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LA CENERENTOLA
(Gioacchino Rossini)
Gesehen am
6. Februar 2021
(Livestream)
Am 4. November 1865 wurde in München das Theater am Gärtnerplatz als Volkstheater eröffnet. Viele große Sänger haben seitdem dort reüssiert und auch so manche große Karriere begann hier. Mit einer Neuinszenierung von Rossinis herrlich komischer Oper La Cenerentola sollte nun am 4. Februar 2015 der 150. Geburtstag des Gärtnerplatztheaters gefeiert werden. Wegen Verzögerungen in der mehrjährigen Sanierung des Theaters konnte die Jubiläumsinszenierung nicht im eigenen Hause stattfinden, man musste in das Münchener Cuvilliéstheater ausweichen, was aber damals auch kein Nachteil war. Nun, in Zeiten von Corona, Lockdown und Livestreams kommt diese farbenfrohe und witzige Inszenierung wieder aus dem Gärtnerplatztheater, und die Aufführung bringt für knapp drei Stunden so was wie Licht und Fröhlichkeit in den derzeit so tristen und dunklen Alltag.
Die große Opern- und Liedsängerin, Regisseurin und Intendantin Brigitte Fassbaender war 2015 für diese Jubiläumsproduktion ans Haus geholt worden. Das Werk hatte sie schon 1990 in Coburg inszeniert, weitere Produktionen folgten in Wiesbaden und Innsbruck. In München war es nun ihre vierte Inszenierung dieser Opera buffa, für Fassbaender die komischste Oper überhaupt. Und wer Fassbaender kennt, die durchaus mal mit spitzer Zunge gesellschafts- und kulturpolitische Missstände anprangert, der darf keine gefällige oder rein konventionelle Inszenierung erwarten. Als ehemalige Sängerin kann sie sich aber bestens in die Situation der Akteure auf der Bühne hineinversetzen und weiß daher genau, was ein Regisseur von den Sängern erwarten und verlangen kann, ohne sie zu überfordern. Ihr gelingt es dabei mit stilistisch pointierten Mitteln, die europäische Musiktheatertradition mit modernen zeitgenössischen Unterhaltungsformen zu verbinden und dabei Rossinis lebendigen und quirligen Musikergeist omnipräsent auf die Bühne zu bringen. Es ist der Kontrast der scheinbar oberflächigen Simplizität des Sujets und einer tiefgründigen, ja, psychologischen Komplexität, die dieses Märchen so zeitlos ansprechend macht.
Foto © Christian Pogo Zach
Und es ist der scharfe Kontrast zwischen der edelmütigen, ja, sanften Version des französischen Dichters Charles Perrault, die dem Libretto der Oper als Vorlage dient, und dem brutalen und moralisierenden Märchen der Gebrüder Grimm. Bei Rossinis Vertonung ist es nicht die böse Stiefmutter, die das arme Aschenputtel erniedrigt, sondern der dumme, selbstgefällige Stiefvater Don Magnifico. Der lebt mit seinen Töchtern Clorinda, Tisbe und seiner ungeliebten Stieftochter Angelina, genannt Cenerentola, das Aschenputtel. Da erscheint Prinz Ramiro, der auf Brautsuche ist, als Diener verkleidet im Hause Magnificos. Vorher hat er Rolle und Kleidung mit seinem Diener Dandini getauscht, der sich wiederum als Fürst ausgibt und die Familie auf sein Schloss einlädt. Aschenputtel muss natürlich zu Hause bleiben. Während die beiden Schwestern Clorinda und Tisbe um die Gunst des vermeintlichen Prinzen buhlen, erscheint das Aschenputtel als festlich gekleidete, verschleierte, schöne Unbekannte. Sie schenkt ihre Gunst dem angeblichen Diener, verlangt aber von ihm, sie in ihrem Haus zu suchen und zu finden. Als Erkennungszeichen gibt sie ihm einen Armreif. Don Magnifico erfährt, dass Clorinda und Tisbe um den Falschen geworben haben und seine Anstellung als Kellermeister in Gefahr gerät. In der Nacht tauchen dann Dandini und Ramiro in Don Magnificos Haus auf, jetzt aber ohne Rollentausch. Don Ramiro erkennt in dem Aschenputtel die schöne Unbekannte, der Armreif passt und er hält um ihre Hand an. Am Schluss verzeiht Angelina ihrer Familie allen Unbill, den sie ertragen muss, und es ist die Macht der Gnade über alle Rachegefühle und Erniedrigungen.
Brigitte Fassbaender zeigt viel Gefühl für die Musik, aber auch für gesellschaftliche Konflikte, und so entsteht ein sozialkritisches Bühnenspiel, das auch etwas mit Zeiten und Klischees spielt, da der Stoff an sich letztendlich zeitlos ist. Die Szenerie spielt von der Ausstattung her zu Beginn des 20. Jahrhunderts, doch eine elektrische Kaffeemaschine und eine Ausgabe der Zeitschrift Gala mit dem britischen Prinzen Harry auf dem Titelfoto weisen Bezüge zur heutigen Zeit auf. Schon während des Vorspiels muss Angelina unter Zeitdruck den Kaffeetisch decken, als plötzlich eine Gruppe bayerischer Geheimpolizisten das runtergekommene Schloss Don Magnificos durchsucht, zur Vorbereitung der Ankunft des Prinzen, der sich auf Brautschau befindet. Dass Angelina es sich als Aschenputtel im Kamin bequem gemacht hat, verwundert zwar die Gesellschaft, doch keiner interessiert sich für sie, zu farblos und unscheinbar ist sie, was auch durch ihr taubengraues Kleid zum Ausdruck gebracht wird. Doch die Inszenierung nimmt jetzt schnell Fahrt und Farbe auf und führt zu heiteren, saukomischen und auch schrillen Momenten. Die beiden Schwestern Clorinda und Tisbe wetteifern in ihren grellen Outfits um die Vormachtstellung im Hause, während Angelina ob des Treibens nur den Kopf schütteln kann. Schräg wird es, wenn Don Magnifico halbnackt unter der Brause steht und seine Auftrittsarie singt und dann seine Badeente liebkost. So richtig auf die Pauke haut Fassbaender aber dann mit der Ankunft Dandinis in der Rolle des Prinzen.
