O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Kaiserlicher Hochadler

IM WEISSEN RÖSSL
(Ralph Benatzky)

Besuch am
13. April 2023
(Premiere am 11. Oktober 2012)

 

Gärtnerplatztheater, München

Das Weisse Rössl am Wolfgangsee, Synonym für alpenländischen Charme, für spritzige Melodien und großes Gefühl, lässt das Publikum für gut zweieinhalb  Stunden alle großen und kleinen Sorgen vergessen. Wie heißt es doch so schön im Refrain: „tritt ein und vergiss deine Sorgen.“ Man fühlt mit dem Zahlkellner Leopold, der mit allen Tricks und Finten um die Liebe seiner angebeteten Rössl-Wirtin kämpft. Man leidet mit der Wirtin Josepha Vogelhuber, die ihrerseits unglücklich in den etwas glatten Rechtsanwalt Dr. Siedler verliebt ist, der aber wiederum ein Auge auf Ottilie, der Tochter des Trikotfabrikanten Giesecke, geworfen hat. Und natürlich amüsiert man sich über den griesgrämig schimpfenden Giesecke, dem Inbegriff der Berliner Großschnauze, und seinen skurrilen Zwist mit seinem Konkurrenten Sülzheimer. Doch am Schluss gibt es ja das große Happy End. Es ist das klassische Verwirrspiel, mit vielen Missverständnissen und ewig jungen Pointen, das diese Operette zu einem Klassiker seines Genres macht und auf einzigartige musikalische Weise österreichischen Charme mit Berliner Deftigkeit verbindet. Es ist aber auch die Gratwanderung zum Kitsch, zum Possenreißen, wenn die Figuren überzeichnet werden oder die Leichtigkeit, die Spritzigkeit zu kurz kommen.

In München weit gefehlt. Hier wird kein rührseliger Kitsch gezeigt, sondern Komik und Revueoperette im eigentlichen Sinne, mit tanzendem Chor und buntem Ballett. Regisseur Josef E. Köpplinger, Intendant des Gärtnerplatztheaters München, hat das Stück in der Urfassung von 1930 auf die Bühne gebracht. Im Vergleich zu der populären Fassung der 1950-er Jahre beinhaltet die Urfassung viele Jazz-Elemente mit eigener Jazzband im Orchestergraben, sowie ein Zither-Trio, das die folkloristischen Elemente besonders betont.

Für Köpplinger steht die stilistische Vielfalt des Werkes im Vordergrund, Schauspiel und Musik sind bei ihm gleichberechtigt. „Wunderbare Slapsticks, pointierte Dialoge und schön gesungene Lieder, die zum Mitsingen animieren“, will Köpplinger in diesem Stück zeigen. Und dass das keine leeren Versprechungen sind, beweist der Erfolg der Inszenierung. Seit der Premiere am 11. Oktober 2012 stand das Stück bisher 55-mal auf dem Spielplan und ist zu einem Dauerbrenner für die ganze Familie am Gärtnerplatztheater avanciert. Auch die heutige Spielzeitpremiere ist ausverkauft, und so bunt wie die Inszenierung ist auch das Publikum. Schon vor der Vorstellung stimmt eine Trachtengruppe mit folkloristischem Tanz auf die Vorstellung ein, Dagmar Hellberg als Reiseleiterin sorgt schon auf der Bühne für Stimmung, bevor der Vorhang sich überhaupt öffnet, und in der Pause spielt eine Trachtenkapelle vor dem Eingangsportal des Gärtnerplatztheaters sehr zur Freude des Publikums zünftig auf.

Dieses Rössl ist ein witziges, spritziges Schmankerl, das einfach gute Laune verbreitet. Mit Sängern, die in ihren Rollen schauspielerisch voll aufgehen, mit einem Chor, der leidenschaftlich spielt und einer Ballettcompanie, die mitreißende Tänze aufführt, hat das Gärtnerplatztheater München ein Ensemble, das diesem Genre mit Respekt und Können begegnet, denn nur so gelingt große Kunst. Köpplinger hat in den Mittelpunkt seiner Inszenierung den Zahlkellner Leopold und seine anfangs nicht erwiderte Liebe zur Rössl-Wirtin gestellt. Leopold ist kein chaotischer Depp, er hat Liebeskummer und offeriert großes Gefühl, denn es geht auch um gesellschaftliche Schranken und Barrieren. Aber auch die Parodie des großkotzigen Berliners, der alles besser und die Schönheit des Salzkammergutes nicht zu schätzen weiß, macht den besonderen Reiz der Inszenierung aus.

