O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

So begrüßt man den Frühling

MUSIK TROTZ(T) CORONA
(Diverse Komponisten)

Besuch am
30. April 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Altes Küsterhaus, Meerbusch-Büderich

Ja, es stimmt. Der Frühling lässt sich in diesem Jahr viel Zeit. Nur zögerlich zieht er in die Natur ein. Umso stürmischer wurden Kirsch- und Magnolienblüte in den so genannten Sozialen Medien mit Fotos gefeiert. Aber so recht will im zweiten Pandemie-Jahr keine rechte Freude mehr darüber aufkommen. Das muss man doch ein bisschen anschieben können, dachten sich Ekaterina Porizko und Ekaterina Somicheva und änderten spontan ihr Programm, das eigentlich einen russischen Liederabend vorsah. Nein, nicht nur die Musik sollte an diesem Abend für gute Laune sorgen, aber dazu gleich mehr.

Mit dem ersten Lockdown begann im Alten Küsterhaus in Meerbusch-Büderich auch eine Reihe von Internet-Übertragungen, die im wöchentlichen Wechsel unter dem Motto Musik trotz(t) Corona und Literatur trotz(t) Corona Konzerte respektive Lesungen mit Musik zeigt. Die Kunsthistorikerin und Galeristin Isabelle von Rundstedt, seit 2018 Künstlerische Leiterin der Galerie im Alten Küsterhaus, stellte den Raum zur Verfügung. „Die Konzerte der beiden Ekaterinas haben mich zur Musik zurückgebracht“, erzählt sie heute. Porizko ist seit 2017 Kantorin der Evangelischen Kirche Büderich und von ungeheurem Tatendrang erfüllt. Da war die Entwicklung von ein paar Konzerten im vergangenen Jahr mehr ein nettes Hobby, zu dem sie die Sängerin Somicheva als Freundin gerne einlud. Inzwischen ist daraus eine langanhaltende Konzert- und Lesungsreihe geworden, die die drei mit ungebrochener Begeisterung betreiben. Inzwischen hat sich eine ordentliche Fangemeinde gebildet, obwohl die Übertragungsqualität einiges zu wünschen übriglässt. Mehr als 400 Menschen versammeln sich am Freitagabend zum Konzert auf Instagram, und etliche kommen dazu, wenn das Video am Sonntagabend auf YouTube veröffentlicht wird. Das Erfolgsgeheimnis setzt sich aus vielen Teilen zusammen.

Ekaterina Somicheva – Foto © O-Ton

Die Programme überraschen immer wieder mit völlig neuen Aspekten. Aber das verunsichert das Publikum nicht etwa, schließlich werden die Themen sorgfältig und mit viel Begeisterung entwickelt und mit Verve moderiert. Hier kann der Musiklaie ohne jede Berührungsangst dabei sein. Was Porizko und Somicheva ganz nebenbei an „Musikvermittlung“ leisten – dafür werden an großen Häusern ganze Abteilungen beschäftigt – ist gar nicht abzusehen.

Die Konzertreihe wird fortgesetzt. Viel Sorgfalt verwenden die Künstlerinnen auf die Auswahl der Programme, geprobt wird bis 15 Minuten vor Beginn der Übertragung, dann greift Routine. Blitzschnell werden Stative ausgepackt, Kamera und Smartphones aufgebaut, die Verbindungen hergestellt und schon stehen die beiden mit strahlendem Lächeln vor Klavier und Notenständer, um ihr Publikum zu begrüßen. Hinter der Kamera wie immer von Rundstedt, die sich auch nicht verbieten lässt zu klatschen oder am Ende der Vorstellung ein „Bravo!“ zu rufen. Und das ist am Ende der heutigen 50-minütigen Aufführung auch durchaus wieder einmal angebracht.

Wie auch immer sie es geschafft haben, erscheinen die beiden Damen in Kleidern, die eigens für diesen Anlass erworben wurden. Porizko in frischem Gelb mit adretter gelber Haarschleife, Somicheva im gleichgeschnittenen rosafarbenen Kleid. Der Frühling kann beginnen. Los geht es mit Robert Schumann. Die Träumerei spielt Porizko noch solo auf dem Klavier, dann stimmt Somicheva mit dem Schneeglöckchen ein. Kurz, aber wunderbar, erklingt Im wunderschönen Monat Mai, ehe Porizko Von fremden Menschen und Ländern anstimmt. Das muss der Zuschauer am Monitor alles nicht wissen. Er braucht keinen Programmzettel. Weil die beiden Musikerinnen mit kurzen Zwischenmoderationen und viel guter Laune durch den Abend geleiten. Ein kurzer Ausflug zu Felix Mendelssohn Bartholdy mit Auf Flügeln des Gesangs und Lied ohne Wörter, das Porizko als Solo präsentiert, fühlt man sich bereits ganz in das Frühlingserwachen, das man so lange vermisst hat, hineingezogen. Das Sahnehäubchen gibt es dann mit Franz Schuberts Frühlingsglaube und Ständchen. Die gute Laune ist inzwischen garantiert. Wer jetzt noch nach dem Frühling sucht, hat den Abend nicht verstanden.

Ekaterina Porizko – Foto © O-Ton

Eine kleine Überraschung gibt es mit dem Wechsel ins russische Fach, in dem Porizko eine Elegie von Wassilij Kalinnikow auf dem Klavier erzählt. Für die Kantorin ist er schlicht der Stellvertreter für das Typische der russischen Musik. Unvorstellbar, was er hätte erreichen können, wenn er länger als bis in die Anfänge seiner 20-er Jahre gelebt hätte. Auch diese traurige Geschichte kann die Laune des Abends nicht mehr verderben. Der Frühling hat jetzt uneingeschränkt begonnen. Das unterstreichen auch noch einmal die beiden Werke von Tschaikowski: Frühlingslied und Ich öffnete das Fenster, begleitet von ein paar kleinen Anekdoten, die Porizko zum Besten bringt. Nein, die Fenster werden im Küsterhaus trotz des wundervollen Sonnenuntergangs nach einem Tag eher betrüblichen Wetters nicht geöffnet. Die Durchgangsstraße, an der das Küsterhaus liegt, lässt solche Leichtfertigkeiten nicht zu. Gefühlt aber reißt Somicheva, die bis hierhin mit glockenklarem Klang bis hin zu großen Koloraturen überzeugen kann, die Fenster der Seele auf, wenn sie mit Je veux vivre, der Arie der Juliette aus der Oper Roméo et Juliette von Charles Gounod, als Zugabe intoniert.

Die Akustik im Küsterhaus, gleichwohl ohne Publikum, ist so eindrucksvoll, dass der Organistin Porizko ein Klavier ausreicht, um die ausgefeilten Klänge der Sopranistin zu untermalen. Nach der Gounod-Zugabe ist aber Feierabend. Eine kurze Verbeugung noch, ehe die Verbindungen gekappt werden. Von Rundstedt ist beseelt, Porizko und Somicheva sind zufrieden. Ein schneller Blick auf die Reaktionen des Publikums zeigt: Der Frühling hat begonnen. Und die Konzerte von Porizko und Somicheva werden weitergehen. Wie schön.

Michael S. Zerban