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COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)
Besuch am
8. Dezember 2022
(Premiere am 13. Juni 2015)
In der Vorweihnachtszeit stehen auf den Programmzetteln der volksnahen Opernhäuser oft Werke wie Hänsel und Gretel, La Bohème oder Der Nussknacker mit garantiert ausverkauftem Haus. Umso überraschender ist der Termin der Spielzeitpremiere von Mozarts „Dramma giocoso“ Così fan tutte kurz vor dem dritten Adventswochenende. Seit über sieben Jahren ist das Werk im Repertoire, trotzdem hat der Abend etwas von Premierenfeeling. Alle sechs Solisten des Werkes sind feste Ensemblemitglieder des Gärtnerplatztheater, und bis auf Maximilian Mayer in der Rolle des Ferrando geben alle anderen Solisten an diesem Abend ihr Rollendebüt. Insofern ist Spannung angesagt, und GMD Anthony Bramall lässt es sich nicht nehmen, den Abend aus der Proszeniumsloge aufmerksam zu verfolgen. Hinzu kommt die leichte Brisanz, dass erst vor sechs Wochen das Werk in der Bayerischen Staatsoper seine Premiere gefeiert hat.
Così fan tutte in zwei Münchner Opernhäusern, macht das Sinn? Ja, denn kaum ein zweites Werk von Mozart lässt in seiner Deutung so viel Spielraum zu wie die Geschichte über die Liebesschule. „Dramma giocoso“ bedeutet wörtlich übersetzt „lustiges Drama“ und steht klassischerweise zwischen der Opera buffa und der Opera seria. An der Bayerischen Staatsoper liegt der Schwerpunkt der Neuinszenierung auf dem Drama, zwischen Eros und Voyeurismus angesiedelt, als abgründige und schonungslose Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen. Am Gärtnerplatztheater steht das Heitere und Komödiantische im Vordergrund, definitiv mehr Opera buffa. Insofern lohnt sich der Vergleich zwischen diesen beiden Inszenierungen und den beiden Münchner Opernhäusern.
Foto © Christian Pogo Zach
Der Titel Così fan tutte – So machen es alle – bezieht sich ausschließlich auf Frauen, eine Aussage, die man natürlich in der heutigen Zeit kritisch hinterfragen kann. Das Stück dreht sich ja um die Frage, ob diese dem Mann so rätselhaften Wesen überhaupt treu sein können: Zwei junge Männer sind naiv genug, auf die Treue ihrer Verlobten, den Schwestern Fiordiligi und Dorabella hundert Zechinen zu verwetten. Auch die Frauen selbst können sich gar nicht vorstellen, sich jemals für einen anderen Mann zu interessieren. Von so viel Leichtgläubigkeit herausgefordert, setzt Don Alfonso, Freund und Lehrer der zwei Schnösel Guilelmo und Ferrando alle Hebel in Bewegung, um die romantische Illusion von der ewigen Liebe zu zerstören. Die jungen Leute werden im Zuge der Beweisführung in einen so heftigen Strudel emotionaler Verwicklungen gezogen, dass ihnen am Ende Zweifel kommen, ob sie es wirklich so genau hatten wissen wollen. Man kann das Stück in seinem Nebeneinander von Witz und Ernst, von frecher Derbheit und psychologischer Feinzeichnung als heiteres Verwirrspiel um jugendlichen Liebesüberschwang oder als abgründige und schonungslose Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen verstehen.
Regisseur Olivier Tambosi stellt die erste Variante in den Vordergrund und leitet seine Personenregie, die eng am Libretto angelehnt ist, ganz klar von der Musik ab. Bei ihm stehen die beiden Liebespaare im Vordergrund, während Don Alfonso und die abtrünnige Kammerzofe Despina mehr im Hintergrund die Fäden ziehen. Das Bühnenbild von Ben Gomér wirkt steril, die Wände sind weißgekachelt, wie in einem Versuchslabor. Ein immer wieder vom Schnürboden herabgelassenes riesiges Schwarz-Weiß-Foto mit den Porträts von Fiordiligi und Dorabella dient als Zwischenvorhang. Farbe ins Spiel bringen die bunten Kostüme von Carla Caminati, die eine Zeitreise vom Rokoko bis in die heutige Zeit symbolisieren, um die Zeitlosigkeit des Themas zu veranschaulichen. Insbesondere die teilweise opulenten und leuchtend roten Kleider der beiden Schwestern, die wie Zwillinge immer identisch gekleidet sind, einschließlich der Perücken, sind ein absoluter Hingucker, während Don Alfonso in seiner eleganten schwarzen Uniform den Kontrast bildet zu den beiden Männern in hellen Uniformen oder weißen orientalischen Gewändern. Wie ihre Verlobten sind auch die beiden Männer identisch gekleidet, ebenfalls ein Zeichen für die Austauschbarkeit der Figuren. Despina, als Kammerzofe in ein mausgraues Kleid gepackt, verwandelt sich im Laufe des Stückes mit kanariengelbem, verrücktem Outfit zum Arzt und Notar.
