O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Tobias Melle

Aktuelle Aufführungen

Im Labyrinth der Gefühle

FIGAROS HOCHZEIT
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
27. August 2022
(Premiere am 25. August 2022)

 

Kammeroper München, Hubertussaal im Schloss Nymphenburg, München

Die Kammeroper München hat sich seit ihrer Gründung 2004 einen festen Platz in der Münchner Kulturleben erspielt und ist als freies Opernensemble mit wechselnden Spielstätten oft Sprungbrett für junge Sänger am Beginn ihrer Karriere. Das Orchester setzt sich aus freien Musikern zusammen, die sich neben der Tätigkeit an Münchens Bühnen und Orchestern speziell für diese Art von Kunst zusammengeschlossen haben. In diesem Sommer wagt sich die Kammeroper München an eine der drei großen Da Ponte-Opern von Mozart: Le Nozze di Figaro. Präsentiert wird die halbszenische Produktion im edlen Hubertussaal des Schlosses Nymphenburg, in dem knapp 400 Zuschauer Platz finden.

Die Spieldauer ist auf knapp 2 Stunden und 15 Minuten verkürzt und wird mit jungen Nachwuchssängern, ausgewählt aus dem Pool aller deutschsprachigen Musikhochschulen, besetzt. Eine kammermusikalische Fassung aus Bläserquintett, Streichquintett mit Gitarre und Hammerklavier wird für das Orchester der Kammeroper arrangiert, um die jungen Stimmen besonders zu unterstützen und für Transparenz zu sorgen. Durch das Hammerklavier wird das Orchester zusätzlich verstärkt und gleichzeitig auch das Klangvolumen der Streicher erhöht. Die Aufführung erfolgt in deutscher Sprache, Alexander Krampe hat für die Produktion das Libretto in einer modernen und spritzigen Fassung übersetzt und auch das musikalische Arrangement erstellt. Einzelne Chorstellen werden von den Solisten gesungen, und alle großen Arien, Duette, Rezitative und Couplets finden sich in dieser gekürzten Fassung wieder.

Im Vordergrund steht das komödiantische Wechselspiel von Verliebtheit und Enttäuschung, von Begierde und Verzweiflung, von Lust und Frust, von Eifersucht und Intrige. Es ist im übertragenen Sinne ein Garten der Gefühle, ein Labyrinth von Irrungen und Wirrungen, aus dem es einen Ausweg gibt. Die Menschlichkeit, die am Schluss siegt und alles zum Guten führt. Doch bis dahin ist es ein weiter und schwieriger Weg mit allerlei komödiantischen Raffinessen. Graf Almaviva hat sich von seiner Gräfin abgewendet. Sein Objekt der Begierde ist Susanna, die Kammerzofe der Gräfin. Sie wird zum Ziel seiner lüsternen Attacken, während er gleichzeitig seine eigene Frau in rasender Eifersucht in flagranti zu ertappen hofft. Die emotional hoch aufgeladene Situation droht komplett zu entgleiten, da der liebestaumelnde pubertierende Page Cherubino immer im falschen Moment allen Frauen seine Avancen macht und den Grafen dabei schier zur Verzweiflung treibt. Und Figaro, der vor Kraft strotzende Einfaltspinsel, merkt erst sehr spät, welche Spielchen um ihn herumgetrieben werden. Doch am Ende eines tollen Tages lösen sich die Irrungen und Wirrungen, die die Beziehungsgeflechte auf der Gefühlsebene verbinden, in harmonisches Wohlgefallen auf.

Foto © Tobias Melle

Unzählige Regisseure und Bühnenbildner haben sich an diesem Werk versucht, mit großem, aber auch mit weniger Erfolg. Figaros Hochzeit in einer gekürzten Fassung aufzuführen, ist sicher gewagt, denn über die vielen kleinen verwobenen Handlungsstränge kann man da schon mal den Faden verlieren. Wenn jedoch ein Ensemble, vokal auf hohem Niveau und mit einer Spielfreude, die von innen herauskommt, mit Leidenschaft und ohne große Personenregie auf einer winzigen Bühne agiert, dann kann Oper ein ganz großes Erlebnis werden. Und das gelingt an diesem Abend in überzeugendem Maße. Zwei offene Türrahmen, eine Kommode, ein angedeuteter Balkon, eine Tür im Boden, ein paar Stühle und ein paar kleine Requisiten, das ist alles, denn mehr Platz ist auf der Bühne nicht. Es wird auch nicht mehr benötigt, da auch der Saal und damit das Publikum in die Handlung einbezogen werden. Claudia Weinhart hat das Bühnenbild ausgestattet. Maximilian Berling hat das witzige Kammerspiel inszeniert und die jungen Akteure dahingehend eingestimmt, dass die Beziehungsgeflechte untereinander immer im Vordergrund stehen, und Eifersucht, Lüge, Intrige und tiefsinniger Humor durch Mimik und Gestik zum Ausdruck kommen, aber immer mit einem Augenzwinkern. Schon zur Ouvertüre erscheinen die Protagonisten auf der Bühne und stellen in kurzen Sequenzen die Vorgeschichte der Handlung dar. Die Kostüme sind passend klassisch elegant von Uschi Haug entworfen.

