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Heiner Müllers Stücke sind kein Stoff für das Musiktheater. Auch nicht, wenn man die spröde Herbheit seiner Stücke so brutal anklingen lässt wie Wolfgang Rihm in der Hamletmaschine. Nachdem sich die Opéra Lyon mit einer erfolgreichen Inszenierung von Benjamin Brittens War Requiem eines Werks bediente, das die erschreckende Problematik des Nazi-Terrors ebenso dezent wie eindringlich zum Ausdruck bringt, kann die mit großer Spannung erwartete Uraufführung von Alexander Raskatovs Oper GerMania nach Heiner Müllers Vorlage GerMania. Tod in Berlin nur enttäuschen.
GerMania gehört nicht zu den bekanntesten Stücken Heiner Müllers. Die dreizehn Episoden schrieb Müller zwischen den Jahren 1956 und 1971, in denen er der brutalen Wirklichkeit der DDR Grausamkeiten der deutschen Geschichte gegenüberstellt, hauptsächlich natürlich aus dem Umfeld des Nazi-Terrors. Ein Diskurs zwischen dem Kommunistenführer Ernst Thälmann und Walter Ulbricht vor der Kulisse erschossener Mauerflüchtlinge eröffnet den Reigen, dem Szenen aus Stalingrad, dem Führerbunker und letztlich Auschwitz folgen. Prominente Größen wie Stalin und Hitler kommen zu Wort, mehr aber noch die kleinen Opfer, deutsche und russische Soldaten, Kriegsgefangene, die von ihren eigenen Leuten nicht weniger zu befürchten haben als von den Gegnern, Frauen und KZ-Opfer. Die Fokussierung auf die DDR-Gegenwart schränkt die Allgemeingültigkeit des Textes ein wenig ein, was angesichts der holzschnittartig klaren Sprache nicht stört, wenn man das Stück eher als szenische Lösung denn als opulentes Bühnenspektakel auffasst.
Und genau das hat der russische, seit vierzehn Jahren in Frankreich lebende Komponist Alexander Raskatov aus GerMania gemacht. Aus einer Art Textskizze wird ein Pathos-beschwertes Melodram mit allen Klischees aufgebauscht, die man mit der braunen Vergangenheit verbindet. Ein hysterischer Hitler, ein verlogen freundlicher Stalin, filmreife Schlachtszenen, eingetaucht in eine unruhig brodelnde Musik, die vor allem illustriert und Tiefsinn vortäuscht, wo Zurückhaltung angesagt wäre. So wie es Britten in seinem War Requiem erheblich besser gelungen ist.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Bühne | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
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Kann man mit Klischees noch leben, entgleist die Schlussszene, das Auschwitz-Requiem, in die Nähe peinlichen Betroffenheits-Kitschs. Alle Figuren des Stücks treten auf, die Opfer stimmen hebräische Gesänge an, womit die bisher deutsch und russisch gesungenen Passagen um eine dritte Sprache erweitert werden. Zu hören ist eine Mixtur von geradezu anrüchiger Süße, die szenisch durch eine eigenartige Grablegungs-Zeremonie noch einen zusätzlich schalen Beigeschmack erhält. Auschwitz auf der Bühne ist immer ein Problem. Die Wirklichkeit in einem psychedelisch wohligen Klangbad auf- und verdampfen zu lassen, geht gar nicht.
Foto © Bertrand Stofleth
Regisseur John Fulljames tut nichts, um die von Müller angestrebte Distanz zu wahren, sondern setzt mit allen Mitteln auf ein theatralisches Spektakel von filmischer Sensationslust. Die Kriegsszenen in den üppigen Dekorationen von Magda Willi könnten jedem Hollywood-Film zur Ehre gereichen. Video-Einblendungen, Lichteffekte in Serie, die bereits erwähnten klischeehaften Profile der Hauptfiguren, viel Pathos und sogar sentimentale Entgleisungen passen weder zum Stück noch zum Thema.
Musikalisch ist die Oper von Lyon gut aufgestellt. Und man kann dem Dirigenten Alejo Pérez die geschmacklichen Fallstricke der Partitur nicht ankreiden. Er führt die Partitur souverän aus, mit allen ihren Schwächen. 16 Sängerinnen und Sänger schlüpfen in die 40 Rollen und das vollbringen sie mit Engagement und Können. Eine Ensembleleistung par excellence, die durch ihre Geschlossenheit beeindruckt, die selbst exponierte Figuren wie der Stalin von Gennady Bezzubenkow oder der Hitler von James Kryshak nicht gefährden können.
Das Publikum reagiert auf diesen untauglichen musikalischen Versuch, die Makel der deutschen Geschichte theatralisch aufzubereiten, mit langanhaltendem Beifall, der sich beim Auftritt des Komponisten hörbar steigert.
Pedro Obiera