O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jan-Pieter Fuhr

Aktuelle Aufführungen

Völlig überdreht

DIE LETZTE VERSCHWÖRUNG
(Moritz Eggert)

Besuch am
19. Oktober 2024
(Premiere)

 

Staatstheater Augsburg, Martini-Park

Manchmal muss man beim Theaterbesuch für eine Pointe bis zum Schlussapplaus warten. Der erweist sich für den Komponisten Moritz Eggert nach der deutschen Erstaufführung seiner Oper Die letzte Verschwörung als Stolperfalle, nachdem er sich mit neonfarben geschnürten Schuhen beim Augsburger Ensemble eingereiht hat und an der Kante der Drehbühne kurz nach hinten wegkippt. Aber halb so schlimm: Es wird ihm schnell aufgeholfen und schmälert den Beifall nicht. Und irgendwie steht dieser Moment sinnbildlich für die Aufführung eines Werkes, mit dem sich Eggert vom Einerlei des Repertoires abheben will, aber darin auch immer wieder zu verheddern scheint.

Foto © Jan-Pieter Fuhr

Nach Eggerts eigener Aussage, die sich im Programmheft nachlesen lässt, ist Die letzte Verschwörung, die 2023 an der Wiener Volksoper uraufgeführt wurde, seine künstlerische und zugleich humorvolle Auseinandersetzung mit der Verzweiflung über Verschwörungsmythen, wie sie vor allem seit Beginn der Corona-Pandemie Auftrieb erhalten haben. Seiner Absicht nach geht es Eggert in beharrlich wechselnden musikalischen Idiomen um „große Gefühle und den Versuch, in einer immer irrer werdenden Welt eine Form von Würde zu bewahren“. Als sein eigener Librettist setzt Eggert dafür allerdings auf eine von Beginn an parodistisch maßlos überzeichnete Handlung, in deren Zentrum der Fernsehmoderator Friedrich Quant steht. Durch einen seiner Talkshow-Gäste, den „Schwurbel-Urban“ gerät er an die geheimnisvolle Lara Lechner, in die sich Quant verliebt. So entgleitet ihm sein zuvor geregeltes Ehe- und Familienleben und gemeinsam mit Lara, aber auch immer wieder isoliert von ihr, kommt er immer neuen Drahtziehern hinter einer Weltverschwörung auf die Spur, von denen Reptiloide im Kanzleramt noch bei weitem nicht die schlimmsten und nur eine Zwischenstation sind. Bis am Ende alles als Theater auf dem Theater aufgelöst wird.

Der Augsburger Intendant André Bücker inszeniert die krude, dramaturgisch an Mystery- und Thriller-Genres in Film und Fernsehen angelehnte Geschichte wie eine Revue ohne wesentliche, zusätzliche Kommentare oder Brechungen. Die Bühne von Wolf Gutjahr ist in einen Bereich hinter und vor dem mit einem Steg überbauten Orchestergraben eingeteilt. Mit Videoprojektionen von Robi Voigt werden die Raumwechsel schnell umrissen. Und so lässt sich vor allem das wiederholte Ausbrechen der Figuren nach vorne, aus dem Rahmen der Illusionen und Täuschungen klar zeigen – von der Talkshow über das Familienidyll bis zum Raumschiff mit Aliens und einer Pizzeria als Ort eines komplett überdrehten, vermeintlich letzten Showdowns.

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Bis dahin hat sich Wolfgang Schwaninger als Friedrich Quant stimmlich auch wieder nach einem leichten Zwischentief zu Beginn des zweiten Aktes erholt. Das Arioso, in dem der Protagonist Zweifel an seiner Marschroute äußert, es werde „wirklich alles besser, wenn man allem misstraut“, liegt für den erfahrenen Heldentenor Schwaninger unter Umständen auch eine Spur zu hoch. Es klingt, wie auch der „Menschheit-first!“-Chor und Marsch der von Quant vorübergehend angeführten Bewegung, leicht so, als ob Eggert sich an Dmitri Schostakowitschs Fassungen von Modest Mussorgskys Boris Godunow oder Chowanschtschina orientiert hat. Darin liegt auch ein grundsätzlicher Bruch mit den zunächst dominierenden tänzerischen Rhythmen und Stilanleihen bei Filmmusik und Broadway im ersten Akt, vor allem für die Entwicklung von Friedrichs Beziehung mit Lara. Die Klangsprache wird nach der Pause des insgesamt zweieinhalb Stunden langen Abends zum Handlungsverlauf passenderweise aggressiver, aber durch den Einsatz repetitiver Streicher- und Bläser-Begleitfloskeln sowie des Schlagwerks auch immer ermüdender. Jihyun Cecilia Lee verzichtet als Lara demgegenüber angenehmerweise, mit ihrem lyrischen Sopran zu forcieren. Das bleibt dem Schauspieler Julius Kuhn bei einem zwischenzeitlichen emotionalen Aus- und Zusammenbruch überlassen, während er ansonsten als „das System“ mit der Funktion eines Conférenciers durch den Abend führt – bevor die Ablösung durch ein System-Update in Gestalt des blitzenden Koloratursoprans von Olena Sloia droht. In Doppelrollen tragen sowohl die Mezzosopranistin Luise von Garnier als auch die Baritone Shin Yeo und Wiard Withold zu einer überzeugenden Ensembleleistung bei, zu der auch die signalhaft, aber nicht nur plakativ gesetzten Kostüme von Katharina Weissenborn beitragen. Unter den drei Figuren, die der Bass Avtandil Kaspeli verkörpert, garantiert der Auftritt als Alien-Anführer Gord mit Glitzeranzug und verführerischem Gitarreneinsatz erhöhte Heiterkeit im Auditorium.

Generalmusikdirektor Domonkos Héja sorgt, mit nur wenigen Momenten des Nachjustierens wackliger Einsätze in der heiklen Interimsspielstätte, für eine meistenteils beeindruckende Balance zwischen den Augsburger Philharmonikern und dem Opernchor, der teilweise auch im Auditorium auftritt. Es ist insgesamt ein wie eingangs erwähnt freundlich, aber nicht überschwänglich beklatschter Abend. Das liegt vielleicht eben auch daran, dass man Eggerts Verzweiflung über die Verschwörungsmythen teilen kann, Text und Musik aber letztlich keinen Blick hinter das virtuose Maskenspiel zulassen und die Distanz aufrechterhalten.

Sebastian Stauss