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FRIEDERIKE
(Franz Lehár)
Besuch am
18. Juni 2023
(Premiere am 8. Juni 2023)
Johann Wolfgang von Goethe als Operettenheld? Das fällt erst mal schwer sich vorzustellen. Sein Faust ist als große Oper von Charles Gounod vertont worden, sein Werther von Jules Massenet. Doch der Dichterfürst selbst als Operettentenor der leichten Muse? Franz Lehár hat die unglückliche Liebesgeschichte des jungen Goethe mit der jungen Pfarrerstochter Friederike Brion aus Sesenheim bei Straßburg vertont und seine als „Singspiel“ bezeichnete Operette Friederike zu seinem Lieblingswerk erklärt. Friederike gehört der letzten Schaffensphase des Komponisten an. Die Phase begann 1925 mit der Komposition von Paganini. Bezeichnend ist das Fehlen eines glücklichen Ausgangs in den Handlungen und eine dramatischere Musik als in den früheren Jahren Lehárs. Ein Stil, den Lehár mit dem von ihm sehr geschätzten italienischen Komponisten Giacomo Puccini teilt. Eine weitere Gemeinsamkeit der letzten Lehár-Operetten ist die Zusammenarbeit des Komponisten mit dem damals schon berühmten Opern- und Operettentenor Richard Tauber. Auch in Friederike finden sich Lieder, die Lehár für ihn komponiert hat.
Die Operette, die am 4. Oktober 1928 am Metropol-Theater in Berlin uraufgeführt wurde, bekam gute Kritiken und wurde vom Publikum zunächst sehr gut angenommen. Einige Kritiker verwiesen aber auf die Problematik, ob man es einem Genie wie Goethe antun könnte, in einer ihm unwürdigen Operette verewigt zu werden. In diesem Zusammenhang war von der Verhunzung von Goethe-Versen die Rede. Dessen ungeachtet lief die Operette in den Theatern gut an. Die Nationalsozialisten, die von Anfang an gegen dieses Werk opponierten, verboten dann nach ihrer Machtergreifung in Deutschland und ab 1938 auch in Österreich weitere Aufführungen der Friederike, was auch damit begründet wurde, dass die Textdichter Juden waren. Lehár versuchte vergeblich, bei Goebbels die Aufhebung des Verbots zu erreichen. Nach dem Krieg wurde das Werk zunächst wieder öfter gespielt. Dann geriet es mehr und mehr in Vergessenheit. Heute wird das Stück nur noch selten als Gesamtwerk aufgeführt. Ein Problem dieser Operette ist das Libretto, insbesondere die gesprochenen Dialoge, die inhaltlich so seicht und oberflächlich sind, dass man sich schwertut, da zuzuhören.
Foto © Jean-Marc Turmes
Am Münchener Gärtnerplatztheater hat man dafür eine einfache wie perfekte Lösung gefunden. Das Werk findet in einer halbszenischen Aufführung statt, und Christoph Wagner-Trenkwitz hat eine von ausufernden Dialogen befreite Erzählfassung geschaffen. Die gestraffte Version lenkt das Augenmerk ganz auf die Schönheit der Musik und des Gesangs. Die Geschichte selbst ist schnell erzählt. Der junge Goethe verliebt sich zu Sesenheim in die Pfarrerstochter Friederike, während sein Kommilitone Lenz erfolglos für deren Schwester Salomea schwärmt. Der Dichter feiert in Versen wie O Mädchen, mein Mädchen oder Sah ein Knab’ ein Röslein steh’n sein Glück – doch dieses Glück ist nur von kurzer Dauer: Ein Bote aus Weimar offeriert Goethe eine Stelle am dortigen Hof, aber dafür darf er nicht gebunden sein. Friederike stellt sich seiner Karriere nicht in den Weg und verzichtet. Ihr Trost lautet: „Goethe gehört der ganzen Welt, also auch mir!“ Dann gibt es parallel noch die ebenfalls unglückliche Liebesgeschichte von Goethes Freund Jakob Michael Reinhold Lenz zu Friederikes Schwester Salomea. Auch Lenz ist eine historische Person, ein Dichter des „Sturm und Drang“, der aber vermutlich an Schizophrenie erkrankte und jung verstarb. Die Darstellung von Lenz als etwas einfältigem Operettenbuffo ist schon grenzwertig, sein Lied Lämmchen brav nur schwer zu ertragen.
