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DIALOGUES DES CARMÉLITES
(Francis Poulenc)
Besuch am
21. Juni 2023
(Premiere)
Die Lütticher Opéra Royal de Wallonie beendet ihre ohnehin äußerst erfolgreiche Saison mit einer Produktion, bei der bis ins kleinste Detail alles stimmt. Und das abseits von italienischen Belcanto-Klassikern mit einer modernen französischen Oper, Francis Poulencs packendem Zeit- und Seelendrama Dialogues des Carmélites. Obwohl 1957 an der Mailänder Scala aufgeführt, bewegt sich das Werk in tonalen Bahnen und muss niemanden abschrecken.
Es wäre ungerecht, den makellosen Erfolg der Produktion darauf zurückzuführen, dass die gesamte Leitung weiblichen Kräften anvertraut wurde und auch auf der Bühne die Nonnen von Compiègne das Sagen haben. Immerhin sind auch die wenigen männlichen Partien brillant besetzt und letztlich stammen Musik und das kongeniale Libretto von einem Mann. Poulencs von persönlichen Schicksalsschlägen ausgelöster Wandel vom burlesken Bürgerschreck zum introvertierten Katholiken, vom „Gaukler zum Mönch“, findet in der Oper seinen spirituellen und künstlerischen Höhepunkt. Die Handlung orientiert sich an der literarischen Vorlage von Gertrud von le Forts einfühlsamen Roman Die Letzte am Schafott. Im Zentrum steht die historisch belegte Geschichte der 16 Nonnen des Karmeliterordens von Compiègne, die sich im Sog der Französischen Revolution standhaft weigerten, ihr Gelübde abzulegen und stattdessen geschlossen den Gang zur Guillotine antraten.
Es spricht für Gertrud von le Fort wie auch für Poulenc, dass die Frauen weder zu heldenhaften Märtyrerinnen verklärt noch zu frömmelnden Betschwestern entstellt werden, sondern als Menschen, die auch hinter Klostermauern von Ängsten vor dem Tod und mitunter mehr noch vor dem Leben erschüttert werden. Und auch die Standhaftigkeit des Glaubens bleibt nicht von Zweifeln verschont.
Foto © Jonathan Berger
Umso glaubwürdiger und eindringlicher wirkt der gemeinsame Gang in den Tod am Ende. Ein schlichtes Salve Regina singend, fallen die Frauen nach und nach der Guillotine zum Opfer. Von Poulenc ebenso schlicht wie aufwühlend komponiert, von Speranza Scappucci, der mittlerweile zur Berühmtheit katapultierten Dirigentin mit innerlich glühender Intensität zum Klingen gebracht und von der Regisseurin Marie Lambert-Le Bihan einfühlsam inszeniert. Plakative Knalleffekte sucht man vergebens. Kein Blutstropfen ist zu sehen, auch die Musik verirrt sich selbst in den dramatischen Steigerungen nicht in banale Gefilde.
Bewundernswert, wie Scappucci die Spannung aus der inneren Glut der dynamisch meist zurückhaltenden Musik bezieht. Bewundernswert, mit welcher Detailgenauigkeit die Regisseurin die Psychogramme der filigran charakterisierten Figuren in Szene setzt. Dennoch muss man auf große Bilder nicht verzichten, wobei auch die Bühnen- und Kostümbildnerin Cécile Trémolières durch wenige, treffsichere Versatzstücke und dezente Lichteffekte ein Maximum an Wirkung erzielt.
In diesem idealen Umfeld wachsen die Sänger über sich hinaus. Kein einziger Ausfall in der langen Besetzungsliste ist zu beklagen. Wenn von einer geschlossenen Ensembleleistung gesprochen werden kann, dann ist das der Lütticher Oper gelungen. Alexandra Marcellier verkörpert die „Blanche von der Todesangst Christi“ als junge Frau, die bis zuletzt mit ihren Ängsten zu kämpfen hat. Die alte Priorin ist mit Julie Pasturaud ungewöhnlich jung besetzt, wodurch ihre Sterbeszene, ein Höhepunkt der Oper, noch an Eindringlichkeit gewinnt. Sheva Tehoval als lebenslustige Constanze, Claire Antoine als neue Priorin und Julie Boulianne als Marie setzen, wie auch der Rest der Damenriege inklusive des Frauenchors, starke Akzente. Und selbst die eher undankbaren männlichen Partien sind bestens besetzt.
Ein ebenso großartiger wie inspirierender Abschluss der Saison auf höchstem Niveau.
Pedro Obiera