O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jonathan Berger

Aktuelle Aufführungen

Im Wellnessbad schöner Töne

LAKMÉ
(Leo Delibes)

Besuch am
20. September 2022
(Premiere)

 

Opéra Royal de Wallonie, Liège

Intendant Stefano Pace scheint das französische Repertoire nicht minder am Herzen zu liegen als das italienische, mit dem sein verstorbener Vorgänger Stefano Mazzonis di Pralafera die Lütticher Oper zu überregionaler Bedeutung geführt hat. Mit der Premiere von Leo Delibes‘ exotischer Liebestragödie Lakmé übertrifft die Lütticher Oper noch das Niveau der Produktion von Ambroise Thomas‘ Oper Mignon vor einem halben Jahr. Zumindest, was die musikalische Qualität angeht, stützend auf ein bis in die kleinste Partie rollendeckend und makellos besetztes Ensemble. Angeführt von der 34-jährigen belgischen Sopranistin Jodie Devos in der Titelrolle, die, wie im letzten Jahr in Donizettis Regimentstochter, mit ihrer perfekt und mühelos geführten Stimme eine Offenbarung an Legato-Kultur und Höhen in feinsten Piano-Schattierungen bietet und zugleich die filigranen Koloraturen der heiklen Glöckchen-Arie blitzsauber beherrscht. Eine Stimme mit warmer lyrischer Substanz und zugleich soubrettenhafter Beweglichkeit. Eine Idealbesetzung. Ihr zur Seite steht mit Philippe Talbot als jugendlicher Liebhaber Gérald ein Tenor von mittlerweile internationalem Rang, der das französische Kolorit der Oper nicht minder überzeugend trifft. Lionel Lhote als Brahmapriester gehört mit seinem markanten Bariton schon lange zu den Säulen der Lütticher Oper, und die junge Mezzosopranistin Marion Lebègue passt sich nicht nur in dem berühmten Blumen-Duett dem Niveau von Jodie Davos an. Und Pierre Doyen als englischer Offizier Frédéric beeindruckt mit seinem gepflegten Bariton nicht minder als Pierre Romainville als Hadji.

Foto © Jonathan Berger

Anders als in Frankreich und England hat es Delibes‘ 1883 uraufgeführte Oper in Deutschland zu keiner nennenswerten Popularität bringen können. Dabei bereitet die gleißende, leicht süßlich parfümierte, nie schroff attackierende Musik ein Wellnessbad schöner Töne, die auch Maestro Frédéric Chaslin einfühlsam dem Orchester entlockt. Für deutsche Ohren möglicherweise ein zu sanft klingendes Naschwerk. Und inhaltlich aus heutiger Sicht ein anrüchig verklärender Umgang mit der britischen Kolonialisierung Indiens.

Der englische Offizier Gérald verliebt sich in Lakmé, die Tochter des Brahmapriesters Nilakantha. Der Priester fordert den Tod des englischen Frevlers, aber Lakmé vergiftet und opfert sich. Das Libretto idealisiert Indien einerseits zum Paradies in sich ruhender Gelassenheit und einer blühenden Natur, andererseits gebärdet sich der Priester aggressiver als die blass gezeichneten englischen Invasoren. Regisseur Davide Garattini Raimondi kümmert sich nicht weiter um die Widersprüche und Klischees des Librettos und zaubert mit Ausstatter Paolo Vitale das Szenario eines Hollywood-reifen Indiens, mit einem zwar zerstörten, aber doch idyllisch ausgeleuchteten und am Ende offenbar wiederhergestellten Tempel. An Farben mangelt es weder den aufwändigen Kostümen noch der Lichttechnik. Auch nicht an einer grünen Pflanze, die die Szene wie ein Leitmotiv begleitet und an der Lakmé am Ende stirbt. Das Auge kommt also auch nicht zu kurz, wohl aber ein reflektierter Umgang mit der problematischen Handlung. Was angesichts der verführerisch schönen Musik und der vokalen Spitzenleistungen allerdings schnell aus dem Blick gerät.

Begeisterter Beifall für einen langen, dennoch kurzweiligen Opernabend. Weiter geht es in Lüttich mit seiner Domäne, der italienischen Oper, und zwar mit Neuinszenierungen von Rossinis Il Turco in Italia und Verdis Alzira.

Pedro Obiera