Aber es ist die Musik Lehárs, die begeistert, die einerseits schwelgt, andererseits hat sie aber auch die Schwermut wie im Zarewitsch, der 18 Monate zuvor uraufgeführt worden war. Goethes vielleicht bekanntestes Gedicht, das Heidenröslein, schrieb er während seines Studienaufenthaltes in Straßburg um 1770. Zu dieser Zeit hatte der 21-Jährige eine kurze, aber heftige Liebschaft mit der elsässischen Pfarrerstochter Friederike Brion, an die auch das Gedicht gerichtet war. Gemeinsam mit anderen an Friederike gerichteten Gedichten und Liedern wie das Mailied wird das Heidenröslein zur Gruppe der Sesenheimer Lieder gezählt. Das ist der historische Kontext zur Oper. Die berühmteste Vertonung des Heidenröslein stammt von Franz Schubert, doch Lehárs Version steht dieser Fassung in nichts nach. Dramatischer Mittelpunkt der Operette und quasi Leitmotiv ist aber Goethes Lied O Mädchen, mein Mädchen. Beide Lieder waren auf den Gesangsstil und das Timbre Richard Taubers zugeschnitten und der Garant für den initialen Erfolg der Operette. Es gibt bei YouTube noch Originalaufnahmen dieser beiden Lieder mit Richard Tauber, die auch noch knapp 100 Jahre nach ihrer Entstehung faszinieren und begeistern.
Das Gärtnerplatztheater hat zwar keinen Richard Tauber, aber dafür einen Lucian Krasznec. Er ist stimmlich wie optisch das Idealbild eines Operettentenors, mit Schmelz in der Stimme, strahlenden Höhen und einem schmeichelnden Timbre. Er verleiht der Figur Goethes Stil und Würde und degradiert sie eben nicht zu einer Witzfigur, wie man es in der Operette immer wieder findet.
Foto © Jean-Marc Turmes
In Andreja Zidaric als Friederike hat Krasznec die ideale Partnerin an seiner Seite. Ihre Ausstrahlung, ihr leuchtender Sopran, ihre ebenfalls strahlende Höhe, Andreja Zidaric ist eine Operettendiva par excellence. Ob bei der großen Solo-Arie Warum hast du mich wachgeküsst oder im Duett mit Krasznec im Finale des ersten Aktes, ihre Intonation ist ganz großer Lehár. Julia Sturzlbaum als Salomea verleiht mit unverbrauchtem, jungem Sopran und großer Spielfreude Friederikes Schwester Leichtigkeit und Spielwitz. Caspar Krieger gelingt es, mit schönem Tenor und engagiertem Spiel, die Figur des Lenz nicht komplett als Depp darzustellen, auch wenn der Pfälzertanz das suggeriert. Die fünf Mädchen des Kinderchores, einstudiert von Verena Sarré, singen und spielen herzerfrischend, und der Herrenchor, bestens vorbereitet von Pietro Numico, sind in Frack und Zylinder eine Augenweide.
Das Werk auf der Bühne gelingt aber dank der Erzählfassung von Christoph Wagner-Trenkwitz, der die Fassung nicht nur für die Bühne eingerichtet hat, sondern auch höchstpersönlich die Erzählerrolle übernimmt, mit ironischem Augenzwinkern und als charmanter Wiener Conférencier, der fast die ganze Zeit auf der Bühne ist. Dadurch spart man sich ungefähr zwei Dutzend Nebenrollen, der Inhalt ist gestrafft und der Fokus liegt auf der Musik. Ein perfektes Stilmittel, ein vergessenes oder textlastiges Werk spannend auf die Bühne zu bringen. Florian Hackspiel hat die szenische Leitung und die am Ende unglückliche Beziehung Goethes zu Friederike in den Mittelpunkt gestellt. Das Bühnenbild besteht aus wenigen Requisiten, die völlig ausreichen. Die Kostüme von Peter Käser sind dem Modestil des Sturm und Drang nachgezeichnet. Michael Brandstätter und das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatztheater spielen einen intensiv klingenden Lehár, mit großen Orchesterbögen, aber den Gesang immer in den Vordergrund stellend.
Mit der Erzählfassung von Lehárs Friederike ist es dem Münchener Gärtnerplatztheater gelungen, eine musikalisch wunderbare, aber heute fast vergessene Operette neu zu beleben und bühnentauglich zu präsentieren. Das Publikum im trotz hochsommerlicher Temperaturen fast ausverkauftem Haus bejubelt nach gut zwei Stunden die Protagonisten, einschließlich Orchester und Dirigent. Schade nur, dass das Stück nur insgesamt zweimal auf dem Spielplan stand. Diese Fassung hat sicher mehr Aufführungen verdient. Vielleicht kommt es ja nach dem Erfolg in der kommenden Spielzeit wieder, auch wenn es derzeit nicht auf dem Plan steht. Und wer neugierig geworden ist: Es gibt eine sehr schöne Gesamtaufnahme von 2008 mit dem Münchener Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer. Ein gewisser Klaus Florian Vogt singt den Goethe, mit viel Operettenschmelz und ohne Wagner-Stahl.
Andreas H. Hölscher