O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christina Iberl

Aktuelle Aufführungen

Zwischen Märchen und Mysterium

DIE ZAUBERFLÖTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
17. Juni 2022
(Premiere)

 

Staatstheater Meiningen

Die Zauberflöte, 1791 in Wien als letzte Oper Wolfgang Amadeus Mozarts zehn Wochen vor seinem Tode uraufgeführt, steht einerseits ganz in der Tradition des Alt-Wiener Zaubertheaters. Andererseits ließen sich Mozart und sein Librettist Emanuel Schikaneder auch vom aufklärerischen Gedankengut der Freimaurer inspirieren; und schufen so eine Mischung aus Kasperl-Unsinn und Freimaurer-Tiefsinn, unzeitgemäßer Misogynie und tiefster Menschlichkeit mit schlichtweg himmlischer Musik, die Die Zauberflöte zu der generationenübergreifenden Erfolgsoper werden ließ, die sie heute noch ist. Gerne wird Mozarts Zauberflöte als ein Werk gesehen, das Kindern den Einstieg in die Welt der Oper erleichtern und familientauglich sein, also ein Erlebnis für Jung und Alt vermitteln soll. Doch taugt Die Zauberflöte als märchenhaftes, kindgerechtes Erleben? Sie ist einerseits Urtheater, andererseits aber auch urkomisch. Was ist nicht alles schon in die Zauberflöte hineininterpretiert worden. Von ägyptischen Hieroglyphen bis zu Mysterien-Theorien der Freimaurer wurde alles analysiert und interpretiert, was Wissenschaft heute möglich macht. Aber kann darin denn wirklich der Sinn und Wert der Kunst Mozarts liegen? Verfehlt man so nicht gerade die spielerische Leichtigkeit, mit der in seinen Opern immer wieder alles und doch nichts zur Sprache kommt? Am Anfang steht eine Aufgabe, der Weg besteht aus Prüfungen, das Ziel ist Reife – und Liebe. Ist es ein Märchen? Oder eine Parabel? Oder doch das geheime Testament der Freimaurer? Eine zentrale Rolle spielen in dieser Inszenierung die drei Türen zu den – für Tamino zunächst verschlossenen – Tempeln der Natur, der Weisheit und der Vernunft. Um sie entfaltet sich der das ganze Werk durchziehende Antagonismus der Welten von Sarastro und Königin der Nacht. Ein Antagonismus, der sich mit erfolgreich bestandener Feuer- und Wasserprobe zu einer utopisch erträumten Gemeinsamkeit auflöst.

Der Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner und Maler Achim Freyer, oft auch als „Meister der Schauspiel- als Maskenkunst in Deutschland“ bezeichnet, ist ein Grandseigneur der Regie, der vor knapp drei Monaten seinen 88. Geburtstag feiern durfte. Seine erste Zauberflöte entstand vor vierzig Jahren an der Staatsoper Hamburg. Weitere Inszenierungen des Werkes folgten bei den Salzburger Festspielen, den Schwetzinger Festspielen sowie in Moskau, Warschau und Mannheim. Die jetzige Inszenierung, die in dieser Form erstmalig 2002 bei den Schwetzinger Festspielen zu sehen war, wurde dann an den Theatern Strasbourg und Lille gegeben, um dann 2006 ihre Premiere an der Semperoper Dresden zu feiern, wo sie 15 Jahre im Repertoire war und als Dauerbrenner in weit über 200 Vorstellungen die Zuschauer begeisterte, bevor sie im letzten Jahr durch eine Neuinszenierung abgelöst wurde. Freyer schreibt über seine Inszenierung: „Die Widersprüche und die Dialektik in diesem Werk: die gute, trauernde Mutter, die aber nur Theater spielt und die die böse Frau wird, die den Sonnenkreis erringen möchte, den ihr Mann dem ungerechten Sarastro gegeben hat. Dieser Sarastro, der von den heiligen Hallen spricht, in denen man keine Rache duldet und gleichzeitig rächt und von Rache spricht. Das sind die Absurditäten und Widersprüche, die unser Leben täglich aufweist, und dass jede Ideologie, sowohl die der Königin als auch die des Sarastro Halbheiten sind, halbe Welten, halbe Wahrheiten, die immer zur Katastrophe führen und zu Kriegen und Zerstörung. Die Liebe ist das einzige Mittel zu versöhnen, uns zusammenzubringen und zu vereinen.  Das ist die Utopie in diesem Werk, dass ein Tamino und eine Pamina als geistige und seelische Ebene, wie Papageno und Papagena als sinnlich-körperliche Naturebene, die Kraft haben, diese Gegensätze zu vereinen, Mann und Weib, oder zivilisierte Welt und die Achse des Bösen, menschlich zu vereinigen und zu friedlichen Ergebnissen zu führen. Darum machen wir Kunst und müssen Gott sei Dank ständig damit leben, weil uns Amor nicht in Ruhe lässt.“

