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Es scheint ein Ereignis zu sein, wenn sich der sogenannte Malerfürst Markus Lüpertz nach Meiningen begibt und dort die Bühne und Ausstattung von Una cosa rara übernimmt. Gewandet in Anzug, Weste und mit Gehstock mit Silberknauf bewehrt, steht er zunächst in der Pressekonferenz Rede und Antwort, verteilt Seitenhiebe in Richtung der „wirklichkeitsnahen Interpretationen“ moderner Regisseure und bricht eine Lanze für das Illusionstheater, denn „Fotos, Film und Licht zerstören die alte Kulisse“. Fragmentarisch müsse die Ausstattung auf der Bühne sein, der Zuschauer ist angehalten, das Gesehene für sich zu ergänzen, das Theatrale, die Poesie, die Emphase wirksam werden zu lassen. Während der Premiere sitzt Lüpertz in der Fremdenloge und betrachtet, wie sein Konzept nun in Meiningen wirkt, denn an diesem Haus wurde alles nur noch überarbeitet, entstanden ist die Produktion in Regensburg, wo sie 2018 zur Aufführung kam, unter dem damaligen Intendanten Jens Neundorff von Enzberg, seit Beginn der Spielzeit 2021/22 Intendant am Staatstheater Meinungen und am Landestheater Eisenach. Die Produktion wurde regulär von Regensburg gekauft und ist nun mit dem Meininger Ensemble hier aufgefrischt zu sehen.
Das Werk hat nach der Uraufführung 1786 Mozarts Le nozze di Figaro vom Spielplan des Burgtheaters verdrängt und wurde vom damaligen Publikum als absoluter Renner goutiert. Die damalige Ausstattung beeinflusste ähnlich wie Goethes Die Leiden des jungen Werthers zwölf Jahre zuvor die Mode der Damen, die Hits aus der Oper wurden ähnlich wie später bei Mozart in den Gassen Wiens gepfiffen. Der spanische Komponist Vicente Martín y Soler legte hiermit seine zweite Zusammenarbeit mit dem Venezianer Lorenzo da Ponte vor, ein ungemein fleißiger Poet, der auch Mozart die Opernlibretti für dessen Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte lieferte.
Foto © Christina Iberl
Und auch hier in der Cosa rara, dem seltenen Fall von Liebe und Aufrichtigkeit, die die Hauptfigur Lilla in dem Stück beweist, geht es letztendlich um das Verhältnis von bürgerlichen Mädchen gegenüber den Avancen adeliger Männer. Das Ganze ist in Schäferspiele gekleidet, wie sie Marie-Antoinette, Lieblingsschwester von Kaiser Joseph II in Wien, liebte und selbst im Garten von Versailles nahe des Petit Trianon aufführte. Das standhafte Bauernmädchen Lilla und ihre quirlige Freundin Ghita widerstehen in dem Stück allen Gefälligkeiten der Adligen, hier der Prinz Giovanni, Sohn der Königin von Spanien, Isabella, und Oberstallmeister Corrado. Die beiden Partner der umschwärmten Damen sind Lubino und Tita, die etwas tölpelhaft ihre Rechte bei ihren Geliebten einfordern. Königin Isabella mischt sich – ähnlich wie damals Joseph II – gerne aus Spaß unter das einfache Volk, bekommt dessen Sorgen mit, schlichtet und weist zurecht, wo es nötig ist. Am Ende blicken die Schäferpaare in eine verheißungsvolle Zukunft.
Lüpertz hat in Zusammenarbeit bei Bühne und Kostümen mit Ruth Groß dem lustigen Treiben farbenfrohe Bühnenelemente geschaffen. Schon als sich der Vorhang hebt, stehen drei überdimensionale Pappkulissen vorne am Rand, zwei lustvoll überzeichnete Frauen und ein knieender Mann, die bei Beginn der Handlung zur Seite fahren, später ziehen lustige Hirten vorbei. Figuren im Stile Lüpertz‘, kraftstrotzend, prall, verschroben. Im Hintergrund sieht man einen stilisierten Wald, der durch die Lichtwechsel – verantwortlich ist Rolf Schreiber – unterschiedlich in Szene gesetzt wird, mal bedrohlich schwarz mit Ästen wie Fäuste, mal lieblich bunt mit rotierenden Gobos angestrahlt. Auf der intensiv eingesetzten Drehbühne kommen Wildschweine, Schafe, ein Häuschen, Figuren und Darsteller hereingefahren. Über dem Wald erscheinen dionysische Gestalten, blaue und rote Wolken dräuen passend zur Handlung. Am Ende wird, wohl um die Flüchtigkeit des Augenblickes zu betonen und die Illusion wieder zu nehmen, die gesamte Bühne gedreht und von hinten gezeigt, mit allen Aufgängen, Stützen und Markierungen. Das macht durchaus Sinn und evoziert den Eindruck der Flüchtigkeit wie bei einer Wanderbühne, bringt durch die Farbigkeit Frische auf die Bühne.
