O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Friedrich Luchterhandt

Aktuelle Aufführungen

Ganz dicht am Ende

GÖTTERDÄMMERUNG
(Richard Wagner)

Besuch am
6. September 2018
(Premiere)

 

Richard-Wagner-Verband, Stadttheater Minden

Die Mienen mancher Mitwirkenden beim Schlussapplaus sagen alles. Ungläubigkeit, Freude, Erschöpfung, Stolz spiegeln sich darin. Unwillkürlich drängen sich die dramatischen Worte „Es ist vollbracht“ auf. Einen Ring-Zyklus zu beschließen, ist für jedes Theater ein besonderes Ereignis. In Minden bekommt man das Gefühl, es ist nochmal ein bisschen mehr. Seit 2002 gehört Wagner in dem ostwestfälischen Städtchen an der Weser nicht jährlich, aber immer wiederkehrend zum Programm – dank des ortsansässigen Richard-Wagner-Verbandes. 2015 beginnt mit dem Rheingold der Anfang vom Ende. Das wird noch milde gelächelt, „eine Nummer zu groß“ und ähnliches mehr wird gemunkelt, … „bis zur Götterdämmerung schaffen die das nie“ … „jetzt machen sie in Minden auf Bayreuth“. Ja, vielleicht möchten die Verantwortlichen ein ganz klein bisschen von Bayreuth hierherholen. Wie beim berühmten Festspielhaus wird der Beginn des nächsten Aktes mit dem Ruf der Blechbläser vom Balkon verkündigt. Da sich Horn, Trompete und Co. aber mit dieser Aufgabe etwas schwertun und sich das Premierenpublikum den Applaus für drinnen aufspart, kommen kaum irgendwelche Festspielgefühle auf.

Das ändert sich schlagartig, wenn Frank Beermann, der mit jedem Akt noch lauter begrüßt wird, an das Pult der Nordwestdeutschen Philharmonie tritt. 2012 hat er die musikalische Leitung der Mindener Wagnerprojekte mit Tristan und Isolde übernommen. Er und das Orchester, dem man eine derartige Aufgabe wie den Ring vor zehn Jahren noch nicht zugetraut hätte, sitzen im Hintergrund der Bühne, da der Riesenapparat von Musikern unten im niedlichen Orchestergraben keinen Platz finden würde. Die Rampe der Bühne und der verwaiste Graben bieten dann so viel Raum, dass Frank Philipp Schlößmann eine weltrekordverdächtig kleine Spielfläche für den Ring bauen kann. Seine unaufdringlichen Kostüme und an Tablets erinnernde Stationen für die Nornen verorten die Götterdämmerung ganz dezent im Heute. Das passt insofern gut, weil man angesichts der weltweit wachsenden sozialen, politischen und ökologischen Krisenherde nicht mehr so optimistisch in die Zukunft schauen möchte. „Persönlich habe ich wenig Hoffnung. Ich denke, wir fahren die Menschheit in den nächsten 100 Jahren grandios an die Wand“, lässt sich Regisseur Gerd Heinz zitieren.

Demnach sind wir dem Ende recht nahe, und genau das passiert in Minden im kleinen Stadttheater. Die Zuschauer sitzen ganz dicht an diesem Endzeitgeschehen, werden damit konfrontiert. Und im Gegensatz zum Siegfried, der etwas unbeholfen wirkte, gelingt Heinz mit einer minimalen, aber auf den Punkt gebrachten Personenführung ein kleines Meisterwerk. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Götterdämmerung, dieses Mammutstück von Wagner, als Kammerspiel funktioniert? Und hier liegt eben der große Unterschied zu den Festspielen von Bayreuth. In Minden konzentriert man sich – auch weil der Theaterraum es so vorgibt – nur auf das Stück, auf eben das, was vor den Zuschauern gespielt wird. Hier wird kein Mythos, keine Historie eines Komponisten zelebriert. Hier wird ein Musikdrama für das Publikum gegeben. Heinz verzichtet dabei ganz bewusst auf plakative Effekte. Da wird auch mal für ein paar Minuten ruhig auf der Bühne gestanden. Das ist auch gut so, denn ein Wagner-Recke wie Renatus Mészár macht gerademal fünf Schritte von der einen Seite bis zur anderen. Das andernorts verpönte Rampensingen funktioniert in Minden, weil das Publikum mittendrin ist. Man traut dem Publikum die nötige Fantasie zu und überbrückt oder unterstützt manche Momente mit Videoprojektionen von Matthias Lippert, deren Aussagen zwar nicht immer sofort verständlich sind, aber eben auch den Zuschauer zu eigenen Gedankengängen auffordern.