Köpplingers Personenregie ist auf schnelle Interaktion aller Protagonisten ausgerichtet, mit viel Slapstick. Da wird ordentlich geohrfeigt, gejodelt, geschuhplattlert, getanzt, und geschossen. Da wird eine stinkende Mistfuhre über die Bühne geschoben, ein altes Hochzeitspaar entfacht Lachstürme, wenn der greise Bräutigam in Unterhosen seiner dicklichen Braut lüstern hinterherstürmt, der Oberförster mit Spielzeugdackel auf die Bühne kommt oder die Stallburschen Lois und Hias als etwas sehr deppert dargestellt werden. Und der Zahlkellner Leopold, nicht ganz nüchtern, verliert beim Erscheinen des Kaisers die Contenance und redet die Majestät mit „Kaiserlicher und königlicher Hochadler“ an.

Manchmal ist es, typisch Köpplinger, etwas „too much“, immer noch einen draufgesetzt, aber stets mit einem Augenzwinkern. Köpplinger liebt die Persiflage, ohne das Stück dadurch zu entwerten. Ganz im Gegenteil. Indem er die gängigen Klischees bedient, die aber vollkommen überzeichnet, gewinnt die musikalische Revue an Fahrt und Rasanz, und als Zuschauer muss man sich schon sehr zusammenreißen, um da nicht lautstark mitzusingen, so mitreißend sind die schnell aneinandergereihten Nummern. Wenn das Ballett in queeren, blauen Satinlederhosen alpenländisch daherkommt, das ist einfach nur genial komisch.

Die Ausstattung von Rainer Sinnel ist klassisch, alpenländisch und bunt. Etwas überzeichnet, dafür witzig pointiert. Natürlich gibt es ein gemaltes Alpenpanorama im Hintergrund, das Bild hängt konsequenterweise schief. Vom Rössl sieht man nur den Balkon zum Zimmer Nr. 4, der Dampfer und der Touristenbus sind aus Pappmaschee, und fertig ist die Kulisse. Es ist ein einfaches, dafür effektvolles Bühnenbild, das die Bühne nicht überfrachtet, aber den besonderen Charme des Salzkammerguts herausstellt. Angesiedelt Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts, prallen traditionelle alpenländische Tracht und der aufblühende Tourismus aufeinander. Die Kostüme, ebenfalls von Sinell, verkörpern diese Zeit, beim Ballett dagegen wird es richtig bunt. Die Choreografie des Balletts und aller Protagonisten auf der Bühne ist spritzig, witzig und gleichzeitig liebevoll einstudiert von Karl Alfred Schreiner.