Foto © Christina Iberl
Bei den Kostümen, die einen ebenso ephemeren Eindruck erwecken sollen, tut man sich schwerer. Die Angehörigen des Bauernstandes sind in weiße, mit groben Pinselstrichen bemalten Kleidungsstücke gekleidet, die teils wirken, als kämen verfremdete, kariert gewandete Highlander auf die Bühne. Die Damen tragen Dirndl, teils mit Punkten, teils mit herausquellenden, künstlichen Brüsten über ebenfalls kariertem Rock. Die Adligen kommen anfangs in schwarzen Roben und Gehröcken, tauschen die aber fast im Laufe des Stücks gegen ebenso bunte Kleider um, der Prinz versucht sich halbnackt, mit Malerschürze und mit gezwirbeltem Schnurrbart Salvador Dalí ähnlich sehend, an einem Porträt der Angebeteten, um danach in die abgelegten Kleider der Königin zu steigen.
Lüpertz hat sein Ausstattungskonzept noch in La Bohème in Meiningen vertieft, wohlgemerkt ist ja Una cosa rara zuerst in Regensburg gelaufen. Während dort aber mit ihm als Regisseur der Versuch, die Farben der Kostüme singen zu lassen, in statuarischen Szenen gipfelte, bringt hier bei der Cosa rara Andreas Baesler als Regisseur eine fulminante und mitreißende Personenregie auf die Bühne. Wieder einmal beweist das Meininger Ensemble, ergänzt durch Bariton Jonas Böhm als Gast, dass es wunderbar quirlig und bis ins letzte spielfreudig sein Publikum begeistern kann. Baesler schafft es in dem relativ offenen Rahmen der Bühne, die jeweiligen Beziehungen gut sichtbar zu machen und gibt den einzelnen Darstellern immer wieder Gelegenheit, besondere Talente auszuleben.
Foto © Christina Iberl
In erster Linie ist hier Sara-Maria Saalmann als Ghita zu nennen, die ihren gut fokussierten, wandlungsfähigen und bildschönen Mezzosopran mit einer umwerfenden Spielfreude paart, die sie zum Ende hin sogar einen spanischen Tanz mit Kastagnetten tanzen lässt. Auch Monika Reinhard überzeugt völlig als Hauptfigur Lilla, ihr Duett Per pietà mit Ghita zusammen gehört zu den Höhepunkten der Aufführung. Reinhards heller, silbriger und höhensicherer Sopran singt sich munter durch alle Unbilden des Stückes und berührt mit ihrem Piano bei ihrer langsamen Arie. Emma McNairy als Königin Isabella überzeugt einmal mehr mit ihrem prächtigen lyrischen Sopran, der immer wieder an die Gräfin im Figaro erinnert. Sehr inniglich, farbig und bestens von der Regie unterstützt, lotet sie die Rolle der einsamen Adeligen aus, die sich nach einem freieren Leben sehnt. Allein in den Höhen wirkt sie vielleicht tagesbedingt manchmal etwas angestrengt. Jonas Böhm singt als Gast im Ensemble den Lubino mit leichtem, geschmeidigem Bariton, findet im Laufe der Aufführung gut in seine Rolle, singt kräftig und überzeugend. Bassbariton Tomasz Wija gibt einen Tita mit Erotik in der Stimme, klar und sehr präsent gefällt er besonders in den Duetten mit Reinhards leuchtendem Sopran. Mykhailo Kushlyk als Prinz verleiht der Figur die nötige Steifheit zu Beginn und wandelt sich später in den halbnackten Maler im Schaffensrausch, immer mit bestens fokussierter, heller und sehr klarer Tenorstimme, sehr schön in seiner Arie Più bianca del giglio. Spieltenor Tobias Glagau gibt sich gut in die Rolle dessen, der am Ende allein die Schuld übernehmen muss, hinein und gefällt mit seiner weichen und sehr flexiblen Stimme. Selcuk Hakan Tiraşoğlu singt den Bürgermeister Lisargo mitreißend mit kräftigem und alles bestimmen wollendem Bass. In den wenigen Szenen, bei denen er beteiligt ist, bringt er sich mit Freude in das Spiel mit ein.
Chin-Chao Lin, seit der Saison 2023/24 Erster Kapellmeister und Stellvertretender Generalmusikdirektor am Staatstheater Meiningen, leitet die Hofkapelle mit viel Freude und Engagement. Das Orchester spielt sehr transparent, locker und fein, nie die Sänger übertönend oder in Schwierigkeiten bringend – so soll es sein! Wenn auch zur Zeit der Entstehung des Werkes die Musik als besonders hinreißend empfunden worden ist, lassen unsere Mozart-verwöhnten Ohren doch bei allem Reiz eine gewisse Tiefe und dramatische Gestaltung darin vermissen. Unterhaltsam und dem Zeitgeist entsprechend kommt sie daher, zitiert Mozart manchmal ebenso wie dieser Una cosa rara erwähnt hat, bleibt aber aus heutiger Sicht diesem doch unterlegen.
Das Meininger Publikum wird am Ende mit einem kräftigen „Olé“ entlassen und feiert seine Cosa rara frenetisch und mit stehenden Ovationen.
Jutta Schwegler