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DON JUAN
(Christoph Willibald Gluck)
Gesehen am
31. Januar 2021
(Livestream)
Nach den erfolgreichen Opern- und Operetten-Livestreams am Gärtnerplatztheater München haben Intendant Josef E. Köpplinger und GMD Anthony Bramall eine neue Serie ins Leben gerufen, die der „Sinfonischen Lyrik“. Musik und Wort prallen als Gegensatz aufeinander oder ergänzen sich in Harmonie. Den Anfang macht die Geschichte um den Frauenheld Don Juan. Doch es ist nicht die Mozartische Fassung des Don Giovanni, sondern die leider viel zu selten gespielte Ballettmusik von Christoph Willibald Gluck. Seit seinem Auftauchen auf der Bühne des 17. Jahrhunderts mit dem Drama Don Juan von Tirso de Molina – der wegen seiner Werke beinahe exkommuniziert worden wäre – hat der Mythos des rastlosen Frauenhelden Don Juan zahllose Schriftsteller, Komponisten und andere Künstler zu immer neuen Versionen angeregt. So komponierte Christoph Willibald Gluck die Musik zu einer 1761 in Wien uraufgeführten Ballettpantomime, deren Handlung „höchst traurig, grausig und schrecklich“ ist, wie ein Zeitgenosse schrieb. Kernstück der Partitur ist vor allem Don Juans Höllenfahrt, die hochdramatisch im Orchester dargestellt wird. Aber auch Don Juans Duell mit dem Komtur, sein rauschendes Fest, auf dem er hofft, diverse Schönheiten zu verführen, und nicht zuletzt der Auftritt der Statue des Komturs, die Don Juans Einladung zum Gastmahl folgt, sorgen für eine besondere Stimmung.
1761 fand die vielbeachtete Aufführung des Balletts Don Juan statt, zu dem der Tänzer und Choreograf Gasparo Angiolini die Choreografie schuf. Angiolini hatte eine belebte Tanzdarstellung vor Augen. Damit setzte er sich gegen die damals vorgegebene höfische Ballett-Tradition ab, mit ihren Masken und der daraus resultierenden Typik und Starrheit. Sein Wunsch war es, das typische repräsentative Ballett durch ein Handlungsballett zu ersetzen, das einem sinnvoll dramaturgischen Ablauf folgen sollte. Über den Komponisten Gluck sagte Angiolini: „Gluck hat die Musik gesetzt. Er hat das Stück vollkommen erfasst und versucht, die Leidenschaften, die vorgestellt werden und das Grausen, das die Katastrophe beherrscht, auszudrücken! Die Musik ist bei der Pantomime die Hauptsache: sie ist es, die spricht, wir machen nur die Bewegungen. Es wäre uns fast unmöglich, uns ohne Musik verständlich zu machen, und je mehr sie an das angepasst ist, was wir ausdrücken wollen, desto besser werden wir verstanden.“
Bildschirmfoto
Angiolini legte besonderen Wert auf die Feststellung, dass die Musik eigens für das Ballett komponiert werde, also nicht als Choreografie zu älteren Stücken geschaffen. Am 17. Oktober 1761 wurde in Wien das Ballett Don Juan uraufgeführt. 1786 sollte Mozart in seiner Opera buffa Le nozze di Figaro auf den Fandango, ein spanischer Singtanz, zurückgreifen. Durch die Jahrhunderte hindurch bleiben jedoch bestimmte Elemente erhalten, die es ermöglichen, die Figur trotz aller Wandlungen wiederzuerkennen, und die dem Don Juan zugleich einen mythischen Status verleihen. Zu diesen wiederkehrenden Konstanten zählen neben tausenden von Liebschaften, ohne die Don Juan nicht sein kann, die Verführung einer hochstehenden Dame und das Duell mit ihrem Vater, Onkel, Ehemann oder einem anderen männlichen Verwandten, das für diesen tödlich endet. Auch die Tatsache, dass Don Juan mit Frauen aus allen Schichten verkehrt, gehört dazu und wird im 17. und 18. Jahrhundert oft dadurch vor Augen geführt, dass Don Juan eine Bauernhochzeit zu sprengen droht, indem er sich an die Braut heranmacht. Das Verspotten der Statue des von ihm im Zweikampf getöteten Komtur, den Don Juan zu sich zum Gastmahl lädt, das Auftauchen dieses sogenannten steinernen Gastes und dessen Einladung an Don Juan, seinerseits bei ihm zu speisen, sowie Don Juans Weigerung, sich zu ändern und seine abschließende Höllenfahrt sind weitere Bestandteile des Mythos.
Die aus München stammende Schauspielerin Jutta Speidel liest zu der Ballettmusik ausgewählte Passagen aus Don-Juan-Texten von Gasparo Angiolini, Lorenzo Da Ponte, Tirso de Molina, Christian Dietrich Grabbe, E. T. A. Hoffmann und Molière und schafft es, mit facettenreichem Ausdruck und starker Deklamation einen Kontrapunkt zu der teils schmeichelnden, teils aufbrausenden Musik Glucks zu setzen. Das Orchester des Gärtnerplatztheaters unter der Leitung von Anthony Bramall spielt die wunderbare Ballettmusik in Kammermusikbesetzung. Bramall zeigt hier mal wieder seine große Vielseitigkeit. Mit viel Leidenschaft erweckt er dieses musikalische Kleinod von Gluck zu einem großen, anrührenden Stück, das wunderbar mit der Sprache Speidels alterniert. Ist der Hintergrund des Gärtnerplatztheaters in ein dunkles Blau getaucht, so wandelt sich die Farbe zum großen Finale in ein leuchtendes Rot, ein schöner und passender Effekt. Nach knapp einer Stunde ist es leider schon vorbei, doch das Konzert macht Lust auf mehr „Sinfonische Lyrik“.
Andreas H. Hölscher