Es ist der Abend eines großartigen jungen Sängerensembles, stimmlich und spielerisch unverbraucht. Die Sopranistin Marie Maidowski, die bis zuletzt bei Julie Kaufmann an der Universität der Künste Berlin studiert hat, ist als Susanna die Hauptfigur, um die sich alles dreht. Sie erträgt geduldig die sexuellen Avancen des Grafen, von Cherubino und von Don Basilio. Sie lenkt das Spiel von Begierde und Zurückweisung geschickt bis hin zum finalen Happy End. Mal trotzig wütend, wenn sie Figaro ohrfeigt, mal kokett mit dem Grafen flirtend, dann wieder liebevoll entrückt, wenn sie an den Geliebten denkt. Ihre wunderbar schlank geführte lyrische Sopranstimme kommt vor allem in der großen Rosen-Arie Endlich naht sich die Stunde im vierten Aufzug zur Geltung, die sie mit großer Innigkeit und Wohlklang gestaltet. Die Höhen im zarten Piano verträumt gesungen, berühren tiefe Gefühle.

Der erst 22jährige Jakob Schad, Gesangsstudent bei Lars Woldt an der Münchner Hochschule, gibt den Figaro in Spiel und Gesang als leidenschaftlichen, ja, fast schon etwas überschwänglichen Naivling. Er will das Heft des Handelns zwar in der Hand halten, so in seiner Tanz-Arie Wenn mein Herr Gräflein Lust hat zu tanzen, die er mit jugendlichem und schmeichelndem Bariton gestaltet. Da wird auch schon mal eine Anleihe bei Rossinis Figaro genommen. Und wenn er Cherubino im zweiten Aufzug mit dem wunderbaren Couplet Nun vergiss süßes Flehen leises Kosen statt zum Militär als Gärtner in die Arktis sendet, dann erinnert das fast schon an Franz Josef Strauß und sein legendäres Zitat „Was mich angeht, so würde ich lieber Ananas in Alaska züchten als Bundeskanzler sein.“ Figaro bemerkt aber gar nicht, dass sowohl der Graf als auch seine Susanna ihn manipulativ beeinflussen. Dramatisch menschlich seine Arie Doch öffnet eure Augen zu Beginn des vierten Aufzuges, die er mit großer Intensität singt und seinen schönen jungen Bariton zur vollen Entfaltung bringt. Dabei zeigt er eine physische Präsenz und eine Ausdrucksstärke, wie man es oft bei gestandenen Sängern nicht erlebt. Von diesem jungen Sänger wird man in Zukunft sicher noch viel hören.

Der Bariton Gerrit Illenberger, der seit 2019 bei Andreas Schmidt in München Gesang studiert, ist mit seiner aristokratischen Ausstrahlung und seiner arrogant gelackten Attitüde optisch wie stimmlich eine Idealbesetzung als Graf Almaviva. Er ist ein Verführer par excellence, dem man seine schmeichelnden Liebesschwüre wie auch seine rasende Eifersucht abnimmt. Doch wird er nicht auf seine Libido reduziert, sondern darf auch ganz menschliche, ja, fast schon tragische Züge zeigen. Denn eigentlich ist er ganz einsam und weiß erst am Schluss, was er wirklich an seiner Gräfin hat. Sein mit edlem Timbre geführter, galanter Bariton entfaltet sich besonders wuchtig in der großen Entbehrungsarie Der Prozess schon gewonnen – Ich soll ein Glück entbehren im dritten Aufzug, wenn er sich dramatisch in Rachefantasien ergibt. Musikalisch ist es der Höhepunkt des Abends. Sein ausdrucksstärkster Moment ist aber zweifelslos die finale Szene, in der er seine Gräfin um Verzeihung bittet: Rosina, Verzeihung. Hier wandelt sich der überhebliche Habitus zu einer tiefen und gefühlvollen menschlichen Geste.

