O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michael Zerban

Aktuelle Aufführungen

Dem Tod so nah

MATTHIAS CLAUDIUS
(Matthias Claudius, Felix Mendelssohn Bartholdy)

Besuch am
19. Februar 2025
(Einmalige Aufführung)

 

Klassik aber frisch im Alten Küsterhaus, Meerbusch

Zum Konzertkalender von Klassik aber frisch im Alten Küsterhaus im Meerbuscher Stadtteil Büderich zählen regelmäßig auch Lesungen mit musikalischer Begleitung. Dazu bietet sich die Galerie von Isabelle von Rundstedt förmlich an: Die intime Atmosphäre lädt zum Zuhören ein, und die Akustik erübrigt die Verwendung von Mikrofonen. Da geht man gern auch mal mitten in der Woche hin, um für eine gute Stunde, länger dauern die Aufführungen selten, den Alltag zu vergessen.

Heute steht Matthias Claudius auf dem Programm. Das klingt erst mal museal, und so darf man gespannt sein, was es von dem Dichter, dessen bekanntestes Gedicht sicher Der Mond ist aufgegangen ist, für die Gegenwart zu sagen gibt. Die Aufgabe übernimmt Stefan Heckel-Reusser, der aus Esslingen angereist ist. Von 1981 bis 1985 studierte der am Konservatorium für Musik und Theater in Bern Schauspiel. Einer seiner wichtigsten Lehrer war Hans Gaugler, der sich bevorzugt um die Interpretation von Gedichten kümmerte. Anschließend arbeitete Heckel-Reusser fast zehn Jahre lang an der Württembergischen Landesbühne Esslingen am Neckar, ehe er in einen anderen Beruf wechselte. Die Leidenschaft blieb, und so tritt der Schauspieler in den vergangenen Jahren immer wieder als Rezitator auf. Den Matthias-Claudius-Abend hat er bereits zwei Mal an Kirchen im Stuttgarter Raum gegeben, ist also bestens vorbereitet.

Stefan Heckel-Reusser – Foto © Michael Zerban

Matthias Claudius, 1740 in Reinfeld geboren, wurde stolze 75 Jahre alt. Schon früh wurde er mit dem Tod konfrontiert, als drei Geschwister im Zeitraum von wenigen Monaten starben. Er gab dem Tod den Namen Freund Hain und widmete ihm später gar seine Bücher. Als er zusammen mit einem etwas älteren Bruder ein Theologiestudium in Jena beginnt, stirbt dieser nach kurzer Zeit. Er bricht später das Theologiestudium ab, studiert Rechtswissenschaft, findet danach aber keine entsprechende Stelle, schlägt sich einige Jahre mit Gelegenheitsarbeiten durch. Mit 28 Jahren wird er Redakteur eines unbedeutenden Nachrichtenblattes. Mit 31 Jahren erfolgt dann die entscheidende Wende: Claudius wird Redakteur des neu gegründeten Wandsbecker Boten – Wandsbeck ist zu der Zeit ein Dorf im Norden von Hamburg, heute der Stadtteil Wandsbek – und ist dort für das aus einer Seite bestehende Feuilleton zuständig. Er gewinnt nun die literarische Elite der Zeit als Autoren, so Klopstock, Herder, Lessing. Mit vielen entstehen lebenslange Freundschaften. Selbst Goethe konnte er einmal gewinnen, doch sie blieben sich fremd. Für Goethe war Claudius ein einfältiger, letztendlich unbedeutender Dichter, und Claudius hat ihn wiederum durch eine launige Rezension der Leiden des jungen Werther vergrätzt. Mit 32 Jahren heiratet er die 17 Jahre alte Schreiner- und Gastwirtstochter Rebecca. Sie haben zusammen zwölf Kinder, das erste stirbt direkt nach der Geburt, mittendrin noch mal eines mit zwei Jahren, und – für ihn ungeheuer schmerzhaft – mit 21 Jahren seine Tochter Christiane. Ehe und Familie werden von allen Freunden als sehr liebevoll und innig beschrieben, verbunden mit einer ganz außergewöhnlichen Gastfreundschaft. Das Haus war – trotz ständiger finanzieller Sorgen – ein Ort der Feste und der Geselligkeit. Der Wandsbecker Bote geht als Zeitschrift nach fünf Jahren ein, aber Claudius bleibt als Person der Wandsbecker Bote.

