O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Akzente ohne Orchester

3 CONCERTI – 1 KONZERT
(Frédéric Chopin, George Gershwin, Franz Liszt)

Besuch am
8. Januar 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Kulturvilla Mettmann

Moderate Eintrittspreise, bequeme Kleidung, eine schon fast familiäre Atmosphäre, herzliche Begrüßung und ein bekannter Künstler. Sind das die Zutaten zum Erfolgsrezept, einen Konzertsaal zu füllen? In der Kulturvilla Mettmann kann man den Eindruck gewinnen. Denn der Saal ist an diesem Sonntagnachmittag bis auf den letzten Platz besetzt. Auch die Gastgeber, Constanze Backus und Bodo Herlyn, sind beglückt. Haben sie doch selbst zum Jahresende in anderen Konzertsälen erleben müssen, wie es ist, wenn nicht einmal mehr die Hälfte der Plätze besetzt sind. Jetzt also ist der Saal in der Villa voll. Und zwar mit Menschen nahezu jeglichen Alters.

Ermöglicht hat das zum guten Teil sicher auch das Programm, das der Künstler ausgewählt hat. Chopin, Gershwin und Liszt – das ist per se eine interessante Zusammenstellung, aber der Abend wird zeigen, dass die Stücke noch einmal einen ganz anderen Pfeffer beinhalten. Menachem Har-Zahav lebt heute im Rheinland, eigentlich in direkter Nachbarschaft zur Kulturvilla. Und es ist schön, dass Menschen wie er im Rheinland ihre Heimat finden. Menschen, die in vielen Ländern gelebt haben und ihre Weltoffenheit nach Deutschland tragen. Har-Zahav ist in Amerika geboren, begann mit vier Jahren mit dem Klavierunterricht, bewies früh sein Talent, studierte an Universitäten in Amerika und Großbritannien, wo er anschließend auch unterrichtete. Zugunsten seiner internationalen Konzertaktivitäten mit und ohne Orchesterbegleitung ließ er die Lehranstalten hinter sich. Heute gibt er etwa 60 Konzerte im Jahr und kann auf zahlreiche CD-Einspielungen zurückblicken. Der Wunsch, die Jugend für die klassische Musik zu begeistern, brennt allerdings bis heute in ihm. Jugendliche zahlen exakt einen Euro Eintritt, um seine Konzerte zu besuchen. Umso überraschender, dass er im konservativen Frack mit weißer Fliege auftritt. Wäre nicht gerade hier ein Umbruch hilfreich? Es muss ja nicht die Jeans zum Baumfäller-Hemd sein. Fazil Say beispielsweise hat da schon mal Lösungen gefunden. Aber es gilt ja auch, Menschen nicht nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Sondern zuvörderst nach ihrem Benehmen. Har-Zahav besitzt wenigstens die Freundlichkeit, sein Publikum mit einer Verbeugung zu begrüßen, ehe er sich an den Flügel setzt. Schon da bricht er ja – sehr sympathisch – mit der unhöflichen Pianistentradition.

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Zum Auftakt wählt der Künstler das 1. Klavierkonzert op. 11 in e-moll von Frédéric Chopin, ein Jugendwerk. 1830, Chopin war gerade mal 20 Jahre alt, kam es im Nationaltheater Warschau zur Uraufführung, also kurz, bevor der Komponist Polen verließ, um sich in Paris niederzulassen. Dass Har-Zahav auf die Orchesterbegleitung verzichtet, ist bei Chopin nicht das große Drama, betrachtete der das Orchester doch immer eher als Zierwerk. Stattdessen trägt er im ersten und dritten Satz eigene Bearbeitungen vor und greift im zweiten Satz auf das Arrangement von Mili Alexejewitsch Balakirew zurück. Die sehr eigene Interpretation zeugt von intensiver Auseinandersetzung mit dem Werk, in der Har-Zahav auch durchaus zu einer eigenen Auffassung gelangt. Klare Zäsuren, die zur Transparenz beitragen, behalten das Charakteristische in der Komposition Chopins bei, das „wie unter Blumen verborgene Kanonen“ klingt, wie es Robert Schumann 1831 beschrieb.

Mit der Rhapsody in Blue von George Gershwin wählt Har-Zahav ebenfalls ein Stück, das eigentlich für Orchester und Klavier entstand. Und hier wird es tatsächlich zur Geschmackssache, welche Fassung einem besser gefällt. Der Pianist wird sicher die durchgängige Virtuosität anführen, die die reine Klavierfassung ermöglicht. Der Jazz-Liebhaber vermisst möglicherweise die „swingenden“ Einlagen des Orchesters, die dem Werk mehr Größe verleihen. An diesem Nachmittag hat das Klavier die Priorität, und das geht in Ordnung.

Bleibt noch der Totentanz von Franz Liszt. Ein Stück, das 1849 entstand, mehrfach von Liszt überarbeitet wurde, zuletzt in der Bearbeitung für ein Klavier 1865, es aber nicht zu echtem Ruhm bringen wollte. Bis 1876 die Liszt-Schülerin Martha Remmert in die Tasten griff. Und Har-Zahav zeigt, womit Remmert das Publikum begeisterte. Seine Präsentation ist so furios, dass es dem Publikum unter die Haut geht. Unruhe breitet sich im Saal aus. Das erlebt man nicht so oft. Ein grandioser Vortrag. Da klingt die kleine Träumerei von Carl Tausig, die Har-Zahav als Zugabe geschmeidig in die Tasten gibt, nur noch als müder Abgesang. Ohnehin ist das Publikum, das den Pianisten mit Bravo-Rufen bedenkt, nach den zwei statt der anderthalb angekündigten Stunden, erschöpft. Einmal mehr hat die Kulturvilla Mettmann sich als Ort herausragender Konzerte bewährt.

Wer die leichte Unterhaltung mag, sollte die Kulturvilla am kommenden Freitag kennenlernen. Dann tritt die Sinfonietta Vivazza mit Vienna Calling an, einem Programm, das man getrost als nachträgliches Feuerwerk zum Jahresbeginn begreifen kann. Champagnerselige Melodien wie Trinket Liebchen, trinke schnell oder Mein Herr Marquis werden dann von der Sopranistin Julia Langeder interpretiert. Prosit Neujahr!

Michael S. Zerban