O-Ton

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Foto © Jonathan Berger

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Musikalische Feinkost

LA SONNAMBULA
(Vincenzo Bellini)

Besuch am
24. Januar 2023
(Premiere am 20. Januar 2023)

 

Opéra Royal de Wallonie, Liège

Vincenzo Bellinis siebtes Belcanto-Schmankerl La Sonnambula – Die Nachtwandlerin – gilt als die musikalisch feinsinnigste Oper des Komponisten Vincenzo Bellini. Diesem Anspruch kann die Opéra Royal de Wallonie in Lüttich auch mit ihrer jüngsten Produktion des inhaltlich ein wenig verworrenen Stücks vollauf genügen.

Lüttichs neuer Musikchef Giampaolo Bisanti, im italienischen Repertoire international auf allen Hochzeiten tanzend, findet einen ausgewogenen Ausgleich zwischen dramatischem Zugriff und kammermusikalischer Delikatesse. Was gerade diese Partitur noch stärker einfordert als etwa Bellinis bekanntere Norma. Schließlich ist die Liebes- und Eifersuchtsgeschichte um Amina, die schlafwandelnd im Gemach eines Nebenbuhlers angetroffen wird und damit die anstehende Heirat mit ihrem erwählten Bräutigam in Gefahr bringt, als fein und quicklebendig komponierte „Semiseria“ angelegt, die nicht tragisch endet, sondern mit einem Happy End schließt.

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Am Ensemble ist, wie gewohnt in Liège, nichts auszusetzen. In der Titelrolle gelingen Jessica Pratt alle Nuancen der Partie von perlenden Koloraturen bis zu weit ausschwingenden Kantilenen inklusive subtilster Piano-Aufschwünge in höchste Sphären. Die etwas derber angelegte Partie der eifersüchtigen Gegenspielerin Lisa ist bei Marina Monzó ebenso gut aufgehoben wie die des Bräutigams Elvino bei René Barbera mit seinem elastischen, mühelos geführten Tenor. Als Graf, der letztlich die fatalen Missverständnisse aus dem Weg räumen kann, setzt Marko Mimica mit seinem dunklen, substanzreichen, allerdings arg guttural eingefärbten und entsprechend gaumig klingenden Bariton einen markanten Kontrapunkt. Nicht zu vergessen die vielfältigen, ebenfalls glänzend gelösten Aufgaben des Chors, die Bellini sehr filigran in die Solo- und Ensemblesätze einbindet.

Regisseuren machen es die Belcanto-Meister à la Bellini und Donizetti mit ihren oft hanebüchenen und bewegungsarmen, nahezu ausschließlich auf die Gesangsdarbietungen zugeschnittenen Handlungen nicht leicht. Jaco Van Dormael versucht erst gar nicht, die Handlung aktionistisch aufzupeppen. Was die Führung der Solisten angeht, hält er sich zurück, so dass sie sich auf ihre vokalen Qualitäten konzentrieren können. Stattdessen lässt er Tänzer auf einer raffiniert gespiegelten Fläche die Handlung kommentieren. Und zwar durch äußerst kreative, vor Fantasie, Poesie und hintergründiger Ironie sprühende Choreografien von Michèle Anne De Mey. Nicht immer einleuchtend, aber stets effektvoll. Die von Vincent Lemaire kreierte Spiegelfläche wird zudem für allerlei Lichteffekte und Projektionen von Naturbildern, Geisterscheinungen und pittoresken Ornamenten genutzt, so dass auch das Auge nicht zu kurz kommt. Eine pfiffige Lösung, mit der sich die Gefahr eines steifen Stehtheaters unverkrampft bannen lässt. Womit Van Dormael mit der Sonnambula einen geschlosseneren Eindruck hinterlässt als mit seinem erfolgreichen, aber eindimensional groben Don Giovanni im Vorjahr.

Die Premiere stand angesichts des Wintereinbruchs mit seinen chaotischen Verkehrsverhältnissen unter keinem guten Stern. Umso besser gelingt jetzt die Folgevorstellung auf dem traditionell hohen Niveau der Lütticher Oper.

Pedro Obiera