Für die Meininger Inszenierung hat Freyer, der auch die Kostüme und das Bühnenbild entwarf, den gleichen simplen Ansatz gewählt und das Werk aus einem kindlichen Blickwinkel beschrieben. Zwischen Märchen, Mysterium und Kinder-Zauberoper angelegt, ist Achim Freyer mit dieser Inszenierung ein durchaus veritabler Regieansatz gelungen. Für die szenische Neueinstudierung zeigt sich Hendrik Müller verantwortlich. Das Bühnenbild ist, wie alles in dieser Aufführung, auf einen simplen Raum reduziert. Hilflos geworfen in eine Welt voller fantastischer Unklarheiten findet sich Tamino zunächst in einem überschaubaren Zimmer, das von drei großen Türen umfasst wird. Die verkörpern in unterschiedlichen Farben Weisheit, Vernunft und Natur – alles wichtige Leitbegriffe der klassischen deutschen Philosophie, wie sie in den Schriften und literarischen Texten zu Zeiten Mozarts omnipräsent waren.

Im Mittelpunkt steht monumental ein großes Tor der Natur, dessen Klinke noch viel unerreichbarer scheint als das der anderen. Nur, wenn die Liebe ins Spiel kommt, geraten die Türen in Bewegung. Als Künstler und Maler verfügt Achim Freyer über ein überragendes Gespür für Farbe und Komposition. Allein dadurch gelingt es ihm, den statischen Bühnenraum, der sich über die gesamte Aufführung im Prinzip kaum verändert, immer wieder neu zu beleben. Kleine Nuancierungen im Licht oder Kostüm ermöglichen bereits neue Effekte und überraschende Szenenwechsel, die durch akustische Verstärker und den Einsatz von Nebelmaschinen verstärkt werden. Märchenhaft und farbenfroh ist diese zeitlose Inszenierung, und ein ganz besonderer Humor durchzieht die Oper vom ersten Auftritt bis zum großartigen Duett von Papageno und Papagena. Die Kostüme wirken clownesk, und alles spielt in einem kindlichen Universum, in dem die Naivität über das vermeintlich Böse siegt. Wenn Papageno von seiner Papagena träumt und ihm dabei ein kleines rotes Vögelchen aus dem Hosenstall rutscht, so hat das nichts Anrüchiges, sondern passt zu dem kindlich-naiven Humor Freyers. Und so kommt in den drei Stunden keinerlei Langeweile auf. Und auch musikalisch und stimmlich ist es die Qualität, die man von einem Hause wie Meiningen erwarten darf.

Eine Zauberflöte mit insgesamt sechzehn Protagonisten in allen Rollen adäquat zu besetzen, ist eine große Herausforderung, vor allem wenn die meisten Solisten aus dem eigenen Ensemble kommen. Rafael Helbig-Kostka gibt den Tamino mit sehr lyrischem Ausdruck und tenoralem Schmelz. Seine Bildnisarie singt er mit schlanker Stimmführung und sicheren Höhen, während sein Spiel etwas hölzern wirkt, als ob er mit dieser Inszenierung fremdelte.  Sara-Maria Saalmann überzeugt als liebreizende und anmutige Pamina mit glockenhellem Sopran und leuchtenden Höhen. Als sie während ihrer Arie Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden im zweiten Aufzug einen kurzen Hustenanfall erleidet, meistert sie die für eine Sängerin dramatische Situation mit großer Professionalität und schafft es sogar noch, ein wunderbares Piano zu singen. Großer Szenenapplaus ist zu Recht der Dank für ihre Leistung. Selcuk Hakan Tıraşoğlu beeindruckt als Sarastro zwar mit kräftigem, wuchtigem Bass und machtvoller Ausstrahlung, doch seine Deklamation und sein Akzent mindern wie schon als König Heinrich im Lohengrin den eigentlich positiven Gesamteindruck. Seine große Arie In diesen heiligen Hallen gelingt ihm aber ausgesprochen gut.