Vor dem Bildporträt der beiden Schwestern beginnt die erste Szene, Ferrando und Guilelmo hatten Fechtunterricht bei ihrem Lehrer Don Alfonso und besingen die Schönheit und Treue ihrer Geliebten. Alfonso jedoch kontert die etwas naive Sichtweise der noch unerfahrenen jungen Männer und wettet mit ihnen, dass die beiden Frauen ihre Tugenden über Bord schmeißen werden. Das Spiel beginnt, und das heitere Drama nimmt seinen Lauf. Natürlich geht das nicht lange gut. Auch wenn die beiden Schwestern immer wieder sehnsüchtig die Fotos ihrer Geliebten betrachten und sogar die Köpfe ausschneiden und in ein Medaillon stecken, am Ende werden sie dennoch schwach und erliegen den Verführungskünsten der beiden verkleideten Soldaten. Doch im Gegensatz zur Auflösung an der Bayerischen Staatsoper, wo die Beziehungen der beiden Paare am Schluss zerstört sind, endet diese Inszenierung nicht im Drama. Die jungen Männer haben ihre Lektion gelernt, und auch die Frauen wissen um ihre wahre Liebe, und am Ende gehen die Paare sogar gestärkt aus diesem Verwirrspiel heraus. Eine Oper, zwei konträre Sichtweisen, und beide haben ihren Sinn.
Foto © Christian Pogo Zach
Die sängerische Darstellung lässt an diesem Abend nichts zu wünschen übrig. Ein überzeugendes Rollendebüt als Fiordiligi gibt Camille Schnoor. Mit strahlendem Sopran gestaltet sie ihre Rolle und zeigt neben emotionalem Einfühlungsvermögen und stimmlicher Wandlungsfähigkeit auch viel Humor. Ihre große Arie Come scoglio immoto resta, die „Felsenarie“, gestaltet sie mit großem Ausdruck. Sophie Rennert als Dorabella ist die ideale Ergänzung zu Camille Schnoor, beide Stimmen harmonieren wunderbar in den Duetten, und auch optisch passen die beiden gut zueinander. Rennert verfügt über einen warmen Mezzosopran mit vielen Farben und über reiches komödiantisches Geschick. Ebenfalls ein überzeugendes Rollendebüt. Das gilt auch für die junge Sopranistin Julia Sturzlbaum, die die Despina mit viel Witz und Koketterie gibt. Ihr leichter und heller Sopran meistert mühelos alle Verzierungen der Partie. Gelungenes Debüt! Daniel Gutmann überzeugt als Guilelmo mit schmeichelndem Bariton und verführerischem Spiel und legt ebenfalls ein formidables Rollendebüt hin. Maximilian Mayer überzeugt als Ferrando mit leichtem Mozarttenor und witzigem Spiel. Das fünfte Rollendebüt an diesem Abend gelingt dem Bariton Timos Sirlantzis mit der Partie des Don Alfonso. Mit der aristokratischen Ausstrahlung eines Conte Almaviva und kräftigem Bariton zieht er die Strippen in dieser Verwechslungskomödie, aber immer mit einem Zwinkern in den Augen, so dass man stets das Gefühl hat, die Geschichte wird gut ausgehen.
Auch musikalisch ist dieser Opernabend ein Hochgenuss. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Oleg Ptashnikov spielt einen leichten, heiteren Mozart mit vielen Farben und Leidenschaft, ohne in den dramatischen Anteilen nachzugeben, dabei stehen die Sänger bei Ptashnikov immer im Vordergrund. Der von Dovilė Šiupėnytė einstudierte Chor ist in den wenigen Kurzauftritten stets präsent.
Nach knapp drei Stunden gibt es vom dem sehr unruhigen Publikum großen Applaus und Jubel für alle Akteure des Abends, und auch GMD Anthony Bramall ist mehr als zufrieden mit seinen Musikern, Sängern und seinem Dirigentenkollegen. Es ist ein Abend von überzeugenden Rollendebüts, und das Gärtnerplatztheater braucht sich in dieser Besetzung definitiv nicht hinter der Bayerischen Staatsoper zu verstecken. Beide Häuser bringen eine spannende und begeisternde Inszenierung auf die Bühne. Wer es lieber heiter mag, der ist am Gärtnerplatztheater genau richtig. Bis Anfang Januar wird das Werk noch sechsmal gezeigt. Ach ja, es ist doch Adventszeit, und natürlich stehen ab nächster Woche zehn Vorstellungen der bald 50 Jahre alten Inszenierung von Hänsel und Gretel ebenfalls auf dem Programm.
Andreas H. Hölscher