O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Stutte

Aktuelle Aufführungen

Bühne im Film

DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK
(Grigori Frid)

Gesehen am
12. Juni 2020
(Video on demand)

 

Theater Krefeld Mönchengladbach, Bunker Güdderath

Heute, am 12. Juni 2020, wäre Anne Frank 91 Jahre alt geworden. Stattdessen starb sie im Februar 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Bis heute ein schreckliches Schicksal. Trotzdem ist es für Katja Bening ein guter Tag. Denn heute hat „ihr“ Film Premiere. Schon 2018 hatte sie sich intensiv mit dem Leben der Anne Frank auseinandergesetzt, als sie die Monooper Das Tagebuch der Anne Frank von Grigori Frid inszenierte. Im November 2018 hatte die Inszenierung im Bunker Güdderath Premiere (O-Ton berichtete). Ein großer Erfolg, der Bening beflügelte, das Projekt auszubauen. Und so entstand ein weiteres 45-minütiges Werk, das eigentlich auf die große Bühne sollte. Als der Shutdown kam, entschloss sich das Theater Krefeld Mönchengladbach, daraus einen Film zu machen.

Und so wird aus der Theater- eine Film-Regisseurin. Bening setzt zunächst auf Bewährtes, wenn sie das Set wieder in den Bunker Güdderath legt. Die Ausstattung besorgt wieder Künstler Bernhard Petz, für die Bekleidung sorgt erneut Zdzislawa Worozanska-Sacher. Allerdings greift Bening diesmal nur auf Auszüge der Oper zurück und ergänzt sie um Tagebuchauszüge, die sie von einer Schauspielerin sprechen lässt. Eine kluge Entscheidung, die Frid auch Menschen zugänglich macht, die keine unmittelbaren Freunde der Oper sind. Zudem eröffnen sich hier ganz andere dramaturgische Möglichkeiten, die Bening auch voll ausspielt. Unterstützung findet sie in Ullrich Bohn, der mit seiner Kameraführung die goldene Mitte zwischen einer rein filmischen Umsetzung und dem Bühnengeschehen findet. Darin liegt möglicherweise der größte Gewinn des Werks: Bening und Bohn gelingt es, ein Format zu finden, mit dem sich Theater im Internet zeigen lässt. Und hätten die beiden die Tontechnik besser im Griff gehabt, wäre hier ein kleines Meisterwerk entstanden.

Foto © Matthias Stutte

Panagiota Sofroniadou gelingt im Film eine noch stärkere Ausstrahlung, als schon auf der Bühne zu bemerken war, weil sie mit Schauspielerin Vera Maria Schmidt einen wunderbaren Counterpart bekommt. Sopranistin Sofroniadou bringt gesangliche Höchstleistungen, die aber deutlich an Wortverständlichkeit und Wohlklang verlieren, weil die Stimme nur im Saal abgenommen wurde. Das schmälert das Ergebnis deutlich. Während Schmidt diese wunderbare, erfrischende Anne Frank verkörpert, die zu diesem Zeitpunkt noch fest davon überzeugt ist, erst Journalistin, später Schriftstellerin werden zu wollen, sich nach allen Facetten der jugendlichen Liebe sehnt und mit ihren Backfisch-Problemen sehr heutig wirkt, erreicht Sofroniadou auf diese Weise eine Meta-Ebene. Sie wirkt durchgeistigt, vermittelt glaubhaft das Vorwegnehmen der düsteren Zukunft.

Besonders deutlich wird das im Dialog, in den Bening die beiden zwischenzeitlich treten lässt, die sonst nur parallel agieren. Da versteht die vergeistigte Sängerin nicht mehr die allzu weltlichen Probleme der pubertierenden Schauspielerin. Ein großer Moment, aber davon gibt es viele in dem Film, der vermutlich zukünftig in vielen pädagogischen Programmen oder schulischen Lehrplänen seinen festen Platz einnehmen wird.

Für eine fesselnde Musik setzen sich der musikalische Leiter Michael Preiser am Klavier sowie von den Niederrheinischen Sinfonikern Dominik Lang am Schlagwerk und Georg Ruppert am Kontrabass ein, die zwar begeisternde Arbeit leisten, aber nicht im Bild zu sehen sind. Das ändert im Großen und Ganzen nicht viel an der Sogwirkung des Films, der noch knappe zwei Wochen im Internet zu sehen ist. 45 Minuten, die sich lohnen.

Michael S. Zerban