Sein Auftritt erfolgt hoheitsvoll als König Ludwig II. von Bayern mit einer Projektion von Neuschwanstein im Hintergrund, während aus dem Orchester „Siegfrieds Hornruf“ von Richard Wagner erklingt. Und so springt Fassbaender augenzwinkernd zwischen den Zeiten, ohne ins Kitschige oder Absurde abzudriften, auch wenn so manche Szene durchaus als grenzwertiger Humor ausgelegt werden darf. Mit Wagner hat es Fassbaender, und so gibt es am Schluss in der Brautszene noch ein Lohengrin-Zitat, in der Angelina als Kaiserin Sisi auftritt und Don Ramiro als König Ludwig II. in einem Kahn gezogen wird, im Hintergrund die Projektion der Venusgrotte aus Schloss Linderhof. Das sind Theatergags, die man mögen kann oder auch nicht. Viele Szenen haben Slapstick-Charakter, was aber der schnellen Szenenfolge dieser Oper durchaus angemessen ist. Schon böse ist der Humor zum Schluss, wenn die beiden Stiefschwestern als Nonnen kostümiert sind und Angelinas – oder Sisis – Gnade empfangen. Das einfache, aber gut zu der Szenerie passende Bühnenbild und die teils farbenfrohen Kostüme hat Dietrich von Grebmer entworfen, das Lichtdesign stammt von Wieland Müller-Haslinger.
Foto © Christian Pogo Zach
Alle Protagonisten haben große Freude am Stück und spielen mit herzerfrischendem, komödiantischem Gestus. Anna-Katharina Tonauer als Angelina gelingt spielerisch der Wandel vom schmutzigen Aschenputtel zur edlen, großzügigen Dame. Mit ihrem jugendlich schlanken Mezzo-Sopran und ihrer warmen Mittellage gelingen ihr auch die schwierigen Koloraturen und Parlando-Stellen mit scheinbar müheloser Leichtigkeit. Auch ihre stimmliche Wandlungsfähigkeit in so unterschiedlichen Rollen in kürzester Zeit wie dem Hänsel oder dem Pagen Smeton in Donizettis Anna Bolena stellt sie in dieser Produktion auf sehr beeindruckende Weise dar. Gyula Rab als Don Ramiro überzeugt mit klarem und kräftigem Spinto-Tenor sowie herrlich komödiantischem Spiel. Daniel Gutmann in der Rolle des Dandini läuft hier in der Doppelrolle als Kammerdiener und verkleideter Prinz mit seinem warmen und schmeichelnden Bariton zu spielerischer und sängerischer Hochform auf. Levente Páll gibt mit markantem Bariton und herrlich komödiantischem Spiel die Karikatur des Möchtegern-Prinzipalen Don Magnifico. Alexander Grassauer überzeugt mit sonorem Bassbariton als weiser Alidoro. Frances Lucey als Clorinda und Cecilia Gaetani als Tisbe geben herrlich komisch und schrill die beiden einfältigen und eitlen Töchter Magnificos und komplettieren ein formidables Sängerensemble. Bei Frances Lucey muss man allerdings stimmlich einige Abstriche machen, ihr fehlt einfach die Leichtigkeit in der Stimme, die in den Höhen auch schon mal unangenehm schrill klingt. Und wenn ihr Rollenvater eigentlich schon ihr Sohn sein könnte, dann passt das einfach nicht mehr.
Der Herrenchor, präzise einstudiert von Felix Meybier, zeigt nicht nur sängerisch erste Güte, sondern beeindruckt durch ein engagiertes und manchmal auf Slapstick und Sitcom getuntes Spiel. Rubén Dubrovsky ist an diesem Abend in seinem Element, er leitet das reduzierte Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz mit viel Verve und Lebensfreude. Es wird leicht musiziert, die Wechsel zwischen Rezitativen, Arien und Orchestermusik erfolgen ohne Brüche, mit den farbenreichen typischen Rossini-Bögen. Und auch das berühmte Rossinische Crescendo lässt Dubrovsky voll wuchtig erklingen, während in den filigranen Parlando-Stellen das Orchester wieder ins piano geht, was der Begleitung der Sänger sehr dienlich ist.
Das Publikum im Haus, wie immer einige wenige Mitarbeiter des Gärtnerplatztheater, ist am Schluss nach knapp drei Stunden Aufführungszeit restlos begeistert, es gibt großen Jubel für die Kollegen auf der Bühne. In der Pause sorgt die Musikdramaturgin Fedora Wesseler mit Interviews mit den Hauptakteuren und dem Dirigenten für Kurzweil, und online gibt es auch wieder umfangreiches Begleitmaterial. Übertragung, Kameraführung, Licht und Ton sind wieder gut, und das Gärtnerplatztheater bietet mit dieser Livestream-Übertragung beste Unterhaltung. Freunde von Oper und Operette dürfen sich auf das nächste Konzert als Livestream am 20. Februar freuen, wenn es dann heißt: Straus & Strauss & Co.
Andreas H. Hölscher