Foto © Tobias Melle

Die Sopranistin Laura Albert, die seit 2020 ihr Masterstudium Gesang bei Carola Höhn in Berlin absolviert, überzeugt als Gräfin Almaviva als eine in der Liebe vernachlässigte und in ihrem Gefühlsleben gekränkte, ja, verwundete Frau, die zu Recht um die anhaltende Liebe und Begierde ihres Gemahls bangt. Berückend die leise, lyrische und innige Interpretation ihrer Auftrittsarie im zweiten Aufzug Hör mein Flehen, o Gott der Liebe, in der sie den Tod herbeisehnt, wenn die Liebe nicht zurückkehrt. Doch sie kann auch leidenschaftlich klagen und Dramatik in die Stimme legen, wie im großen Rezitativ und der Arie im dritten Akt Und Susanna kommt nicht – Wohin flohen die Wonnestunden. Einziges Manko der jungen Sängerin ist ihre Textverständlichkeit, daran muss sie noch etwas arbeiten.

Die ebenfalls erst 22-jährige Nadine Süssenbach als Cherubin, Studentin bei Christianne Stotijn in Würzburg, begeistert als lüsterner, pubertierender Page, vor dem kein Rockzipfel sicher ist. Ihr jugendlich hoher Mezzosopran überzeugt mit Intensität und Durchschlagkraft. Wärme und Gefühl, Irrung und Wirrung legt sie stimmlich akzentuiert in die beiden Arien Ich weiß nicht, wo ich bin, was ich tue und Ihr schönen Frauen. Insgesamt zeigt ihre musikalische und schauspielerische Darbietung schon eine enorme Reife. Wenn Cherubin dann plötzlich innig die Gräfin küsst, dann ist das schon fast eine Reminiszenz an den Rosenkavalier von Richard Strauss mit der Feldmarschallin und Octavian.

Nina Schumertl, ebenfalls Studentin bei Christianne Stotijn in Würzburg, verleiht mit ihrem schon leicht dramatischen Mezzosopran und ihrer Spielfreude der Rolle der Marcellina eine besondere Note. Wunderbar passend dazu der Bass Gabriel Fortunas in der Rolle des Doktor Bartolo, der seiner rachsüchtigen Auftrittsarie Süße Rache ein markantes Profil verleiht. In dieser Arie wird der Ort der Handlung im Übrigen von Sevilla – Ganz Sevilla kennt Doktor Bartolo – mal eben sehr zur Belustigung des Publikums nach Oberschleißheim verlegt. Der Tenor Robin Neck, der derzeit sein Masterstudium Oper bei Teru Yoshihara in Stuttgart absolviert, überzeugt in der Rolle des Basilio mit einem wohlklingenden Oratorientenor. Veronika Seghers, die in diesem Jahr in Wien ihren Masterabschluss Gesang bei Ramon Vargas und Daniela Fally gemacht hat, verleiht der kleinen, aber süßen Figur Barbarina mit hellem Sopran Esprit und Sinnlichkeit. Ihre Arie Unglücksel’ge kleine Nadel im vierten Aufzug singt sie lyrisch schön und zeigt, dass sie auch eine wunderbare Susanna wäre.

Das Orchester der Kammeroper München unter der Leitung von Johanna Soller spielt einen leichten, entschlackten und dennoch intensiven Mozart. Schon die Ouvertüre, schwungvoll und dynamisch, erzählt von den Wirren eines tollen Tages, dessen Ende sich musikalisch früh erahnen lässt. Die sinnlich erotisierende Musik Mozarts ist transparent mit schwungvollen Bögen und Phrasierungen und macht die Aufführung zu einem großen musikalischen Genuss, in dem die Sänger im Vordergrund stehen und das Orchester eine dienende Rolle einnimmt.  Das Hammerklavier, das die Rezitative kunstvoll untermalt, entwickelt hier sogar eine eigene Dynamik, die über die obligatorische Begleitung hinausgeht. Und Johanna Soller leitet nicht nur eindrucksvoll das Kammerorchester, sondern spielt selbst das Hammerklavier. Eine überragende Leistung der Künstlerin.

Nachdem sich das von Irrungen und Wirrungen, von Leidenschaft und Gefühlen durchsetzte Beziehungsgeflecht am Schluss in vollendete Harmonie auflöst, gibt es von dem begeisterten Publikum im vollen Hubertussaal im Schloss Nymphenburg großen Jubel für ein begeisterndes Ensemble und ein hervorragend aufgelegtes Orchester. Mit einer Aufführung in der Qualität ist wieder einmal bewiesen, wie wichtig es ist, den jungen Nachwuchssängern die Möglichkeit zu geben, ihr Talent frühzeitig auszuprobieren, vor allem, wenn sie mit solcher Leidenschaft singen und agieren. Ein großartiges Erlebnis, das noch lange nachwirken wird. Auch die gekürzte Fassung mit einer erfrischend modernen Übersetzung trägt zum Erfolg des Abends bei.

Bis zum 18. September steht die Produktion noch insgesamt zwölfmal auf dem Programm. Und Ende Oktober wartet mit der Petite Messe Solennelle von Gioacchino Rossini schon das nächste Projekt der Kammeroper München.

Andreas H. Hölscher