Natürlich muss man in diesem Bühnenraum improvisieren, und auch das gesteht das Regieteam offen ein. Der Chor der Mannen wird daher einfach noch hinter das Orchester in die letzten Winkel der Bühne gepackt und von Michael Kohlhagen zu den passenden Stellen mit etwas Licht sichtbar gemacht. Ihr szenischer Anteil ist auf Winken und Fäuste schütteln begrenzt. Doch der Wagner-Chor Minden 2018, einstudiert von Thomas Wirtz, jubelt das Groß Glück und Heil so mutig, kraftstrotzend und selbstbewusst, das manch anderer Opernchor vor Neid erblasste.

Dieser Ring in Minden funktioniert auch deshalb, weil man auf die Wirkung der Musik vertraut und sie auch wirken lässt. Es fällt auf, wenn das Bühnengeschehen mal nicht mit der Musik Hand in Hand geht. So müssen vor dem Trauermarsch noch ein paar Requisiten von Gunthers Jagdgelage weggeräumt werden. Die dabei entstehende Geräuschkulisse ist für den musikalischen Spannungsaufbau, den Frank Beermann und die Nordwestdeutsche Philharmonie versuchen, kontraproduktiv. Aber das sind eben die Kleinigkeiten, die in der positiven Gesamtsumme auffallen, während man sich woanders schon an solche Dinge gewöhnt hat.

Dass die Philharmonie aus dem benachbarten Herford sich noch nicht voll und ganz in die Partitur der Götterdämmerung hineingefuchst hat, ist irgendwo verständlich. Erstens spielt das Premierenfieber eine große Rolle, und zweitens ist die Philharmonie nun mal kein genuines Opernorchester. Da geraten manche Strukturen etwas unscharf, der ein oder andere Einsatz fasert auseinander, und gerade bei kurzen Einwürfen wie auch bei ihren Balkonsoli draußen vor den Akten fehlt es im Blech an der Präzision. Das sind aber Dinge, die sich noch einspielen können. Denn das Wichtigste hört man in jeder Sekunde: Das Orchester erklimmt diesen Opernolymp Takt für Takt – und damit ist nicht ein Mitleidsbonus wie „sie waren stets bemüht“ gemeint. Man hört, dass die hochkonzentrierten Musiker darauf brennen, dieses Ereignis mitzuprägen und das gelingt ihnen auch mit einer unglaublichen Sogkraft und Leidenschaft. Dabei liegt ihnen das mythische Element im Dialog zwischen Alberich und Hagen ebenso wie die naturalistische Suggestivkraft von Siegfrieds Rheinfahrt. Beermann gibt ihnen auch viel Spielraum zur Entfaltung und achtet gleichzeitig auf die Sänger, denen er über den Monitor die Einsätze gibt. Zusammen mit der Personenführung wird dank Beermann der sonst oft schwerfällige erste Akt mit genau zwei Stunden Spieldauer zu einem fast kurzweiligen Vergnügen. Etwas optimiert werden dürfte in den kommenden Vorstellungen noch die Lautstärke. Denn die Sänger werden manchmal zu mehr Druck genötigt, als sie in dieser Konstellation geben müssten.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