Es ist ein Abend des ganzen Ensembles. Allen voran Tenor Daniel Prohaska als Zahlkellner Leopold Brandmeyer. Seit Anfang des Jahres Bayerischer Kammersänger, ist Prohaska vom Ausdruck her eine Idealbesetzung. Mit seinem charmanten Auftreten und dem Wiener Dialekt ist er der absolute Publikumsliebling, und das seit der Premiere vor über zehn Jahren. Schauspielerisch zeigt Prohaska sein ganzes Können. Mit großer Gestik und noch mehr Leidenschaft erobert er letztendlich die Rössl-Wirtin, und dass er gesanglich „nicht zuschauen kann“, gibt er eindrucksvoll und mit viel Gefühl zum Besten. Sigrid Hauser als etwas gefühlsverwirrte Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber harmoniert stimmlich mit ihrem hellen und klaren Sopran gut mit Prohaska. Auch sie singt und spielt ihre Rolle seit der Premiere. Sie hat vielleicht nicht mehr die Flexibilität in der Stimme wie eine junge Sängerin, dafür ist sie mit burschikosem Auftreten und lauter Kommandostimme eine absolut resolute Rössl-Wirtin, mit der man sich besser nicht anlegt. Nur bei ihrem Schwarm Dr. Siedler wird sie weich, und im Dialog mit dem Kaiser ganz innig, eine großartige Leistung.   Erwin Windegger als Trikotagenfabrikant Wilhelm Giesecke gibt die Berliner Schnauze mit Herz so komisch und so bissig, dass man diesem alten Kotzbrocken wahrlich nicht lange böse sein kann. Iva Schell verkörpert die Ottilie als kesse Berliner Göre mit eigenem Dickschädel und verführerischem Gehabe. Carsten Süss zeigt mit der Partie des Rechtsanwalts Dr. Siedler, dass er immer noch ein Operettentenor alter Schule ist. Sein schlanker Tenor hat den nötigen Schmelz und Charme, um die Damen auf der Bühne reihenweise um den Finger zu wickeln. Herrlich komisch agiert Armin Kahl als schöner Sigismund Sülzheimer, und Florine Schnitzel wird als lispelndes Klärchen Objekt seiner Begierde. Eduard Wildner als Prof. Hinzelmann ist ein wunderbarer stimmlicher Kontrast zum lauten Giesecke, und der mittlerweile 83-jährige Wolfgang Hübsch gibt den Kaiser Franz Joseph mit majestätischer Würde und mit leisen Tönen. Bei seinem berührenden Lied Es ist nun mal im Leben so ist es ganz still im Publikum, einer dieser Gänsehautmomente. Josef Ellers als Piccolo Gustl leidet so herrlich komisch, und wenn Dieter Fernengel als blinder und tauber Oberförster auch noch Ulrike Dostal als Briefträgerin Kathi aus Versehen erschießt, dann ist das Klamauk „at it’s best“.

Auch musikalisch ist die Spielzeitpremiere beste Unterhaltung. Andreas Partilla, seit der Spielzeit 2019/2020 musikalischer Assistent des Chefdirigenten, und das bestens aufgelegte Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatztheater präsentieren ein musikalisch erfrischendes Singspiel, in dem die Melodien von Ralph Benatzky und Robert Stolz jung und frisch erklingen. Die unterschiedlichen Musikstile vom Walzer bis zum Jazz werden modern und pfiffig interpretiert, und man muss sich manchmal fast auf die Zunge beißen, um die bekannten Schlager nicht mitzusingen, so einladend wird im Graben musiziert. Der Chor, von Pietro Numico gut einstudiert, zeigt große Spielfreude, und die Damen und Herren des Balletts dürfen die vielen Facetten ihres Repertoires zeigen.

Das Publikum bricht am Schluss in einen Jubelsturm aus, ein kleiner Bub in den vorderen Reihen ist so begeistert, dass man sicher sein kann, der war nicht zum letzten Mal im Theater. Und das ist sowohl das Geheimnis als auch das Erfolgsrezept von Köpplinger, mit wunderbaren Slapsticks, pointierten Dialogen und schön gesungenen Liedern ein bunt gemischtes Publikum komplett mitzunehmen und zu begeistern. Nur so kann dieses Genre in der Zukunft überleben.

Von dem österreichischen Journalisten Günther Nenning stammt das folgende Zitat, das auch im Programmheft abgedruckt ist: „Wer wirklich glaubt, dass die Leute an das Operettenglück glauben, versteht nichts von Kitsch. Und wer glaubt, dass die Leute an die Operettentragik nicht glauben, versteht nichts von Kunst. Auf dem einfachsten Zusammensein von Glück und Tragik beruht die Überlegenheit des Kitsches über die Kunst und der Operette über die sonstigen Kunstformen. Nur wer Kitsch liebt, versteht das Leben. Wie die Operette sich das Leben vorstellt, so ist es. Das Leben ist die Fortsetzung der Operette mit anderen Mitteln, die die gleichen sind, nur ärger. Nicht der Kitsch übertrifft das Leben, das Leben übertrifft den Kitsch.“ Passender kann man Genre und Inszenierung nicht zusammenfassen. Bis zum 8. Mai steht die wunderbare Revue noch fünfmal auf dem Spielplan des Gärtnerplatztheaters und bestimmt auch wieder in den kommenden Spielzeiten.

Andreas H. Hölscher