiert von Pietro Numico und Verena Sarré, laufen an diesem Abend zur Höchstform auf, vor allem im dritten Akt, wenn Elfen mit Masken, Feen und andere Geister als Mücken und Wespen auf der Bühne wuseln. Alex Frei hat dazu eine witzige und passende Choreografie gefunden. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz spielt einen zündenden Nicolai, mit filigraner Interpretation der Ouvertüre und romantischem Mondchor. Chefdirigent Rubén Dubrovsky weiß sowohl die komödiantischen als auch die romantischen Elemente der Partitur auszukosten, wobei die Sänger immer im Vordergrund bleiben.

Am Schluss gibt es großen und langanhaltenden Applaus für das gesamte Ensemble, Jennifer O’Loughlin, Levente Páll und Rubén Dubrovsky werden umjubelt, und auch Brigitte Fassbaender nimmt den Applaus mit einem Lächeln entgegen. Wenn auch vielleicht nicht der perfekte Abend, aber in jedem Fall ein unterhaltsamer und komisch-fantastischer Opernabend mit einer Spieloper, die einfach ins Repertoire des Gärtnerplatztheaters gehört.

Andreas H. Hölscher