In Minden hat sich mit dem Rheingold eine kleine Wagnerfamilie gegründet, und das kommt einer geschlossenen Sängerleistung zu Gute. Man kennt sich aus den vergangenen Aufführungen, ist aufeinander eingespielt.  Julia Bauer, Christine Buffle und Tiina Penttinen singen nicht nur die Rheintöchter, sondern auch die Nornen außerordentlich textverständlich. Kathrin Göring, früher die Fricka, macht nun die Erzählung der Waltraute zu einem kleinen Höhepunkt. Diese vier starken Stimmen übernehmen dann nebenbei noch den Gesangspart des weiblichen Chores im zweiten Akt. Magdalena Anna Hofmannn ist als Gutrune genau so engagiert wie als Sieglinde, ist allerdings in der Höhe etwas schärfer geworden. Neu im Ensemble ist Frank Blees als Alberich, der trotz nachdrücklicher Mahnung an Sohn Hagen nicht an seine Vorgänger in der Partie heranreicht. Auch der unglaublich starke Andreas Hörl tritt erstmals im Mindener Ring auf und weiß, dem Hagen neue Facetten abzugewinnen. Zunächst zeigt er sich von seiner kumpelhaften Seite, dann tritt seine Boshaftigkeit nach und nach zu Tage. Der feige Mord an Siegfried ist erschreckend. Dazu passend Hörls groß schwingender Bass, im Timbre leicht an Kurt Moll erinnernd. Renatus Mészár war der Wotan der vorangegangen Teile. Dem Gunther ist er etwas entwachsen, könnte ihn eine Spur eleganter singen. Was diesen Sänger so auszeichnet, ist seine durchgängige vokale wie physische Präsenz auf der Bühne.

Foto © Friedrich Luchterhandt

In Punkto Bühnenpräsenz hat sich Thomas Mohr seit dem jungen Siegfried im letzten Jahr etwas gesteigert. Er wirkt dynamischer und spielfreudiger. Auch seine Stimme, die davor bei Loge und Siegmund zu hören war, wirkt nochmal befreiter. Konditionsstark setzt er mit seinem strahlenden Tenor einen Akzent nach dem anderen und tut so, als wäre diese Partie das leichteste, was Wagner je für sein Fach geschrieben hat. Dass er am Ende des Abends noch die Konzentration hat, Siegfrieds Tod so ganz in sich ruhend zu gestalten, setzt dem Ganzen die Krone auf. Seine Erinnerung an die erste Begegnung mit Brünnhilde treibt den Hörern die Tränen in die Augen. Dara Hobbs kann und wird man jedenfalls so schnell nicht vergessen. Wenn man mäkeln möchte, dann an ihrer Textverständlichkeit. Ansonsten genügt ihr durchgebildeter dramatischer Sopran den höchsten Ansprüchen. Was angesichts dieser technisch so sicheren Leistung noch höher zu bewerten ist, ist ihr emotionaler Einsatz über diese langen drei Akte, in denen sie die Zuschauer nie aus ihrem Bann entlässt. So kann man nicht genau sagen, was nun der stärkste Moment des Abends ist. Ihr Schlussgesang, tief empfunden und strahlend ausgeführt, zeigt Brünnhildes Reue, Erkenntnis und Opferbereitschaft. Fast noch intensiver ist aber ihre Wut als betrogene Frau, wie sie das ganze Ensemble zu einem hochspannenden Drama mit Vorwürfen und Schwüren vorantreibt.

Beim Jubel des Publikums kann sie die Tränen der Dankbarkeit kaum unterdrücken. Die Intensität des Applauses hätte man sich zu Beginn kaum vorstellen können angesichts der Tatsache, dass viele den Anfang des dritten Aktes verquatscht haben. Nach dem letzten Ton ist dann andächtige Stille, bevor der frenetische Beifall einsetzt. Spontan beginnen die Zuschauer, sich beim Applaus für Dirigent und Orchester zu erheben, aber das Beste daran ist: Niemand nutzt diese Gelegenheit, um zu gehen. Der Beifall ist länger als die Beteiligten auf der Bühne wollen. Der beste Dank für einen großartigen Opernabend und einen bewegenden Abschluss des Ring-Projektes.

Und das ist noch nicht zu Ende. Denn für nächstes Jahr sind zwei zyklische Aufführungen geplant. Und wenn sie dann noch nicht genug von Wagner haben, gäbe es ja noch Rienzi, das Liebesverbot, die Meistersinger und Parsifal.

Rebecca Hoffmann