Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Damit hat kein Kulturschaffender gerechnet: In den Theatern, Konzert- und Opernhäuser bleiben die Plätze leer. Der große Ansturm ist nach Wiedereröffnung der Institutionen ausgeblieben. Es ist viel bequemer, zu Hause auf dem Sofa Serien zu schauen. Und billiger ist es auch, was angesichts der Kostenexplosion nicht zu verachten ist. Überdies fühlt sich ohnehin keiner mehr angesprochen, wenn die Kulturwelt ihre eigene Sprache erfindet, in der es nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um Geschlechterfragen zu gehen scheint. Ein Thema, das übrigens auch die Chefideologen der Tageszeitungen angehen wird, wenn ihnen die Abonnenten wegbleiben. Bis dahin fordern Sie die verbliebenen Leser – ohne Erfolg – dazu auf, doch wieder in die Theater zu gehen. Um dem Publikumsschwund entgegenzuwirken, hat der Regionalverband Ruhr die Ruhr-Bühnen ins Leben gerufen, „das Theaternetzwerk der Metropole Ruhr“, das sogar eine eigene Website spendiert bekommen hat. Und die Ruhr-Bühnen treten nun mit einer konzertierten Aktion an das Publikum heran. Zehn x Freiheit wird ein Theaterwochenende überschrieben, bei dem die Besucher theoretisch die Möglichkeit bekommen, an zwei Tagen vier verschiedene Aufführungen zu sehen. Ob das jemanden interessiert, der gerade keine Lust hat, ins Theater zu gehen, wird man sehen müssen.
In diesem Zusammenhang bietet das Schlosstheater Moers, nach eigenem Bekunden das kleinste Stadttheater Nordrhein-Westfalens, die Aufführung des Fragments Die Polizey von Friedrich Schiller in einer Textfassung von Anna-Elisabeth Frick an. Nachdem mangels Nachfrage die Abendveranstaltung bereits gestrichen wurde, finden sich am Nachmittag etliche Pressevertreter ein, die helfen, die Stühle zu besetzen, so dass in dem kleinen Theater die Atmosphäre stimmt. Die Guckkastenbühne hat Martha Pinsker aufgelöst. Stattdessen sitzen die Besucher in zwei Reihen jeweils entlang eines Ganges, der mit einem grünen Belag gekennzeichnet und mit allerlei Stuhlwerk vollgestellt ist. Einige Mikrofone hängen an den Seiten des Laufstegs herab. Am Kopfende, also neben dem Eingang, ist ein Schreibtisch im Stil der 1970-er Jahre aufgebaut. Ein paar Wählscheiben-Telefone sind zusätzlich drapiert. In Spinden, die zwischen den Zuschauerstühlen aufgebaut sind, können sich die Darsteller an Kostümen bedienen, die ebenfalls Pinsker entwickelt hat und die verschiedenen Rollen verdeutlichen.
In diesem Umfeld will Frick vom Konfliktpotenzial der Ordnungsmacht Polizei damals und heute erzählen. Einerseits soll sie für jeden Bürger die größtmögliche Freiheit bewahren und den Bürger dabei nicht belästigen, andererseits soll sie für den gleichen Bürger ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleisten. Damit das funktioniert, ist innerhalb des Polizeiapparats ein hoher Organisationsgrad notwendig, den man früher allein durch Hierarchie zu erreichen können glaubte, und andererseits klare politische Vorgaben, die sich in dezidierte Vorschriften ergießen. Weil es in der Polizeiarbeit immer um Menschen und ihre Sorgen geht, reichen Vorschriften allein aber nicht. Ein Erkenntnisprozess, der seit Schiller-Zeiten erheblich an Fahrt aufgenommen hat. Bei den inneren Strukturen des Machtapparates gilt, was immer gegolten hat: Wo Menschen sind, da menschelt’s. Karrieredenken, Strebertum bis hin zum Mobbing gehören zur alltäglichen Polizeiarbeit wie in jedem anderen Betrieb auch. Wie also will man solche Komplexität auf die Bühne bringen? Indem man die Themen in Szenen aufteilt, denkt sich Frick.
Foto © Jakob Studnar
Eingangs ist eine Kinderstimme vom Band zu hören. In der zweiten Szene wird das Getriebe innerhalb der Polizei dargestellt. Dazu spielt Hannes Strobl Maschinenmusik ein. Und der Zuschauer erfährt, dass er Zeuge zweier Ermittlungsverfahren werden wird. In einem Mordfall kommt es zu einer exemplarischen Zeugenbefragung, bei der die Darsteller in unterschiedlichen Dialekten Stellung nehmen. Soll lustig sein, ist aber vielleicht ein wenig abgedroschen. Überhaupt ist es mit dem Humor bei dem Stück so eine Sache. Vieles gerät ein wenig schief. Die Ermittlungsarbeiten im Mordfall, die von „unheimlicher“ Musik unterlegt werden, führen zum Erfolg. Wenn sich Emily Klinge im nächsten Bild eine Affenmaske über den Kopf zieht und ziemlich heftig gemobbt wird, drängt sich eine böse Botschaft auf: Wer sich zum Affen macht, wird gemobbt. Da kann man nur hoffen, dass das lediglich schiefgeraten ist, wäre es doch ansonsten ein recht unsensibler Umgang mit dem Thema.
Dass auch bei der Polizei die eine Hand oft nicht weiß, was die andere macht, wird im nachfolgenden Vermisstenfall deutlich, wenn das vermisste Kind auf der Wache steht, während die Beamten auf der Straße nach ihm suchen. Und noch einmal meldet sich der oberste Vorgesetzte telefonisch zu Wort. Wie immer, steigen auch bei der Polizei die größten Idioten zu den höchsten Posten auf – so könnte hier die Botschaft lauten. Denn viel mehr als ein opulenter Raucherhusten ist auch diesmal nicht zu hören. Danach geraten die Dinge ein bisschen aus dem Ufer. Neben Klinge müssen Joanne Gläsel, Georg Grohmann, Matthias Heße und Roman Mucha viel nackte Haut zeigen und der Zuschauer erfährt etwa über Phytolinguistik, die die Weisheit aus den Flechten liest. Zum Schluss erfährt das Publikum dann noch eine Aufzählung, welche neuen Aufgaben auf die Polizei zukommen. Das ist nach anderthalb Stunden der Fall. Ein Abbruch nach einer Stunde hätte nichts vermissen lassen.
Schade, dass den deutschen Bühnen Sprachwitz und die Liebe zur Sprache abhanden zu kommen scheint. Wenn nicht mehr dabei herauskommt als die altmodische Schreibweise der Polizei mit einem amerikanischen ey auszusprechen und bei dreimal „Gendern“ drei Verhaspler der Erfolg sind, sollten sich die Regisseure und Autoren vielleicht mal Gedanken darüber machen, ob Intelligenz und Originalität nicht doch die besseren Ratgeber als die politische Korrektheit und irgendwelche Geschlechtssprachenfantasien sind.
Die gemischten Gefühle an diesem Nachmittag drücken sich auch im verhaltenen Applaus aus. Da bleibt zu hoffen, dass die Erfolge an den anderen Spielstätten an diesem Wochenende größer waren.
Michael S. Zerban