Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
LESUNG AUS GEORGE TABORIS ERINNERUNGEN
(Bruno Winzen)
Besuch am
31. Oktober 2023
(Einmalige Aufführung)
Für die Menschen Israels war der 7. Oktober 2023 – der ‚Schwarze Sabbath‘, wie David Grossman schreibt – der Tag der Hamas-Massaker, der grauenvollste Tag in der Geschichte ihres Landes. Zum Gedenken an die Opfer dieses Tages möchte das Theater Krefeld Mönchengladbach zu einem Lesungsabend einladen“, ist in der Vorankündigung eines besonderen Theaterabends zu lesen. Und bis dahin ist alles in Ordnung. Dann allerdings wird es merkwürdig. „Mit den Erinnerungen des großen jüdischen Theatermenschen George Tabori blicken wir in eine Zeit vor der Gründung des Staates Israel. Tabori erzählt in seinen Erinnerungsskizzen ‚Autodafé‘ vom Aufwachsen in einer europäischen jüdischen Familie, die zum großen Teil von Deutschen ermordet wurde“, ist da zu lesen. Damit wird suggeriert, dass das eine in Zusammenhang mit dem anderen steht. Diese Zuordnung ist weder historisch noch moralisch gerechtfertigt. Da verwundert es kaum, dass die Menschen einem solchen Abend lieber fernbleiben, so gut er vielleicht auch gemeint gewesen sein mag. Gerade mal etwas mehr als eine Hand voll Besucher lassen sich da noch von der Lesung aus George Taboris Erinnerungen anlocken.
Auch das Haus selbst scheint die Veranstaltung nicht ganz ernst zu nehmen. Das Personal ist auf ein Minimum reduziert, Getränke werden gar nicht erst angeboten. Wenn sich allerdings der Vorhang zum Studio im Theater Rheydt öffnet, ist alles vergessen. Die Besucher werden von den Akteuren persönlich am Eingang begrüßt. Auf der Bühne ist ein Tisch mit einer Lampe und zwei Stühlen aufgebaut, im Halbkreis sind darum herum Stühle angeordnet. Eine gemütliche Atmosphäre. Am Tisch nehmen Verena Meis und Bruno Winzen Platz. Meis ist Schauspieldramaturgin, Winzen seit 2011 fest im Schauspielensemble des Gemeinschaftstheaters, seit 2015 führt er dort auch Regie. In der Einleitung fallen weder die Worte Krieg noch Hamas, und damit wird der Abend das, was er eigentlich von Anfang an sein sollte: eine wunderbare Lesung aus dem Autodafé von George Tabori, seinen Lebenserinnerungen. Meis eröffnet den Abend mit einer kurzen Übersicht über das Leben Taboris.
Verena Meis und Bruno Winzen – Foto © O-Ton
György Tábori wurde 1914 in Budapest geboren. Nach dem Abitur absolvierte er eine halbjährige Hotelfachlehre in Berlin und studierte anschließend in Budapest, nachdem er 1933 Deutschland wegen seiner jüdischen Herkunft verlassen musste. Er ist einer der Entwurzelten, aber immerhin einer derjenigen, die sich nicht dadurch entmutigen ließen. Und es begann ein Lebensabschnitt, den Tabori später als einen seiner glücklichsten bezeichnen wird. 1935 emigriert er nach London, geht als Auslandskorrespondent nach Sofia, Istanbul, Palästina und Ägypten. Im Zweiten Weltkrieg arbeitet er – mittlerweile britischer Staatsbürger – als Kriegsberichterstatter und Nachrichtenoffizier. Die Bitte an seine Eltern, Deutschland zu verlassen, verhallte. Der Vater starb 1944 in Auschwitz, die Mutter entging durch einen Glücksfall der Deportation.
1947 reiste der Journalist nach Amerika. Dort sollte er die nächsten 20 Jahre bleiben, obwohl ursprünglich nur ein Aufenthalt für wenige Monate geplant war. Als Drehbuchautor knüpfte er Kontakte zu anderen Exilanten wie Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger. Brecht war es, der sein Verständnis von Theater entscheidend prägen sollte. 1968 kehrte Tabori nach Europa zurück, um seine Theaterkarriere nun erst richtig zu beginnen. Über Bremen ging es nach München bis nach Wien an das Burgtheater unter Leitung von Claus Peymann. Ab 1999 arbeitete er am Berliner Ensemble. Mit seinen Stücken sorgte er für Erfolg auf Erfolg, mit seiner Art, Regie zu führen, schrieb er wenigstens deutsche Theatergeschichte. Bis heute gilt er als „Theaterkönig“. Wie soll man einem solch unglaublichen Leben gerecht werden? Vermutlich überhaupt nicht. Winzen, der Tabori selbst nur einmal aus der Ferne begegnet ist, versucht es mit einer Annäherung, indem er aus Autodafé und Exodus liest.
Verena Meis – Foto © O-Ton
Erstaunlich, dass der Schauspieler dabei aus schmuddelig wirkenden Fotokopien vorträgt. Und tatsächlich, auch die Helden der Bühne sind keine Zauberer. So bleiben seine Augen an den Zeilen kleben, immer mal wieder muss er neu ansetzen. Das Publikum stört sich daran nicht, sondern lässt sich von der angenehmen Stimme und dem unterschwelligen Humor, der immer wieder schon das Drama in sich birgt, gefangen nehmen. Nach der Geburt als Sonntagskind erfolgt der erste Sprung zum Urlaubsbericht vom Comer See. Wunderbar die Geschichte von den ersten erotischen Fantasien im Hotel. Bei der Abhandlung über Männer mit Schneuzern wirkt die Ironie, schließlich gehörte der Schneuzer zu den Markenzeichen des Theatermannes. Bei der Reise nach Sarajewo geht es zum ersten Mal um das Verhältnis zum Vater, dem Journalisten, Schriftsteller und Hobbyhistoriker. Da darf das berühmte Zitat nicht fehlen, nach dem der Vater seine Auffassung äußerte, es gebe in Ungarn mehr Schreibende als Leser und der Sohn deshalb lieber etwas Vernünftiges lernen solle. Die zweite Begegnung mit dem Vater ist eine der Erinnerung, wenn Tabori Auschwitz besucht. Und so endet nach einer guten Stunde die Lesung mit einem weiteren berühmtgewordenen Zitat. „Mahnmale sind für die Lebenden. Die Toten kümmern sie nicht.“
Eigentlich ist nach der Lesung ein Gespräch vorgesehen, und damit das in Gang kommt, ist ja die Moderatorin anwesend. Vermutlich hat ihr das niemand gesagt. Und so übernimmt erst Winzen ihre Rolle, ehe tatsächlich so etwas wie ein Gespräch in Gang kommt, bei dem Meis ganz begeistert zuhört. Nach einer weiteren Viertelstunde geht der Abend mit einem beglückten Publikum zu Ende. Das Theater Krefeld Mönchengladbach gehört zu den wenigen Stadttheatern, die das Feld der Lesung noch nicht ganz den kommerziellen Anbietern, nämlich den Buchhandlungen, überlassen haben. Das ist löblich, und es lohnt sich übrigens auch immer, Ausschau nach den Lesungen von Intendant Michael Grosse Ausschau zu halten. Da wäre es schön, wenn man diese Tradition auch liebevoll pflegt. Ob es besser geht, kann das Publikum am darauffolgenden Donnerstag erleben. Dann wird Winzen im Glasfoyer des Theaters Krefeld mit einer Wiederholung erneut für Schmunzeln und Nachdenklichkeit sorgen.
Michael S. Zerban