Die junge Sopranistin Laura Braun, die an diesem Abend Ihr Rollen- und Bühnendebüt gibt, begeistert als Königin der Nacht. Ihre beiden großen Arien singt sie technisch brillant, die Koloraturen sind makellos, die Höhen dramatisch und ausdrucksstark. Auch ihr Spiel ist geprägt von hoher Intensität. Von Nervosität vor dem ersten großen Auftritt ihrer Karriere ist nichts zu spüren. Chapeau! Der Intendant des Staatstheater Meiningen, Jens Neundorff von Enzberg, sagte nach der Aufführung über Laura Braun: „Von ihr werden wir noch viel hören.“ Die Stipendiatin des Nürnberger Richard-Wagner-Verbandes ist in jedem Fall die Entdeckung des Abends.  Johannes Moser wird in der Rolle des Papageno zum Publikumsliebling. So kann er nicht nur seinen edlen Bariton wunderbar zur Geltung bringen, sondern auch seinem komödiantischen Talent freien Lauf lassen. Ihm zur Seite ist mit der Sopranistin Monika Reinhard als Papagena eine arrivierte Sängerin, die die Rolle wirklich zu lieben scheint. Herrlich komödiantisch ihr Duett über die zukünftigen Papagenos und Papagenas mit vielen kleinen Gummivögelchen. Deniz Yetim, Marianne Schechtel und Tamta Tarielashvili geben als die drei Damen ein spiel- und stimmharmonisches Terzett.

Eva Möritz, Siba Veran und Sophia Greiwe sind Gesangsstudentinnen aus Leipzig und beeindrucken mit ihren zarten, aber in den Höhen sicheren und ausdrucksstarken Sopranstimmen als die drei Knaben. Der erfahrene Tenor Stan Meus gibt den unglücklichen Monostatos mit kräftigen Höhen und engagiertem Spiel. Pedro Arrayo als 1. Priester und 1. Geharnischter sowie Tomasz Wija in der Rolle des 2. Priesters und 2. Geharnischten fügen sich ohne Abstriche in ein großes und überzeugendes Ensemble ein, zu dem auch Mikko Järviluoto als Sprecher gehört, der in den kommenden Vorstellungen mit Selcuk Hakan Tıraşoğlu als Sarastro alternieren wird.

Die Meininger Hofkapelle überzeugt durch einen warmen, leichten Klang, der in Timbre und Klangfarben wunderbar mit den Farben der Bühne korrespondiert. Obwohl die Besetzung wie zu Zeiten Mozarts eher klein erscheint, ertönt aus dem Orchestergraben eine breite Klangfülle. Harish Shankar leitet das Orchester mit präzisem Schlag und sängerfreundlicher Begleitung. Schon die Ouvertüre erklingt spannungsgeladen, insgesamt ist das Dirigat differenziert, ohne ins Pathetische abzugleiten. Der Chor des Staatstheaters Meiningen ist von Manuel Bethe gut eingestimmt.

Am Schluss ist sich das Publikum, das leider wieder einmal während der Vorstellung sehr unruhig ist, in seiner Begeisterung für das Ensemble einig. Es gibt großen Jubel für das gesamte Ensemble, aus dem vor allem Sara-Maria Saalmann, Laura Braun und Johannes Moser herausragen. Wie schon nach der Lohengrin-Premiere lässt es sich Intendant Jens Neundorff von Enzberg nicht nehmen, sich in einer 30-minütigen Laudatio bei allen Protagonisten des Abends für die gelungene Aufführung zu bedanken. Auch die, die sonst nur hinter den Kulissen agieren, wie die Leiter der Kostüm- und Werkstattabteilungen, Abendspielleitung, Inspizienz und viele mehr erhalten an diesem Abend den verdienten Applaus.

Eine Überraschung gibt es dann noch für die etwas unglückliche Sara-Maria Saalmann, die kurz vor Schluss der Aufführung noch eine zweite Hustenattacke zu meistern hat. Der Freundeskreis des Staatstheaters Meiningen zeichnete sie als beste Nachwuchssängerin mit dem Ulrich-Burkhardt-Förderpreis 2022 aus. Für die völlig überraschte Sängerin ein verdientes Happy End an diesem Abend.

Die Inszenierung zeigt, dass die Zauberflöte ein Werk für die ganze Familie ist und daher gut geeignet ist, Opernanfänger oder ein junges Publikum an dieses Genre heranzuführen, ohne ein arriviertes Opernpublikum vor den Kopf zu stoßen. Es ist davon auszugehen, dass die Inszenierung ähnlich wie in Dresden lange und erfolgreich auf dem Spielplan des Meininger Staatstheaters stehen wird.

Andreas H. Hölscher