Themen, die ihn beschäftigen, sind der Verlust der Bindung zu Gott als Urgrund des Lebens. Er sieht in diesem Sinne die Aufklärung, in deren Zeitalter er lebt, als durchaus zwiespältig. Er feiert das Wunder des Lebens und schafft immer wieder neue Blickwinkel auf unsere Endlichkeit, den Tod, den er als Freund zu begreifen sucht, ohne ihm seinen Schrecken zu nehmen. Nachdem Heckel-Reusser diesen Einblick in das Leben des Dichters und Journalisten gegeben hat, kann der eigentliche Vortrag beginnen. Aufrecht und entspannt steht Heckel-Reusser neben einem Notenpult, auf dem er seine Unterlagen bereithält.

Im ersten Teil hat er Gedichte und Texte in eher familiärem Zusammenhang ausgewählt. Die Gedichte Frau Rebecca mit den Kindern an einem Mai-Morgen, Frau Rebecca und Wiegenlied bei Mondschein zu singen trägt er auswendig vor. Ganz wunderbar verzichtet er auf Deklamation, sondern erzählt vergnügt aus dem Familienleben. Das Publikum ist von der heutigen Interpretation so fasziniert, dass es glatt den Applaus vergisst. Da klingt so gar nichts nach einem Dichter der Vergangenheit, und auch die Texte wirken eher wie die Nacherzählung der letzten Sommerfrische. Mit einem Brief an sein literarisches Alter ego Andres über die Astrologie vervollständigt er den ersten Abschnitt.

Ekaterina Porizko – Foto © Michael Zerban

Ekaterina Porizko, die es sich als künstlerische Leiterin von Klassik aber frisch nicht nehmen lässt, den musikalischen Teil am Klavier zu übernehmen, hat dafür drei Lieder ohne Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy ausgewählt. Mit dessen Musik setzt sie sich ohnehin gerade intensiv auseinander. Sie bereitet zwei Aufführungen von Elias vor. Jetzt aber erst mal ein Lied ohne Worte, ehe Heckel-Reusser zum nächsten Abschnitt schreitet, in dem es allmählich ernster wird. Zuvörderst das unvergessene wie köstliche Gedicht Die Mutter bei der Wiege, in dem es um die Ähnlichkeit des Sohnes mit seinem Vater geht. Es ist die Geschichte mit der Nase. Nach Motetto, als der erste Zahn durch war und Phidile geht es zur Erinnerung an Tochter Christiane – und Heckel-Reusser gönnt sich den Spaß, aus der Rezension Claudius‘ zu den Leiden des jungen Werthers vorzulesen.

Nach einem weiteren Lied ohne Worte, das in seiner Leichtigkeit die entspannte Atmosphäre des Abends unterstreicht, wird es ernster. Der Tod und das Mädchen, Der Mensch, Täglich zu singen und das Kriegslied werden im auswendigen Vortrag von der Lesung Von meinem akademischen Leben und Wandel gebrochen, um nach einer letzten Lesung Über einige Sprüche des Prediger Salomo noch einmal vier Gedichte – Motet, Der Tod, Sternseherin Lise und Abendlied – zu interpretieren. Nach der Leichtigkeit, mit der das Abendlied gesprochen erklingt, darf man die Besucher auch mal einladen, wenigstens die erste Strophe gemeinsam zu singen. So endet der Abend in bester Laune mit rauschendem Beifall.

Und wie geht es weiter mit Stefan Heckel-Reusser und seinem formidablen Matthias-Claudius-Abend? Der Schauspieler hat da einen ganz besonderen Wunsch. Er möchte das balsamische Gefühl, das wohl in jedem nach diesem Abend zurückbleibt, auch gern in Hospizen und Palliativstationen verbreiten. Ein großartiger Einfall, dem wohl jeder Leiter einer solchen Einrichtung unbedingt folgen sollte.

Michael S. Zerban